Ein Ex-NPDler fuhr mit seinem Auto auf fünf ANtifa-Aktivisten, verletzte einen von ihnen schwer. Nun befand ein Gericht, er könnte in Notwehr gehandelt haben.
FREIBURG taz | Nazis dürfen sich gegen Angriffe der Antifa auch mit lebensgefährlichen Methoden verteidigen. Das Landgericht Freiburg sprach deshalb an diesem Freitag den Ex-NPDler Florian S. vom Vorwurf des versuchten Totschlags frei. Die Richter konnten nicht ausschließen, dass er beim Gegenangriff auf fünf Antifa-Aktivisten in Notwehr handelte – obwohl er kurz zuvor Gewaltphantasien gegen Linke geäußert hatte. Es gelte der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“, so der Vorsitzende Richter Arne Wiemann.
Im Oktober 2011 wartete S. in seinem Wagen auf einem Parkplatz bei Freiburg, um rechte Gesinnungsgenossen zu einem konspirativen Nazi-Konzert zu lotsen. Die Antifa hatte jedoch vom Treffpunkt erfahren und wollte S. dort stellen. Als fünf Vermummte auf ihn zuliefen, startete S. seinen Wagen mit durchdrehenden Reifen. Er hätte nach rechts wegfahren können und wäre in Sicherheit gewesen, doch S. steuerte nach links, frontal auf die noch knapp zwanzig Meter entfernte Gruppe der Vermummten zu.
Die meisten Linken konnten ausweichen, doch ein junger Mann wurde mit einer Geschwindigkeit von knapp 30 Stundenkilometern vom Wagen erfasst. Der Linke kollidierte mit der Windschutzscheibe und blieb schwerverletzt auf der Straße liegen. Er erlitt Gehirnblutungen und musste für viele Wochen ins Krankenhaus.
Im ersten Urteil 2012 nahm das Landgericht an, dass S. zwar von der Antifa angegriffen wurde, er aber zur anderen Seite hätte wegfahren können und müssen. Der Angegriffene müsse flüchten, so die Richter damals, wenn der Gegenangriff die Angreifer in Lebensgefahr bringt. Allerdings habe S.' Aussage, er sei nur aus Angst und Panik in diese Richtung gefahren, nicht widerlegt werden können. Das Landgericht wertete die Tat deshalb als entschuldigt und S. wurde freigesprochen.
Der BGH hob den Freispruch jedoch im April 2013 wieder auf. Das Landgericht habe nicht ausreichend geprüft, ob S. überhaupt mit Verteidigungswillen handelte. Denn wenige Tage vorher hatte S. in einer Facebook-Kommunikation davon geschwärmt, wie schön es wäre, eine „Zecke“ in Notwehr zu töten: „ich warte ja nur darauf, dass einer mal angreift! dann kann ich ihn endlich mal die Klinge fressen lassen!“ Der BGH verlangte eine neue Verhandlung, stellte allerdings zugleich klar, dass S. nicht flüchten musste, sondern auch das Recht zum Gegenangriff hatte. Das Recht müsse dem Unrecht nicht weichen. Ein Verurteilung war also auch nach der Intervention des BGH keineswegs sicher.
Erneuter Freispruch – neue Begründung
Eine andere Kammer des Landgerichts Freiburg musste nun seit November den Prozess noch einmal völlig neu aufrollen. Doch nach zehn Verhandlungstagen wurde S. erneut freigesprochen, nun aber mit anderer Begründung.
Die Richter gingen zunächst davon aus, dass S. „selbstverständlich“ eine gefährliche Körperverletzung begangen hat, möglicherweise sogar einen versuchten Totschlag. Vermutlich habe S. "bedingten Tötungsvorsatz" gehabt, so Richter Wiemann. Allerdings sei das Verhalten von S. nicht rechtswidrig gewesen, da er sich auf Notwehr berufen konnte.
Die objektive Notwehrlage war im Prozess unumstritten. Stech sah dass fünf Vermummte auf ihn zukommmen, einer hatte ein Pfefferspray, ein anderer trug mit Quartzsand gefüllte Handschuhe, eventuell war noch ein Schlagstock im Einsatz. Es war klar, dass Prügel drohten. „Das war ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff“, so der Richter.
S. durfte sich also verteidigen. Und dabei habe er auch auf die Angreifer zufahren dürfen. Das Landgericht folgte damit der Vorgabe des BGH. Umstritten war im Prozess jedoch, ob es für Verteidigungszwecke genügt hätte, wenn S. langsamer gefahren wäre, um die Angreifer weniger zu gefährden. Die Freiburger Richter verneinten dies jedoch. Da am Auto des Angeklagten ein Fenster offen stand, hätte er bei langsamer Fahrt damit rechnen müssen, dass die Linken Reizgas ins Auto sprühen oder ihn mit Schlagwerkzeugen attackieren. „Der Angeklagte musste nicht mildere Handlungen wählen, wenn der Verteidigungserfolg dann unsicher wird.“
Die entscheidende Frage war aber, ob S. sich bei seinem Gegenangriff von einem Verteidigungswillen leiten ließ. Dagegen sprach natürlich, dass sich S. erst wenige Tage zuvor auf Facebook eine solche Notwehr-Situation herbeigewünscht hatte, um dann selbst ungestraft losschlagen zu können. Der BGH hatte in seinen Vorgaben allerdings auch klar gemacht, dass es für die Annahme von Notwehr genüge, wenn der Verteidigungswille Teil eines Motivbündels sei. Notwehr sei nur dann ausgeschlossen, wenn andere Gründe (wie Hass auf Linke) dominant sind.
Die Richter erklärten die Facebook-Kommentare nun zwar für „menschenverachtend“, relativierten sie allerdings zugleich. Es sei etwas anderes, zu Hause am Computer zu prahlen, als wenn man von fünf Vermummten elementar bedroht werde. S. habe zwar „abstrakt“ gewusst, dass es zu solchen Angriffen kommen könne, konkret damit gerechnet habe er aber nicht. „Sonst hätte er wohl das Seitenfenster seines Wagens hoch gekurbelt“, argumentierte Richter Wiemann.
„Wir sind zwar nicht davon überzeugt, dass der Angeklagte Verteidigungswillen hatte, können es aber auch nicht ausschließen“, fasste Richter Wiemann zusammen. „Deshalb war der Angeklagte freizusprechen.“ Der Grundsatz „in dubio pro reo“ sei ein hohes Gut im Rechtsstaat und er gelte „ohne Ansehen der Person“.
„Staat und Nazis Hand in Hand, wir organisieren den Widerstand“, riefen Teile des Publikums während der Urteilsverkündung. Die Nebenkläger überlegen noch, ob sie erneut Revision zum BGH einlegen.