Mit einer Aufkleberaktion möchten wir zu den aktuellen Protesten für die Lampedusa-Gruppe betreigen. Das Thema Asyl wird dieser Tage in allen Medien breit diskutiert. Der rechtliche Rahmen, den die EU immer enger schnürt, um die europäischen Außengrenzen „zu sichern“, ist dabei nur einer der Diskussionspunkte. Die Dublin II Verordnung, die Verschärfung des deutschen Asylrechts 1993 und der Einsatz der europäischen Grenzschutzagentur Frontex gestalten das Asylrecht derart, dass Menschen in humanitären Notsituationen de facto kaum Möglichkeiten haben, legal Asyl in den europäischen Ländern zu beantragen, die nicht zu den aktuellen Krisenstaaten gezählt werden.
Spanien, Italien und Griechenland sind bekanntermaßen mit den steigenden Flüchtlingszahlen überfordert und können (und wollen) den humanitären Grundanforderungen, die auch die EU an Flüchtlingsunterkünfte stellt, nicht gerecht werden. Auch die Bearbeitung der Anträge dauert zu lange und die südeuropäischen Rufe nach Hilfe zur Lösung des gemeinsamen „Problems“ werden immer lauter. Dennoch ruhen sich die Staaten des sogenannten reichen Nordens darauf aus, ja nicht direkt betroffen zu sein. Italien, Griechenland und Spanien schließen ihrerseits bilaterale Abkommen mit Ländern wie Marokko und Libyen. Diese verschärfen die Situation der Flüchtlinge noch, da sie das Abfangen der Asylsuchenden bereits vor Erreichen europäischen Bodens garantieren sollen. Die Verantwortlichen der EU schauen dann dabei zu, wie Menschen ohne die Chance, auch nur einen Antrag stellen zu können, in ihre Herkunftsländer verbracht oder auf unbestimmte Zeit in den nordafrikanischen Staaten unter widrigsten Bedingungen festgehalten werden. Selbst wenn es Personen gelingt, in Europa Asyl zu beantragen, werden sie in Lager verbracht und elementarer Grundfreiheiten (Freizügigkeit, Schutz der Privatsphäre, Recht auf Ausübung einer Arbeit, etc.) beraubt.
Weil die Einreise zur Antragstellung auf legalem Weg verhindert wird, machen sich immer wieder Personen auf den gefährlichen Weg über das Meer. Erst wenn wieder Hunderte ertrunken sind, zeigen Politik und Gesellschaft auch hierzulande große Empörung, Trauer und Mitgefühl. Dann überschlägt sich die Presse, dann bleibt bei allen ein ungutes Gefühl. Sobald ein paar Tage, vielleicht auch Wochen vergangen sind, ist alles beim Alten.1 Eigentlich seien die Menschen ja auch selber Schuld, wenn sie diese bekanntermaßen gefährlichen Wege einschlagen, nur um dann von den europäischen Sozialsystemen zu profitieren, heißt es dann wieder. „Wirtschaftsflüchtlinge“ werden sie genannt und damit eigentlich diffamiert. Denn nur aus ökonomischen Gründen Asyl zu suchen, wird weder vom Gesetz, noch von den europäischen Gesellschaften anerkannt. Ironischerweise erfreuen sich in Deutschland Fernsehsendungen größter Beliebtheit, in denen Menschen mit oft niedrigen beruflichen Qualifikationen ins Ausland auswandern, um dort ihr Glück und – um einmal ganz ehrlich zu sein, bedeutet dies nichts anderes als ihr ersehntes Wirtschaftsglück – zu finden.
Zeitungen schreiben von „Strömen an Menschen“, die in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft aus den armen Ländern dieser Welt, in Länder wie Deutschland reisen. Häufig wird zum Thema geschrieben, geredet, werden die Belange durch Demonstrationen auf die Straße gebracht. Selten allerdings werden die Fluchtgründe in den Medien diskutiert. Insbesondere die eigene Verantwortung wird dabei gerne übersehen und die Frage danach, warum die Staaten des sogenannten Südens so vielen Menschen keine andere Perspektive lassen, als die, die Flucht zu ergreifen, kaum gestellt. Kriege sind in der Regel kein rein nationales Problem, sondern wurden und werden durch Interventionen der EU oder der NATO maßgeblich geprägt. (Neo-)Kolonialismus, Waffenexporte, die Zerstörung afrikanischer Fischbestände, die Subventionierung europäischer Agrarprodukte und Lebensmittelspekulationen, führen direkt zur Zerstörung der lokalen Wirtschaft. Die Liste an Verantwortlichkeiten ließe sich beliebig weiterführen. Noch seltener als die Frage, nach den Fluchtgründen zu stellen, wird ein entscheidender Perspektivwechsel unternommen. Eigentlich nie erkennen Politik und Gesellschaft in Staaten der EU, Asyl als elementares Menschenrecht an, das auch für „uns hier“ überlebenswichtig werden könnte. Ein Blick in die Vergangenheit würde dabei bereits genügen. Man stelle sich nur einmal vor, es hätte zur Zeit des Nationalsozialismus die Staaten nicht gegeben, die Menschen auf der Flucht unbürokratisch Hilfe und Asyl gewährten. Es fällt dennoch erstaunlich leicht, das Problem einseitig zu verlagern und sich selbst als keinesfalls betroffen zu sehen.
Genau das beabsichtigen wir mit dieser Aufkleber-Aktion zu verändern. Wir möchten darauf hinweisen, dass Asyl sicher kein Thema ist, mit dem sich erstens nur die Politik auseinanderzusetzen braucht und das zweitens für „uns“ persönlich keine Relevanz hat. Nur weil die Mehrheit der Deutschen ein Dach über dem Kopf, genug zu essen, meist einen Job und ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit genießt, heißt dies noch lange nicht, dass sich die Situation nicht ändern kann. Kriege auch innerhalb der EU sind genauso wenig auszuschließen wie zukünftige Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen. Wenn wir dann also einmal dieses Gedankenspiel vollziehen und uns vorstellen, trotz der Liebe zu Familie und Herkunftsort, trotz all der Vertrautheit mit den Gepflogenheiten des Landes und der Sprache eines Tages gezwungen zu sein, Deutschland verlassen zu müssen … Ja, was dann eigentlich? Dann wird eine_m oder eine_r ganz sicher nicht wohliger ums Herz. Dann versteht man vielleicht, was es für Menschen bedeutet, unter Gefahr des eigenen Lebens alles Geliebte hinter sich zu lassen. Dann begreift man vielleicht, dass Asyl ein unersetzliches Recht ist, das man sich eines Tages möglicherweise selbst zunutze machen muss. Spätestens dann beginnt man hoffentlich zu lernen, dass man anderen das gewähren sollte, was man sich selber wünscht. Wenn schon nicht aufgrund von Moral, Solidarität oder Nächstenliebe, dann wenigstens um seiner_ihrer selbst willen.
Wir laden euch herzlich ein, die hier zur Verfügung stehenden Aufkleber zu nutzen und zu verbreiten!
Vorlagen zum downloaden: http://flucht.blogsport.eu/
1 Parallel zu den allseitigen Mitleidsbekundungen, trieb die Europäische Union mit dem Grenzsicherungssystem Eurosur eine weitere Hochrüstung der europäischen Außengrenzen entscheidend voran. Anfang Dezember 2013 trat der Beschluss schließlich in Kraft.