Villingen-Schwenningen/Karlsruhe - Mit bundesweiten Razzien und zwei Verhaftungen gelang dem Bundeskriminalamt (BKA) am Mittwoch ein Schlag gegen das Neonazi-Netzwerk Altermedia.
Die Internet-Seite war Verfassungsschützern schon länger ein Dorn im Auge: ein Blog, in dem laut Bundesanwaltschaft "massenhaft und systematisch" rechtsextremistisches und nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet werde. Von Gewaltaufrufen gegen in Deutschland lebende Ausländer über die Verächtlichmachung von Menschen anderen Glaubens und anderer Hautfarbe bis hin zur Leugnung des Holocausts soll dort alles zu lesen gewesen sein.
Kein Wunder also, dass die Haftbefehle gegen führende Köpfe von Altermedia an höchster Stelle ergingen: vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. Gestern holten Ermittler des Bundeskriminalamts zum großen Schlag gegen die Neonazi-Plattform aus: 60 Beamte durchsuchten in den frühen Morgenstunden bei Razzien Wohnungen in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Berlin und Thüringen sowie Lloret de Mar/Spanien. Mit dabei: die Wohnung des 27-jährigen Ralph-Thomas K. aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis. Er wurde noch an Ort und Stelle verhaftet und soll einer von fünf Drahtziehern von Altermedia sein.
Villingen-Schwenningen: Rechtsradikale demonstrieren auf Marktplatz
Gemeinsam mit der 47-jährigen Jutta V. aus Bielefeld, die gestern laut Bundesanwaltschaft ebenfalls verhaftet wurde, soll der nach Informationen unserer Zeitung aus St. Georgen im Schwarzwald stammende Ralph-Thomas K. als Administrator Beiträge des Blogs für das Internet freigeschaltet haben.
Das Netzwerk Altermedia hat eine lange Vergangenheit und wurde von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bereits verboten. Seit der Jahrtausendwende galt Altermedia, ehemals "Störtebeker-Netz", als bei Neonazis angesagtes Portal, in dem hin und wieder sogar Interna der NPD ausgebreitet wurden und das daher auch für staatliche Stellen zur "Pflichtlektüre" gehört haben soll, wie aus Verfassungsschutzberichten zu erfahren ist.
Jetzt jedoch hat das offenbar ein Ende: Der Server in Russland, auf den die Betreiber laut Bundesanwaltschaft gesetzt haben, um den Armen der deutschen Justiz zu entkommen, ist vom Netz genommen worden.
Ralph-Thomas K.s Netzwerk im Schwarzwald-Baar-Kreis indes gibt es weiterhin. Man hält zusammen: Weggefährten von Ralph-Thomas K., die unsere Zeitung im Zuge der Recherchen gestern kontaktierte, geben sich unwissend und ahnungslos, wollten K. gestern teilweise nicht einmal kennen.
Dabei ist der 27-Jährige in seiner Heimat gut vernetzt. Er spielte dort auch in Neonazikreisen eine bedeutende Rolle. 2014 wollte er bei den Kreistagswahlen für die Deutsche Liga für Volk und Heimat sogar in den Kreistag des Schwarzwald-Baar-Kreises einziehen. Er scheiterte. In seinen politischen Aktivitäten jedoch ließ er sich durch die Wahlschlappe nicht ausbremsen: Immer wieder zeigte er sich Augenzeugen zufolge bei wichtigeren Aufmärschen der NPD sowie der Freien Kräfte im süddeutschen Raum. Und es war nicht zuletzt seine Teilnahme und Tätigkeit als Ordner bei den Kundgebungen des regionalen Pegida-Ablegers Sbh-Gida in Villingen-Schwenningen, die Kritikern dieser Versammlungen als sicheres Indiz für eine rechtsradikale Ausrichtung der Sbh-Gida dienten.
Villingen-Schwenningen, die Doppelstadt, in der sich Baden und Württemberg vereinigen, hat sich in den vergangenen Jahren einen traurigen Ruf als braune Hochburg erworben. Bei den Sbh-Gida-Kundgebungen reisten Neonazis aus dem kompletten süddeutschen Raum sowie der Schweiz in das Oberzentrum. Die inzwischen offiziell aufgelöste Gruppe hatte den stärksten Zulauf aller Pegida-Ableger in Baden-Württemberg.
Für die Deutsche Liga für Volk und Heimat hat es der NPD-Mann Jürgen Schützinger bereits seit 1980 in jeder Wahlperiode in den städtischen Gemeinderat geschafft. Und immer wieder finden in Lokalen in Villingen-Schwenningen nationalsozialistische Stammtischrunden für einschlägig Interessierte statt.
Jetzt durchkämmen auch Ermittler der Bundesanwaltschaft die rechte Szene rund um die Kreisstadt: Wegen "der besonderen Bedeutung des Falles", so die Bundesanwaltschaft, liegen die Nachforschungen zum Fall Altermedia nur in ihren Händen.
Die strafbaren Inhalte des Internetportals wurden weltweit und frei zugänglich verbreitet: "Sie sollen andere Rechtsextremisten zu weiteren Straftaten ermuntern und schaffen dadurch ein Klima der Angst bei den betroffenen Personengruppen."
Gestern Abend bekundete eine 17-köpfige Gruppe von Sympathisanten im Villinger Zentrum ihre Solidarität mit dem verhafteten Drahtzieher aus St. Georgen und schwenkte dabei NPD-Fahnen.