Europas blutige Außengrenze: Die Berliner Menschenfalle

Erstveröffentlicht: 
05.03.2014

Der Zaun um Marokkos spanische Enklaven soll Flüchtlinge fernhalten. Er ist scharf genug, um Sehnen und Bänder zu durchtrennen – und kommt aus Berlin.  

 

Als die Guarda Civil Sambo Sadiako entdeckte, hing sein lebloser Körper ausgeblutet im Klingendraht wie ein verendetes Tier. „Widrige Wetterumstände“ hätten den Senegalesen in der Nacht zum 6. März 2009 tödlich stürzen lassen, behauptete die spanische Regierung zuerst. Doch das war falsch. „Tod durch massiven Blutverlust wegen aufgeschnittener Arterien“ stellten die obduzierenden Ärzte fest. Sadiako wurde 30 Jahre alt.

 

Er starb bei dem Versuch, den Zaun zwischen Marokko und der spanischen Enklave Ceuta zu überwinden. Ceuta ist seit 1558 in spanischem Besitz. Doch dort, wo Sadiako starb, gab es Jahrhunderte lang überhaupt keine Grenzanlagen. Erst als die EU in den 1990er Jahren begann, sich gegen Migration abzuschotten, wurde 1993 der erste, noch kleine Zaun errichtet. Seitdem wuchs er immer weiter – und wurde immer gefährlicher für die, die ihn überwinden wollten.

 

Was dem einen ein langsamer Tod, ist den anderen ein „Erfolgsfall“: Mit dieser Vokabel bewirbt das Unternehmen European Security Fencing (ESF), ansässig im Einstein-Palais an der Berliner Friedrichstraße, seinen Beitrag zum Grenzzaun in Melilla.

 

Verbaut wurde dort nach Angaben von NGOs Klingendraht des Typs „Concertina 22“, gedacht zum Schutz von Atomkraftwerken, Munitionslagern und Flughäfen. Im Abstand von 38 Millimetern sind daran scharfe Klingen angebracht; 22 Millimeter lang, 15 Millimeter hoch. Genug, um Sehnen und Bänder, Nerven und Blutbahnen zu durchtrennen.

 

Die Abschreckung funktioniert nicht

 

Die zum spanischen Metallbau-Konzern Mora Salazar gehörende ESF ist ein Allrounder, was die Sicherung von schützenswertem Gut betrifft. So umgibt eine ihrer Sperranlangen auch die Atomanlagen im spanischen Almaraz. Gegenüber dem spanischen Portal 20 Minutes erklärte ESF-Chef Antonio Mora, der Klingendraht habe „einen psychologischen und optischen Effekt“. Nur wenn „300 Leute auf einmal über den Zaun klettern, einer über dem anderen“, könne es „Kratzer und Schnitte geben“. Ansonsten aber sei das „Ziel des Zauns nicht, jemanden zu verletzen, sondern abzuschrecken“. 

 

Das funktioniert aber nicht. Was sich hinter dem Zaun verbirgt, ist einfach zu begehrenswert: Wer hinüberkommt, ist im Schengen-Raum und kann einen Asylantrag stellen – obschon Spanien die Migranten immer öfter direkt an die marokkanischen Soldaten übergibt.

 

Fälle wie den Sadiakos gibt es Dutzende, die Zahl Schwerverletzter liegt im vierstelligen Bereich. Der mittlerweile sechs Meter hohe Doppelzaun ist eine Menschenfalle. Wer sich nicht abschrecken lässt, verfängt sich in den Klingen. Wer auf der anderen Seite hinunterstürzt oder springt, den erwartet an vielen Stellen eine dreidimensionale Drahtseilkonstruktion, in der sich Arme und Beine verhaken. Hinzu kommen sollen eine Stahlwand und ein Unterwasserzaun, um die „Eindringlinge“ auch zu Wasser abzufangen.

 

Wegen der vielen schweren Verletzungen und Todesfälle wurden die Klingen zwischenzeitlich wieder abgenommen. Doch im Oktober 2013 entschied die Regierung, wieder neuen Klingendraht von ESF anzubringen.

 

„Dieser Zaun ist nicht nur der Zaun von Melilla. Es ist der Zaun von ganz Europa. Das hier ist auch der Zaun von Berlin“, sagte der Präsident von Melilla, Juan José Imbroda. Im November waren die Arbeiten für den ersten Abschnitt beendet. Weitere sollen folgen.

 

Drohnen statt Zaun

 

Die Aufrüstung ist in Spanien höchst umstritten. El País, die größte Tageszeitung Spaniens, stellte ein Video online, auf dem ein Kameruner zu sehen ist, der mit einem Ganzkörperverband in einem spanischen Krankenaus liegt. Er hatte versucht, über den Zaun zu klettern. „Die Ärzte haben zwölf Stunden gebraucht, um meine Wunden zuzunähen“, erklärt er. Er schäme sich, seine Haut mit all den Narben zu zeigen.

 

Der sozialistische Abgeordnete Antonio Trevín brachte im Dezember ein Stück des Drahtes in eine Parlamentssitzung mit. Um ihn zu präsentieren, zog er einen Lederhandschuh an und schlug vor, stattdessen mit Drohnen gegen die Papierlosen vorzugehen. „Unser Problem ist nicht, sie zu entdecken“, entgegnete Innenminister Fernández Díaz. „Das Problem ist, sie aufzuhalten.“ Die Klingen bleiben, entschied Ministerpräsident Mariano Rajoy.

 

Auch EU-Innenkommissarin Malmström verlangte Aufklärung. Diáz reise nach Brüssel und erklärte, der Klingenzaun habe einen „abschreckenden, passiven Charakter“ und bewege sich „im Rahmen der Legalität“ – davon könne sich die Kommissarin gern vor Ort überzeugen. Der Schwedin genügte das.

 

Vielleicht ist es am Ende die Guardia Civil, die weitere Tote verhütet: Die Gewerkschaft von Polizei und Grenzschützern erklärte am 16. November, die Beamten seien „den Anblick sterbender Menschen leid“, die versuchen, die Grenze zu überqueren. „Wir sind nicht bereit, noch mehr Subsaharis zu finden, die blutend im Stacheldraht festhängen“, schrieb sie. Die Konfrontation mit diesen vermeidbaren Todesfällen setze die Grenzschützer „unnötigem Stress“ aus.