Werbung soll verführen, das ist schon klar. Man darf da auch übertreiben. Aber zu weit sollten Anspruch und Wirklichkeit dann doch nicht auseinanderklaffen. So wie bei RWE zum Beispiel: Die Geschichten, mit denen Stromkonzern derzeit Schlagzeilen macht, haben mit der im aktuellen Spot gezeigten Welt rein gar nichts mehr gemein. Zumal Vorstandschef Peter Terium selbst eine ganz andere Geschichte erzählt. Aber der Reihe nach.
Im RWE-Spot "Unser Land geht voRWEg" (von Thjnk und Zebra, unten zu sehen) heißt es wörtlich: "Wir wollen das erste Land sein, das komplett auf neue Energien setzt. Den Weg zu einer sicheren und bezahlbaren Energiezukunft gehen wir voller Leidenschaft. Dazu suchen wir Menschen, die schon heute Energie intelligent nutzen. Oder die, die noch nicht ganz sicher sind. … Unser Land geht vorweg. Gehen Sie mit. Und entdecken Sie die Energiezukunft auf vorweggehen.de."
Soweit die wunderbare Welt der Werbung. Und jetzt zurück in die RWE-Wirklichkeit: Auf dem Youtube-Portal des Stromkonzerns wird fleißig für Braunkohle getrommelt. Nur mit dem fossilen Brennstoff, heißt es, sei die Energiewende möglich. Braunkohle machte 2012 mehr als ein Drittel der Stromgewinnung bei RWE aus. Dass Ökostrom in Spitzenzeiten Rückendeckung braucht, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, ist klar. Allerdings benötigt man zur Erzeugung einer Kilowattstunde Strom laut Greenpeace ein Kilogramm Braunkohle (bei Steinkohle würden 300 Gramm genügen, ein Windrad muss sich 0,2-mal drehen). Damit lässt sich eine Waschmaschinenladung Wäsche waschen - und ein Kilogramm CO2 wandert in die Atmosphäre. Ebenfalls laut Greenpeace ("Greenpeace Magazin" 6/2013) erzeugt das RWE-Braunkohlekraftwerk Neurath, das zweitgrößte Europas, jeden Tag so viele Tonnen CO2 wie zehn Millionen Autos. Nach Vorweggehen klingt das nicht.
Dass die Umweltschützer einen Stromkonzern kritisieren, ist wenig überraschend. Die Aussagen des RWE-Spots aber konterkariert der CEO persönlich: Im "Handelsblatt" (29.10.2013) erklärt Peter Terium, dass man einen Strategiewechsel brauche, um über die erneuerbaren Energien zu wachsen. "2018 wird sich RWE entscheidend an der Neuausrichtung der Energiewirtschaft in Europa beteiligt haben", gibt Terium in einem vom "Handelsblatt" zitierten internen Papier den Mitarbeitern als neues Ziel vor. Damit soll der Stromriese, der mehr CO2 ausstößt als jedes andere europäische Unternehmen (laut "Handelsblatt", nicht laut Greenpeace), dann doch schon in fünf Jahren auf die Energiewende ausgerichtet werden. 2018, das klingt ein bisschen nach Hinterherlaufen statt Vorweggehen. Konkret bedeuten Teriums Pläne dann auch nur, dass RWE an der Stromverteilung profitieren, Vertriebspartner sein will.
Die Zahl der Mitarbeiter, die in den Bereichen erneuerbare Energien arbeiten, wird laut "Handelsblatt" derweil halbiert - auf nur noch 750 Stellen (insgesamt arbeiten mehr als 70.000 Menschen bei RWE): "Zugleich will der Konzern 75 Prozent an seinem ersten deutschen Offshore-Windpark Nordsee 1 abgeben und drosselt die Entwicklung neuer Projekte bei Offshore-Wind, Onshore-Wind und Wasserkraft", so das "Handelsblatt" weiter. Sieht Vorweggehen nicht anders aus?
Insofern ist auch verständlich, dass RWE die Aussagen im Werbefilm so diffus hält: "Wir wollen das erste Land sein (nicht: der erste Konzern, Anm. d. Red.), das komplett auf neue Energien setzt." Den Mitarbeitern, die bald vor dem Aus stehen, wird sicher vor allem der Schluss des Videos sauer aufstoßen: "Dazu suchen wir Menschen …" - aber einstellen oder behalten wird RWE davon die meisten wohl nicht. Möglicherweise hilft ja die im Spot erwähnte Webseite. Da sollen Leute ihre Ideen und Meinungen und Tipps einreichen. Vielleicht, weil RWE offenbar selbst momentan keine hat. Werbung und Webseite sind dem Unternehmen auf jeden Fall Meilen voraus. Oder aber, sie blasen das Erreichte einfach zu weit auf, sodass die Blase platzt. Wer vorweggehen will, der sollte mal den ersten Schritt tun.