[MR] Antifaschistischer Jahresbericht 2014 – Marburg

Jahresbericht 2014

Naziburschenschafter, die “Alternative für Deutschland” und ein Angriff auf ein Wohnheim von Refugees. Das Jahr 2014 war aus antifaschistischer Perspektive geprägt von aufkeimenden neuen Strukturen der extremen Rechten in Marburg-Stadt und Umland.

 

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Inhalt:

  • Einleitung
  • Angriffe in Wohratal
  • Burschenschaft Germania
  • Burschenschaft Rheinfranken
  • Alternative für Deutschland
  • Lumdatal
  • Sarrazin Lesung
  • FN Hessen
  • NPD
  • Die Rechte
  • Messerstecherei mit Todesfolge
  • Social Media Phänomene

 

1.     Einleitung

 

Naziburschen, die “Alternative für Deutschland” und ein Angriff auf ein Wohnheim von Refugees. Das Jahr 2014 war aus antifaschistischer Perspektive geprägt von aufkeimenden neuen Strukturen der extremen Rechten in Marburg-Stadt und Umland.

 

Die Burschenschaften Germania und Rheinfranken entwickeln sich zunehmend zu einem Gebilde, das mit freier Kameradschaft eigentlich besser umschrieben wäre, die AfD hat seit der Europawahl nun auch in Marburg den Fuß in der Tür und in Wohratal greifen Jugendliche ein Wohnheim von Geflüchteten an.

 

Der vorliegende antifaschistische Jahresbericht will rückblickend auf zwei Entwicklungen hinweisen und mögliche Handlungsfelder für das kommende Jahr vorschlagen: Die Verwischung der Grenzen zwischen intellektuellen Rechten und Stiefelnazis in der Lutherstraße machen antifaschistische Intervention auch jenseits der üblichen Kritik am Verbindungswesen notwendig. Der Vortrag von Peter Gauland (AfD) auf dem Rheinfrankenhaus fügt sich hier nahtlos ein, mit einem gelungenen Anschluss der extremen Rechten an die bürgerliche Rechte.

 

Des Weiteren darf der Blick nicht allein auf der Stadt Marburg ruhen. Rassistische Übergriffe, wie in Wohratal, enstehen weder im luftleeren Raum und noch sind sie Einzelfälle. Deshalb muss gerade auch in den ländlichen Gebieten des Marburger Umlandes verstärkt antifaschistische Präsenz gezeigt werden um präventiv wirksam zu sein.

 

Es soll selbstverständlich kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden.

 


2.     Angriffe in Wohratal


In der Nacht zum Sonntag den 12.01.2014 kam es zu Angriffen auf ein AsylbewerberInnenheim in Wohratal bei Marburg. Gegen 4.30 Uhr morgens traten  vier Männer aus Wohra und Kirchhain die Eingangstür des Heims ein, zerstörten die Fenster und Rollläden des Erdgeschosses. Die Täter bedrohten und beleidigten die Bewohner_innen und schlugen nahezu alle Türen zu den Wohnungen ein. Die Randale dauerte über eine halbe Stunde, verletzt wurde glücklicherweise niemand. Die spät eintreffende Polizei verharmloste zunächst den Vorfall.

 

Als politische Reaktion auf den Übergriff erfolgten am 01.02.2014 in Marburg (100 Teilnehmende) und am 22.2. in Dautphetal (400-500 Teilnehmende) antifaschistische Demonstrationen.

 

Am 11.04. wurden von einer größeren Gruppe Jugendlicher nachts erneut in unmittelbarer Nähe zum Asylbewerber_innenheim Naziparolen gerufen.

 

Am 23.06. standen die Täter des Angriffs vom 12.01. vor Gericht in Marburg. Der Prozess wurde von antifaschistischen Gruppen mit einer Kundgebung (50 Teilnehmende) begleitet. Alle Täter haben einen Bezug zu einer rechten Lebenswelt, sind jedoch nicht im neonazistisch organisiert. Der Richter erkannte klar einen rassistischen Hintergrund an, das Urteil richtete sich in Teilen nach dieser Feststellung. Das Strafmaß reichte von einer 2 jährigen Bewährungsstrafe bis 2 Wochen Jugendarrest.

 


3.     Burschenschaft Germania

 

Die Burschenschaft Germania (Lutherstraße 3), eine seit langen Jahren extrem rechts positionierte Burschenschaft, spielt für 2014 und 2015 eine besondere Rolle. Sie wurde im Juni 2014 auf dem Burschentag des Dachverbands Deutschen Burschenschaft (DB) in Eisenach zur neuen Vorsitzenden für 2015 gewählt. Damit stellt sie organisatorische Struktur für bundesweite rechte Politik. Sprecher der DB ist der Marburger Torben Braga.

 

Am 25.01.2014 veranstaltete die Burschenschaft Germania den sogenannten Marburger Diskurs. Dort konnte sich die neonazistische bis neurechte Autorenschaft aus der ganzen Bundesrepublik profilieren. Es sprachen Felix Menzel (Blaue Narzisse), Erik Lehnert (Sezession) und Manuel Ochsenreiter (Zuerst!) zum Thema „Europa“. Aktivensprecher Philip Stein hielt ein Grußwort. Aus Protest gegen die Veranstaltung gab es mehrere Angriffe auf Burschenschaftshäuser.

 

Mitte Februar verteilten zwei Rheinfranken zusammen mit dem Aktivensprecher der Germania Marburg, Philip Stein, und einem Kameradschaftsaktivisten Werbung für den Naziaufmarsch in Dresden. (siehe Rheinfranken)

 

Am 25.06. fand ein Vortrag zur Verlagsbranche statt. Weiterhin wurde am 05.07 ein Sommerfest veranstaltet, beides im kleinen Rahmen.

 

Am 06.07. trat die Burschenschaft Germania auf dem Marktfrühschoppen mit 6 Aktiven Mitglieder und mehreren Alten Herren auf.

 

Aktivisten der Burschenschaft Germania beteiligten sich an der extrem rechten Messe „Zwischentag“ in Bonn am 06.09.2014, unter anderem als Aussteller und Redner.

 

Die Burschenschaft Germania ließ Antifa-Aufkleber drucken, die mit einem QR-Code auf ihre eigene Website verwiesen.

 

Am Sonntag den 16.11.2014 versuchte die Burschenschaft Germania einen Fackelmarsch am Schlossberg durchzuführen, was allerdings nach einem Angriff von AntifaschistInnen misslang.Dieser Fackelmarsch wurde den darauffolgenden Dienstag den 18.11.2014 in aller Stille wiederholt.

 

Im Dezember 2014 enttarnte eine linke Veröffentlichung, dass ein Gutteil der Burschenschaft Germania aus Neonaziaktivisten besteht. Auch der Anmelder eines Naziaufmarsches ist darunter.

 

Der Aktive der Burschenschaft, Tobias Sauer ist zudem stark mit dem Nachfolger des verbotenen Kameradschaftsnetzwerks Freies Netz Süd, der Kleinstpartei Der Dritte Weg vernetzt. Darauf lässt sich auch die neonazistische Berichterstattung der Partei über antifaschistische Aktivitäten in Marburg zurückführen. (siehe Rheinfranken)

 

Ebenfalls im Dezember kündigten sich Germania-Aktivisten zu den rassistischen KAGIDA Protesten in Kassel an, die ein Ableger der PEGIDA Bewegung sind. Die Teilnahme erfolgte nach bisheriger Quellenlage nicht. Jedoch nahmen Mitglieder Marburger DB-Burschenschaften in Dresden bei den montäglichen PEGIDA Demos teil, dabei führte ein geschlossener Block aus DB-Aktivisten Fahnen der Jenaer Urburschenschaft mit sich. Der Aktivensprecher und neurechte Autor Philip Stein resümierte ausführlich in der neurechten Blauen Narzisse die PEGIDA Demos in Dresden.

 

Eine sogenannte Wintersonnenwendfeier der Germania am 21.12.2014 wurde nach Druck von außen und geringer interner Resonanz abgesagt.

 

Insgesamt wurde das Level der Aktivitäten vom Vorjahr der Burschenschaft aufrecht erhalten bis intensiviert.



4.     Burschenschaft Rheinfranken


Die Burschenschaft Rheinfranken in der Lutherstraße 5 füllte sich 2014 weiter mit Neonazis. Ein Nazikader aus Unna, Bastian Löhr, sowie die zwei Aktivisten der zersprengten Kameradschaft um die Nazigruppe „Lumdatal Stimme“, Philipp Schmuck und Lukas Reuter (siehe Lumdatal) fanden sich in deren Reihen ein. Damit wurde den Rheinfranken wieder einmal eine Zusammenarbeit mit aktiven Neonazis aus dem Umland nachgewiesen.

 

Im Februar verteilten zwei Rheinfranken zusammen mit dem Aktivensprecher der Germania Marburg, Philip Stein, und einem Kameradschaftsaktivisten Werbung für den Naziaufmarsch in Dresden.

 

Weiterhin ist aus der Verschmelzung von Neonazis und Burschenschaftern das Label „Nationaler Widerstand Marburg“ entsprungen. Dies wurde jedoch nur für eine Stickerkampagne benutzt, mit einem Drohmotiv gegen linke Einrichtungen in der Stadt.

 

Ein Angriff mit „Schlagstöcken und Reizgas“ auf drei Rheinfranken und einen Neonazi aus deren Umfeld in Marburg fand Erwähnung auf der Website der Neonazipartei „Der Dritte Weg“ sowie der „Identitären Bewegung Lumdatal“. Dem Überfall, bei dem die Angreifer mit „Schlagstöcken auf die nationalgesinnten Studenten einschlugen“ folgten „diverse Prellungen an Kopf und Armen“. (siehe Germania)

 

Sonst nahmen am 16.11.2014 mehrere Aktive der Rheinfranken am gescheiterten Fackelmarsch-Heldengedenken der Burschenschaft Germania teil. (siehe Germania)

 

Im Dezember 2014 besuchten 3 Aktive der Rheinfranken einen Prozess gegen führende Kader der Neonaziszene des Siegerlands in Dillenburg, unter ihnen der Aktivensprecher Adrien Volkmann. Der Prozess drehte sich um die Schändung jüdischer Friedhöfe in der Region Westerwald. Ihr Bundesbruder Björn Clemens hatte das Amt des Verteidigers inne.

 

Ebenfalls im Dezember kündigten sich Rheinfranken zu den rassistischen KAGIDA Protesten in Kassel an, die ein Ableger der PEGIDA Bewegung sind.

Die Burschenschaft veranstaltete 4 öffentliche Vorträge in ihrem Haus. Alle stammen inhaltlich aus dem nationalkonservativen Spektrum und wurden mit Flyern in der Universität beworben.

 

09.05. Michael Klonovsky (Buchvorstellung)

 

16.05. Alexander Gauland AfD Brandenburg, Stellvertretender Sprecher der AfD (Thema: „Was ist konservativ?“)

 

27.11. Dieter Stein Redakteur Junge Freiheit (Buchvorstellung “Für eine neue Nation: Nachdenken über Deutschland”)

 

05.12. Werner Nickel CDU, Aktion Linkstrend stoppen (Thema: “Konservative in den Unionsparteien – ein Auslaufmodell?”)

 

Damit redeten Vertreter von AfD und CDU bei der Neonaziverbindung.

 

Insgesamt hielten die Rheinfranken den Umfang ihrer Aktivitäten im Vergleich zum Vorjahr.



5.     Alternative für Deutschland


Die rechte Partei Alternative für Deutschland (AfD) veranstaltete eine am 05.05.2014 die Haupt-Wahlkampfveranstaltung mit dem Parteiführer Bernd Lucke im Technologie- und Tagungszentrum. Im Vorhinein gab es Sachbeschädigungen am Veranstaltungsort. Rund 100 Menschen protestierten gegen den Lucke Auftritt. Wegen des antifaschistischen Protests vor der Tür erhielten nur rund 60 Parteimitglieder mit Parteiausweis Einlass zur Veranstaltung, potentielle Wähler_innen wurden nicht eingelassen. Extrem rechte Burschenschafter aus der DB kündigten sich an, kamen aber nicht. Allein die Burschenschaft Alemannia tauchte mit 4 Aktiven auf und musste dann wieder gehen.

 

Trotz der fehlenden Unterstützung des Kreisverbands der AfD trat nationalkonservative Alexander Gauland (Stellv. Sprecher der AfD) am 16.05 bei der neonazistischen Burschenschaft Rheinfranken auf. Er sprach zum Thema „Was ist konservativ?“. (siehe Rheinfranken)

 

Weiterhin konnte die gesamte Stadt von Plakatwerbung der AfD freigehalten werden. Jedoch konnte die AfD zwei unangekündigte Wahlkampfstände in Marburg Stadt ungestört abhalten.

 

Bei einer Podiums-Wahlkampfveranstaltung am 24.04. im Haus der Burschenschaft Alemannia Marburg (NDB) wurde Gunther Nickel, der ehemalige hessische Landesvorsitzende, ein Podium geboten.

 

Summa Sumarum erzielte die AfD im Kreis Marburg Biedenkopf bei den Europawahlen 7,49% bei 5.397 Stimmen, im Stadtgebiet Marburg 5,84% bei 1.557 Stimmen.

 

Der Kreisvorstand der AfD bestand 2014 aus 7 Personen: Hadi Riedel, Thomas Preis, Gerd Wormsbächer, Robin Haupt, Wilfried Kissel, Teja Lichtenberg sowie Mario Seidel.


Der Aktivitäten-Level der Partei, auch außerhalb der Strukturen für die Wahl, stieg an.



6.     Lumdatal


Die ehemalige Nazigruppe „Lumdatal Stimme“, aufgegangen in der JN Lumdatal 2013 und Teil des FN Hessen, ist weitgehend inaktiv. Zwischenzeitlich wurde das Label „Division Mittelhessen“ erneuert und als Twitter-Kanal benutzt. Danach übernahm die mediale Abdeckung die „Identitäre Bewegung Kreis Gießen/Lumdatal“.

 

Zwei Aktivisten der ehemaligen Gruppe traten nach der Aufnahme eines Studiums in die Burschenschaft Rheinfranken (siehe Rheinfranken) als Anwärter ein.

 

Letzte Aktivitäten der Gruppe zeigten sich in einer Sachbeschädigung an der Baustelle eines Asylbewerber_innenheims in Londorf. Daraufhin gab es eine Mahnwache des örtlichen Bündnis gegen Rechts.

 

Die Aktivitäten der Gruppe sind im Vergleich zu den Vorjahren nahezu zum Erliegen gekommen.



7.     Sarrazin Vortrag


Die für April angesetzte Buchvorstellung von Thilo Sarrazins „Der neue Tugendterror“ des Literaturclubs Literatur um 11 wurde nach Sachbeschädigungen am Veranstaltungsort abgesagt. Der Literaturclub, ansässig in der Aulgasse 4 in Marburg, distanzierte sich nicht von den rassistischen Thesen Sarrazins.

Seit der Absage werden auch weiterhin wertkonservative Autoren zu Lesungen eingeladen.

 


8.     FN Hessen


Das glücklose und photoshopaffine Kameradschaftsnetzwerk Freies Netz Hessen richtete sein „Heldengedenken“ am 16.11.2014 im Kreis Marburg Biedenkopf aus. Das Kriegerdenkmal in Dautphetal-Friedensdorf musste dafür herhalten, nach Polizeiangaben erschienen 20-30 Personen. Weitere Aktivitäten des FNH konnten in Marburg Biedenkopf nicht festgestellt werden.

 


9.     NPD


Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) spielte in Marburg Biedenkopf 2014 abseits einer Zeile auf den Wahlzetteln keinerlei Rolle. Den langjährigen Vorsitz des Kreisverbands Marburg-Gießen hat Alfred Horst aus Lohra inne.

 

Damit hielt sie ihr nicht existentes Engagement und Wahlerfolge der Vorjahre aufrecht.



10.   Die Rechte


Die Kleinstpartei „Die Rechte“ versuchte im Jahr 2014 in Hessen Strukturen aufzubauen. Dies missglückte unter anderem durch den Aktivisten Christian Göppner aus Marburg-Biedenkopf, der zwischenzeitlich den hessischen Landesvorsitz innehatte. Der hessische Landesverband löste sich in die „Nationalen Sozialisten Main-Kinzig auf“.

 


11.    Messerstecherei mit Todesfolge


Am Morgen des 12.10.2014 wurde an der Ecke Reitgasse/Schuhmarkt in Marburg ein 20-jähriger Studierender erstochen. Der 26-jährige Tatverdächtige studiert Pharmazie und ist Verbindungsstudent aus der Landsmannschaft Nibelungia zu Marburg. Die Tat erfolgte im Streit um ein Anzugs-Einstecktuch.

 

Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass die Tat politisch motiviert war.


12.    Social Media Phänomene


Im Rahmen der bundesweiten rassistischen Anti-Flüchtlingsproteste wurde Ende 2014 die Facebookpage „Nein zum Heim in Ebsdorf“ gegründet. Ein Großteil der digitalen Sympathisanten lebt nicht in Ebsdorf, viele Ortsansässige distanzierten sich auf der Facebookseite öffentlich. Zunächst tauchte der digitale Ableger auf Pages der NPD Hessen auf. Die Seite wurde nach kurzer Zeit nicht weiter gepflegt und ist mittlerweile gelöscht.

 

Sonst versucht eine Facebookpage unter dem Motto „Keine Moschee in Marburg“ islamophobe Hetze in Marburg zu betreiben. 2014 wurden keine Aktivitäten außerhalb des Internets festgestellt.

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"Weiterhin konnte die gesamte Stadt von Plakatwerbung der AfD freigehalten werden."

 

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