In Jena soll ein soziokulturelles Zentrums verschwinden - der Protest nimmt neue Formen an Überall das gleiche Bild: Großprojekte verdrängen Bürger aus den Stadtzentren. In Jena verhinderten Demonstranten zunächst ein Votum, das das Aus für ein soziokulturelles Zentrum bedeutet hätte. Mittwochabend in Jena. Der Stadtrat war zu einer ganz normalen Sitzung mit über 30 Tagungsordnungspunkten geladen. Punkt 12 sorgte für so viel Publikum, dass die Stühle im Saal weggeräumt werden mussten.
Draußen wartete die Polizei. Es ging um den Inselplatz mitten in der thüringischen Stadt, auf dem ein neuer Universitäts-Campus entstehen soll. Laut Beschlussvorlage sind universitäre Einrichtungen für Forschung und Lehre sowie Dienstleistungsgewerbe vorgesehen. Kultur kommt nicht vor. Doch die ist dort gewachsen. Jugendliche, vor allem Studenten, haben sich in einem der letzten Häuser auf dem sonst als Parkplatz genutzten Areal ein soziokulturelles Zentrum geschaffen, »Die Insel« mitten in der Stadt.
Kultur wird hier gelebt mit Lesungen, Konzerten, Ausstellungen, Volxsküche - und gegen die bevorstehende Vertreibung verteidigt. Am Mittwochabend im Stadtrat reichte zunächst die LINKE einen Änderungsantrag zur Prüfung nach, ob sich »Die Insel« nicht doch in den Bebauungsplan einordnen lässt. Dem stimmten andere Fraktionen zu. Geduldig folgte das Publikum den Redebeiträgen, die beteuerten, wie wichtig ihnen Soziokultur in Jena ist.
Unter großem Beifall bekam endlich ein »Insel«-Vertreter das Wort. Er misstraute nicht nur dem gut gemeinten Antrag. Denn zwei Jahre lang war »Die Insel« Thema in jedem Ausschuss, zwei Jahre lang sollte Jenas Stadtverwaltung nach einem neuen Standort suchen. Gefunden wurde nichts. »Lasst uns dieses kleine Fleckchen Erde übrig«, forderte er von den Stadträten. Jena gehört als eine der wenigen ostdeutschen Städte zu den Leuchttürmen mit Zuzug. Die Kehrseite dieser Entwicklung sind fehlender Wohnraum und steigende Mieten. Widerstand dagegen regt sich nicht erst am Inselplatz. Bei der Bebauung des Eichplatzes kämpfen Bürger seit Jahren gegen die Großinvestoren und die Stadtverwaltung.
Auch hier geht es um demokratische Mitsprache bei der Gestaltung der Innenstadt, um Freiräume, die innerstädtisches Leben ermöglichen. Doch die schriftlich formulierten Einreden wurden nicht gehört. Nun macht eine neue Initiative gegen die Eichplatzbebauung mobil, ein entsprechendes Moratorium wurde bereits von mehr als 1000 Menschen unterzeichnet. Vor diesem Hintergrund glaubten die Demonstranten, die für den Erhalt des »Insel«-Projektes eintreten, nicht an Lippenbekenntnisse der Politiker. Und wenn ein SPD-Vertreter erklärt: »Mit der Planung wollen wir zeigen, was auf dem Platz möglich ist«, hat das nicht unbedingt beruhigende Wirkung. Ironie der Geschichte: Ein universitärer Campus vertreibt die Studenten von der »Insel« und gibt ihnen keinen Raum zur Mitsprache und Selbstgestaltung.
Wenig Wirkung zeigte die Darstellung der FDP-Fraktion, wonach die Pläne gar nicht so ernst gemeint seien, denn im Landeshaushalt sei dafür bisher nur ein Leertitel eingestellt. Die Demonstranten hatten offenbar damit gerechnet, dass ihre Argumente das Abstimmungsverhalten des Stadtrates - er wird von einer großen Koalition aus SPD, CDU und Grünen dominiert - nicht ändern würde. Denn als zur namentlichen Abstimmung des Auslegungsbeschlusses aufgerufen wurde, knallten Feuerwerke mit Konfetti. Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, war das Podium vollständig von Demonstranten besetzt, die auf Transparenten ihre Forderungen präsentierten.
Der Tumult führte zunächst zu einer Pause. Wer gehofft hatte, dass sich danach der Sturm legt, wurde eines Besseren belehrt. Die »Insulaner« nahmen die Plätze der Stadträte ein. Auf die Ankündigung von Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD), von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen und den Saal zu räumen, rief die gut vorbereitete Gegenseite ein Demonstrationsplenum aus. Schließlich wurde die Sitzung aufgelöst. Die Studenten von der »Insel« haben einen Etappensieg errungen, der Beschluss aber ist damit nicht vom Tisch. Die Stadtspitze war keinesfalls amüsiert über die Besetzung des Rathauses und will dafür Sorge tragen, dass so etwas nicht Schule macht. Dass sich mit Polizeigewalt Mitsprache nicht verhindern lässt, müssten viele Jenaer Politiker aus eigener Erfahrung aus den 1980er Jahren wissen.