Warnstreik im Kaufhaus des Westens

Geschenke

// Ganztägige Aktion von Beschäftigten des Berliner Konsumtempels // Das prächtige Kaufhaus des Westens (KaDeWe) in Berlin läutet gerade mit Ausstellungen in den Schaufenstern und einem riesigen Baum im Foyer die Vorweihnachtszeit ein. Doch die Beschäftigten kommen nicht in Feiertagsstimmung. Am Montag standen bis zu 150 von ihnen vor den Eingängen des traditionsreichen Konsumtempels und verteilten Flugblätter. Die Gewerkschaft ver.di hatte zu einem ganztägigen Warnstreik aufgerufen. "Wir verkaufen teure Sachen, aber verdienen wenig", sagte eine Schuhverkäuferin, die anonym bleiben wollte.

 

Im Mai ist der Karstadt-Konzern, dem das KaDeWe gehört, aus der Tarifbindung ausgetreten – eine "Tarifpause" für zwei Jahre sollte eingelegt werden, wie es offiziell hieß. Seit dem Sommer gab es drei Streiktage bei Karstadt, um eine Beschäftigungssicherung und eine Rückkehr zum Tarif zu fordern. Daran hatten KaDeWe-Beschäftigte jedes Mal teilgenommen. Doch am Montag streikte die Belegschaft des Kaufhauses allein. "Unsere Kollegen wollten direkt vor dem Haus Flagge zeigen und die Kunden informieren", sagte Detlef Lange von der Tarifkommission. Mehr als 100 von ihnen kamen zur Streikkundgebung vor dem Haus – trotz strömenden Regens. Über 100 TeilnehmerInnen seien „auch nicht schlecht bei diesem Scheißwetter“ so eine Gewerkschafterin. Ein halbes Dutzend solidarische Studierende haben sich trotz des Nieselregens ebenfalls beteiligt.

 

Die Altbeschäftigten bekommen wegen ihrer noch bestehenden Arbeitsverträge weiterhin Tariflöhne. Aber bereits im kommenden Jahr könnte das Unternehmen weitere Verschlechterungen ankündigen. Neue MitarbeiterInnen, die im Mai angefangen haben, erhalten einen Stundenlohn von lediglich 8,50 Euro pro Stunde. Die KassiererInnen waren bereits vorher "ausgelagert" worden und stehen ebenfalls außerhalb der Tarifbindung. Und neben der Stammbelegschaft arbeiten weitere 700 VerkäuferInnen im KaDeWe, jedoch bei sogenannten "Concessions-Shops" verschiedener Markenfirmen mit sehr unterschiedlichen Bedingungen. "Dadurch gibt es kein Gemeinschaftsgefühl", schilderte ein Streikender die Situation, der seit 22 Jahren in dem Kaufhaus arbeitet. "Sie wollen alle rausdrängen, die nach Tarif bezahlt werden." Vor 15 Jahren waren noch mehr als 3000 Menschen im KaDeWe in Lohn und Brot, heute sind es nur noch etwas über 1000, berichtete der Mitarbeiter, der ebenfalls anonym bleiben wollte. Dabei hatten die Karstadt-Beschäftigten zwischen 2004 und 2012 auf insgesamt 1,2 Milliarden Euro an tariflichen Leistungen verzichtet, um das Unternehmen vor der Insolvenz zu retten. Durch die vielen Entlassungen der letzten Jahre ist der Druck auf die Beschäftigten sehr groß – auch eine Erklärung dafür, dass kein/e Kollege/in namentlich zitiert werden möchte.

 

Die KundInnen ignorieren meist die FlugblattverteilerInnen. Viele sagen, dass sie TouristInnen in Berlin sind und deswegen das KaDeWe unbedingt an diesem Tag besuchen müssen. Andere werden im Eingangsbereich von diesem Reporter gefragt, warum sie gedankenlos an den Streikposten vorbeilaufen. „Es war nicht wirklich klar, ob das mit KaDeWe zu tun hatte“ sagte eine junge Frau, „denn ich habe nur ver.di gesehen.“ Eine Studentin, die selbst im Einzelhandel arbeitet, verweist auf das glamouröse Innere des Gebäudes: „Wenn man das Kaufhaus sieht, denkt man sich, dass die Verkäufer nichts zu jammern haben werden.“ Aber tatsächlich verdienen die Beschäftigten nicht wesentlich mehr als die Studentin in ihrem Nebenjob – die übrigens nach dem Gespräch ebenfalls ihren Einkauf fortsetzt.

 

von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)

 

eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der jungen Welt vom 5. November