Gefährdet die geplante transatlantische Freihandelszone Arbeitnehmerstandards?

Erstveröffentlicht: 
16.01.2014

Die Kritik an dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU wächst

 

Nachdem bereits die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di eine Argumentationshilfe erstellt hat, in der allerdings die Arbeitnehmerrechte eher am Rande vorkamen, wurde nun ein Aufruf gestartet, der die TTIP aus Arbeitnehmersicht kritisiert.

Der zentrale Kritikpunkt lautet, dass das Abkommen grundlegende Arbeitnehmerstandards gefährdet. Schließlich haben die USA sechs von acht Normen der Internationalen Arbeitsorganisation nicht unterzeichnet, so die Begründung. Darunter befinden sich so zentrale Punkte wie das Abkommen zum Schutz der Vereinigungsfreiheit oder die Abschaffung von Zwangs- und Pflichtarbeit in Gefängnissen. Durch Zwangs- und Pflichtarbeit erst konnte ein "gefängnisindustrieller Komplex" in den USA entstehen, der mittlerweile eine zentrale Rolle in bestimmten Industriebranchen spielt.

Auch das Abkommen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei Männern und Frauen und eine Norm, die ein Mindestalter bei der Zulassung der Beschäftigung vorsieht, haben die USA nicht unterschrieben.

Sonderzone ohne Arbeiterrechte

Zudem wird in dem Aufruf auf die transatlantischen Sonderzonen in 25 US-Staaten verwiesen, in denen Right- to-Work-Gesetze gelten, die Gewerkschafts- und Arbeiterrechte einschränken. Europäische Unternehmen lagern seit zwei Jahrzehnten häufig Produktionsstätten in diese Right-to-Work-States aus, um von der Tarif- und Gewerkschaftsfreiheit zu profitieren. Wer jetzt meint, der Aufruf bediene die virulenten Anti-USA-Reflexe, um sich die EU dafür umso schöner zu malen, täuscht sich. Denn im Aufruf wird auch sehr klar vor allem die Krisenpolitik der EU kritisiert. So heißt es in dem oben genannten Aufruf, unterzeichnet von Gewerkschaftern, Fachjuristen, Politikern und Sozialwissenschaftlern:

"Die Staaten der EU haben zwar die meisten Normen der ILO ratifiziert, halten sich aber in abnehmendem Maße daran. Bei den 'Rettungsmaßnahmen' der EU für Griechenland, Spanien, Italien und Portugal setzt die EU zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Menschenrechtsnormen außer Kraft, etwa wenn Tarifverträge aufgelöst, Lohnsenkungen verordnet und Streiks erschwert werden.

Nach unserer Einschätzung sind es auf beiden Seiten des Atlantiks genau diese Staaten mit verschärften Arbeitsbedingungen und schwacher Verhandlungsposition der Arbeitnehmerschaft, die für Produktionsverlagerungen interessant sind."

Dass es in den USA mit den Arbeiterrechten schlechter bestellt ist, liegt einmal an der traditionellen Schwäche der Gewerkschaften, von einigen Ausnahmen abgesehen, und an der Dominanz einer Ideologie, die jeden Organisationsversuch als Anschlag auf einen Freiheitsbegriff versteht, der die totale Individualisierung abfeiert und damit die Grundlagen für fast schrankenlose Ausbeutung legt.

Es gab und gibt in den USA immer wieder beachtliche Anstrengungen, sich gegen die Anhänger dieses Freiheitsbegriffs zu wehren. Vor zwei Jahren hat eine wochenlange Mobilisierung im US-Bundesstaat Wisconsin weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Hier haben Gewerkschaften, soziale Bewegungen und durch die Occupy-Bewegung politisierte Aktivisten für einige Wochen gemeinsam agiert. Letztlich hat sich der durch die Teaparty-Bewegung unterstützte Gouverneur mit Hilfe von Gewalt, Manipulation und Demagogie durchgesetzt.

Wer nun die Arbeitsgesetze in den USA angreift, unterstützt damit auch in den USA die Menschen, die sich gegen die Einschränkung ihrer Rechte wehren. Auch in Europa ist es in den vergangenen Jahren immer schwierig gewesen, erkämpfte Gewerkschafts- und Arbeiterrechte zu erhalten. Die Krise ist stets ein probates Mittel, um sie zu streichen.

Daher wird der Aufruf auch nur dazu dienen können, eine öffentliche Debatte zu führen. Sollten die Forderungen eine Chance haben, umgesetzt zu werden, müsste sich schon eine Massenbewegung etablieren. Letztlich dienen die Freiheithandelsabkommen nur dazu, die Konzerne noch einflussreicher zu machen.

RWE - oder die Macht der Konzerne

Wenn die Konzerne wegen entgangener Gewinne klagen können, wenn eine Regierung die Umweltbestimmungen, den Arbeits- oder Gesundheitsschutz zu ernst nimmt, wird eigentlich sehr deutlich, welche Interessen hier bedient werden. Dazu braucht es nicht unbedingt ein Freihandelsabkommen.

Schon heute sind die Bestimmungen konzernfreundlich. Das zeigte eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig, die dem RWE-Konzern eine Entschädigung in dreistelliger Millionenhöhe zusprach, weil die hessische Landesregierung nach der Atomkatastrophe von Fukushima die Reaktorblöcke des AKW Biblis abschalten ließ.

Dadurch war dem Konzern eine Gewinneinbuße entstanden. Damit wurde noch einmal deutlich, dass weder ein Mehrheitswille, den es bei der AKW-Abschaltung gab, noch die Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung zählt, wenn der Gewinn eines Unternehmens eingeschränkt werden könnte. Dabei gehört RWE zu den Konzernen, die hohe Gewinne auch mit der Atomkraft gemacht haben und die Folgekosten für Transport, Lagerung etc. gerne der Gesellschaft überlassen. Und es sind Gesetze, die dieses Verhalten für rechtmäßig erklären.