Extremismusklausel in NRW

Erstveröffentlicht: 
31.08.2012

Extremismusklausel in NRW

Expertenmeinung

 

Dr. Dierk Borstel zum Thema "Antifacamp"

 

Im Zusammenhang mit der Debatte um die Durchführung des "Antifacamps" in Dortmund stellen wir Ihnen den der Stadt Dortmund bekannt gewordenen Beitrag "Update Dortmund - Braucht es ein Antifacamp in Dorstfeld?" von Dr. Dierk Borstel (Universität Bielefeld) zur Verfügung. Der Wissenschaftler ist Mitverfasser der Studie "Rechtsextreme Strukturen in Dortmund". Entgegen anders lautenden Hinweisen verfasste der Autor den Beitrag aus eigenem Antrieb - und nicht auf Veranlassung der Stadt Dortmund oder auf Wunsch des Dortmunder Oberbürgermeisters. Das kann man getrost aus den beiden ersten Worten des Textes ableiten.

 

Update Dortmund - Braucht es ein Antifacamp in Dorstfeld?

Von Dierk Borstel (Universität Bielefeld)


Dortmund "verkommt" zu einem Musterbeispiel der Selbstreproduktion medialer Bilder und das hat zunehmend politische und gesellschaftliche Folgen vor Ort. Besonders der Stadtteil Dorstfeld ist zu einem Inbegriff des Bösen geworden. Die Außenbetrachtungen ergeben ein einhelliges Bild: Der Stadtteil habe ein massives Naziproblem. Dort agieren die modernen Autonomen Nationalisten. Die seien besonders gefährlich, da man sie nicht mehr leicht erkenne, sie strategisch an der Besetzung "ihres" Stadtteils arbeiteten, Nachwuchs rekrutierten und massiv gewaltbereit seien. Die Stadt und der Stadtteil hätten das Problem zunächst nicht erkannt, dann verniedlicht und jetzt sei es quasi zu spät. Rettung versprach zwischenzeitlich ein Antifacamp vor Ort, zu dem antifaschistische Kräfte aus dem ganzen Bundesgebiet mobilisierten, um vor Ort eine Gegenmacht aufzubauen.

 

An diesem Bild ist immerhin nicht alles falsch. Es ist aber auch nicht richtig und bedarf dringend der Differenzierung, um daraus die richtigen politischen Konsequenzen zu ziehen. Unzweifelhaft ist, dass es in Dorstfeld Rechtsextremisten gibt. Das bestreitet übrigens schon ewig niemand mehr in der Stadt. Im Gegenteil: Dortmund dürfte beim öffentlichen Umgang mit der Problematik mittlerweile ein bundesweites Vorbild sein. Konkret gibt es zwei Gruppierungen: Autonome Nationalisten (AN) und eine sogenannte Skinheadfront Dorstfeld. Sie lassen sich grob in zwei Kategorien einordnen. Die Autonomen Nationalisten sind moderne Rechtsextremisten. Sie kleiden sich modisch, sind strategiefähig, gut vernetzt, gewaltbereit und überaus aktiv. Die Skinheadfront hingegen ist vor allem eine Gruppe saufender und massiv gewaltbereiter Rechtsextremisten. Unangenehm sind beide. Die Skinheadfront ist dabei vor allem ein Fall für Polizei und Justiz, die Autonomen Nationalisten brauchen differenzierte Antworten aus Politik und Gesellschaft. Und das ist der Punkt, wo das mediale Bild der Entwicklung vor Ort hinterherläuft.

 

Entgegen der landläufigen Meinung haben sich Stadt, Bezirk, Polizei und Bürgergesellschaft schon länger organisiert und operieren durchaus mit Erfolg bei der Bekämpfung der rechtsextremen Dominanzversuche. Vor Ort tagt regelmäßig ein aktiver Runder Tisch mit allen zentralen Vertretern der Bezirksebene. Die Lage ist analysiert, auf die großen Veranstaltungen der AN wird schnell und umfassend reagiert. Die Polizei hatte den Handlungsdruck auf die Rechtsextremisten schon vor dem aktuellen Verbot deutlich erhöht. Der von den Rechtsextremisten betriebene Raumkampf wurde von demokratischer Seite angenommen und zunehmend auch selbst aktiv betrieben. Seitdem stagniert die örtliche rechtsextreme Szene übrigens. Es gibt seit Jahren keine rechtsextremen Geländegewinne mehr. Im Gegenteil: es gab sogar symbolische Niederlagen u.a. auf dem Wilhelmplatz in Dorstfeld, der von den Rechtsextremisten zur "national befreiten Zone" erklärt worden war. Anlässlich der letzten Antikriegsdemonstration in der Stadt wollten AN-Kader "ihren" Platz trotz der örtlichen Gegenveranstaltungen betreten. Es waren dann Rentner und andere Anwohner der Stadt, die sich den Rechtsextremisten face to face entgegenstellten und sie lautstark vom Platz vertrieben. Den Rechtsextremisten fehlten die Instrumente, um sich dieser Positionierung aus der Mitte der Gesellschaft vor Ort zu erwehren.

 

Dieser Machtdemonstration vorausgegangen war der langwierige Aufbau gegenseitigen Vertrauens vor Ort. Vor allem der Runde Tisch als auch das Wirken der Stadt und der Polizei haben diesen qualitativen Fortschritt der Auseinandersetzung erwirkt. Das polizeiliche Verbot des "Nationalen Widerstands" in Dortmund - gemeint sind beide rechtsextremen Gruppen - mit den flankierenden Beschlagnahmungen und Hausdurchsuchungen auch jenseits von Dortmund - traf die örtliche Szene ins Mark. Sie ist verunsichert, nochmals geschwächt und muss sich neu organisieren. Dieser polizeiliche Schritt wäre nicht ohne Rückhalt in der Bürgergesellschaft möglich gewesen. Er ist das Resultat der vorangegangenen Vertrauensbildung und Kooperationslandschaft in der Stadt.

 

Alle Probleme sind damit natürlich noch nicht beseitigt. Der Rechtsextremismus hat sich nicht erledigt - im Gegenteil. Er wird sich neu aufstellen und wie das erfolgt, ob in Dorstfeld oder woanders, ist völlig offen. Dortmund erlebte bereits in den letzten Monaten wieder viele Gewalttaten von rechtsextremer Seite. Sie lassen sich als Ausdruck rechtsextremer Schwäche vor Ort interpretieren und könnten nochmals zunehmen. Der Raumkampf ist an Grenzen geraten und der Zuwachs zur Szene gestoppt. Die letzte Antikriegsdemonstration war schwach besucht. Vor allem fehlten die Vertreter der zahlreichen rechtsextremen Gruppen um Dortmund herum, die von den AN unterstützt wurden. Es waren die eigenen "Kameraden", die die Dortmunder im Stich ließen und die Demokraten, die Grenzen setzten und Räume zurückeroberten. Von einem Sieg über den Rechtsextremismus kann trotzdem noch keine Rede sein. Aber: quantitative und qualitative Fortschritte in der Auseinandersetzung ausgehend aus der Dortmunder Stadtgesellschaft sind unverkennbar.

 

Solche aktuellen Entwicklungen lassen sich jedoch nur erkennen, wenn man sich ernsthaft mit der Situation vor Ort befasst. Daran schienen einige Organisatoren des Antifacamps kein gesteigertes Interesse zu haben. Ihr Vorhaben polarisiert die Bürgergesellschaft vor Ort und droht den entwickelten Konsens zum Rechtsextremismus an einer künstlichen Frage - nämlich dem Umgang mit der Antifa - zu zerbrechen. Nutzen davon hätten zwei Gruppen. Vor allem natürlich die Rechtsextremisten, die wieder mehr Spielräume hätten. Und dann auch jener Teil der radikalen Linken, dem es im Kern um die Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft geht. Diese Gruppe will die Rechtsextremisten funktionalisieren, um die angebliche Verdorbenheit der real existierenden Demokratie zu zeigen.

 

Es lohnt an dieser Stelle, etwas genauer die antifaschistische Szene und ihre innere Vielfalt zu betrachten, um die Entscheidung der Stadtverwaltung zu verstehen. Antifaschisten eint in der Regel ein Erklärungsmuster des Rechtsextremismus, das unmittelbar mit der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft verbunden ist. Ein solches Verständnis ist natürlich legitim, greift analytisch zwar zu kurz, ist aber selbstverständlich vom Grundgesetz gedeckt. Viele junge Menschen sehen in der Antifa einen authentischen, aktiven Kämpfer gegen Rechtsextremismus und fühlen sich davon angezogen. Ihnen sollte jede Stadtgesellschaft die Hand reichen. Viele ältere Antifaschisten eint eine explizit linke Gesellschaftskritik. Auch dagegen spricht nichts. In Dortmund wurden Vertreter dieser Gruppen offen zu den verschiedenen Initiativen und Kreisen eingeladen, um ihre Expertisen dort einzubringen. Viele Dortmunder Antifaschisten haben sich in den letzten Jahren auch aktiv an den Fortschritten der Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten beteiligt. Zur antifaschistischen Szene gehören jedoch auch gewaltbereite "Reisekader". Vor ihnen warnte die Polizei in Dortmund. Bei den Gesprächen mit der Stadtverwaltung, in denen um eine Genehmigung des Camps gerungen wurde, war ein bestimmendes Thema die Gewaltfreiheit. Die Anmelder waren nicht in der Lage, einen Gewaltverzicht für die eigenen Reihen zu erklären. Das führte schließlich zur Entscheidung der Stadtverwaltung.

 

Blickt man in diesen Tagen auf die Ereignisse in der Stadt, zeigt sich schnell die differenzierte Erscheinung der antifaschistischen Szene. Die Störung z. B. der Rede des Bürgermeisters Anfang der Woche erfolgte von antifaschistischen Gästen. Die Dortmunder Szene beteiligte sich nicht daran, schien selbst befremdet zu sein, schaffte es aber auch nicht, sich von der Aktion zu distanzieren.

 

Was folgt nun daraus für den Fortgang der Dinge vor Ort? Zunächst ist zu hoffen, dass die demokratische Gegenwehr vor Ort trotz aller Provokationen wirksam bleibt. Nichts würde Rechtsextremisten und die Reisekader in der radikalen Linken mehr ärgern. Das ist die Aufgabe aller ernsthaften Demokraten. Die Antifaschisten müssen die Frage beantworten, ob sie ernsthaft den Rechtsextremismus oder doch den Staat bekämpfen wollen. Geht es ihnen um die Rechtsextremisten, sollen sie ihr Knowhow in die örtliche Bündnisarbeit mit einbringen. Viele Dortmunder Antifaschisten gehen bereits diesen Weg. Das ist nachhaltig und sinnvoll.

 

Das Camp hingegen ist nur eine kurzfristige Provokation. Es basiert auf einer verkürzten und fehlerhaften Zustandsbeschreibung Dortmunder Verhältnisse. Vor allem den jungen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren wollen und dies mit Gesellschaftskritik verbinden, muss weiterhin die Hand gereicht werden. Vielleicht lohnt es sich sogar, diesbezüglich über neue Formen und Angebote nachzudenken. Auch ist zu hoffen, dass sich in Teilen der überregionalen Medien die neueren Entwicklungen vor Ort herumsprechen. Niemand soll Probleme leugnen. Eine saubere Berichterstattung zeigt aber auch das Bemühen der Dortmunder Stadtgesellschaft auf, und dieses ist in seiner Breite und Intensität beeindruckend.