Kolumbien: FARC-EP und Regierung schließen bei Verhandlungen in Havanna Abkommen über politische Beteiligung der Guerilla. Nestlé-Arbeiter beginnen Hungerstreik Von André Scheer
In den vergangenen Tagen hatte es so ausgesehen, als stünden die
Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Guerillaorganisation
FARC-EP und der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos vor dem
Scheitern. Der öffentlich angeschlagene Ton zwischen beiden Seiten, die
seit mehr als einem Jahr in Havanna über ein Ende des jahrzehntelangen
bewaffneten Konflikts verhandeln, war zunehmend schärfer geworden. In
kolumbianischen Blättern kursierte ein Foto, das Mitglieder der
FARC-Delegation bei einer Erholungspause auf einer Yacht zeigte. Santos
gab sich unzufrieden über die langsamen Fortschritte bei den Gesprächen.
Die Guerilla ihrerseits warf den Regierungstruppen wiederholt Verstöße
gegen vereinbarte Protokolle vor. Am Mittwoch überraschten dann jedoch
die Unterhändler beider Seiten einmal mehr die Öffentlichkeit. Die
Repräsentanten Kubas, Rodolfo Benítez, und Norwegens, Dag Halvor, deren
Regierungen als Garanten für den Dialog gelten, ließen sie die frohe
Botschaft verkünden: Man sei zu einem Grundsatzabkommen über Fragen der
politischen Beteiligung in Kolumbien gekommen.
Es ist das zweite Einzeldokument, das die Verhandlungsdelegationen
unterzeichnen. Im Mai war bereits eine Einigung in der Agrarfrage
erreicht worden. Allerdings betonten beide Seiten auch am Mittwoch den
Vorbehalt, daß »nichts vereinbart ist, bevor alles vereinbart ist«. Ohne
ein abschließendes Gesamtabkommen sind alle bis dahin erreichten
Absprachen null und nichtig. Und bis dahin ist es ein weiter Weg, denn
noch sind mehrere Themenbereiche zu diskutieren: der konkrete Weg zur
Beendigung des Konfliktes, eine Lösung des Drogenproblems und der Umgang
mit den Opfern des Krieges. Als sechster und letzter Punkt steht auf
der Agenda das Verfahren der Inkraftsetzung des Friedensvertrages nach
der Unterzeichnung, und auch hier lauern noch manche Fallstricke.
Trotzdem ist das jetzt erreichte Abkommen ein Durchbruch, denn behandelt
wurde, wie der Opposition in Kolumbien künftig garantiert werden soll,
daß sie gefahrlos ihre Meinung kundtun kann. Ende der 80er Jahre war ein
damals unterzeichnetes Friedensabkommen blutig gescheitert, als
Tausende Mitglieder der von den FARC gegründeten legalen Partei Unión
Patriótica (UP) von Todesschwadronen ermordet wurden. Jetzt wird in dem
Papier ausdrücklich eine »Stärkung und Vertiefung der Demokratie«
gefordert, um ein »Klima des Zusammenlebens und der Toleranz« zu
schaffen, in dem die »neue Bewegung, die aus den FARC-EP hervorgeht«,
legal politisch arbeiten kann. Die Diskussion über deren konkreten
Charakter ist im nun bevorstehenden dritten Themenblock vorgesehen.
Leicht wird es nicht, das Gemenge aus ultrarechten Paramilitärs,
Drogenbanden sowie Hardlinern in Militär und Staatsapparat zur Aufgabe
des schmutzigen Krieges zu bewegen. Bis heute gilt Kolumbien als eines
der gefährlichsten Länder der Welt für Gewerkschafter und andere soziale
Aktivisten. Erst am Dienstag waren Arbeiter des Lebensmittelmultis
Nestlé in einen Hungerstreik getreten. Hintergrund der Protestaktion ist
die Forderung der Gewerkschaft Sinaltrainal, einen bereits im Juni 2012
unterzeichneten Tarifvertrag einzuhalten. Die Geschäftsleitung weigert
sich jedoch, mit der Gewerkschaft zu verhandeln und übt Druck auf die
Beschäftigten aus, sich einer unternehmensnahen Konkurrenzorganisation
anzuschließen. Ende Oktober spitzte das Unternehmen die Lage zu, als der
Präsident von Nestlé Kolumbien, Manuel Andrés, den Gewerkschaften
unterstellte, zu Gewalt und Sabotage aufgerufen zu haben. Die in der
Schweiz ansässige Nichtregierungsorganisation MultiWatch warnt: »Solche
Bezichtigungen machen die Gewerkschafter zu einer Zielscheibe für
Paramilitärs. Gewerkschafter in Nestlé-Fabriken wurden in der
Vergangenheit wiederholt mit dem Tod bedroht, dabei waren immer
Gewerkschafter betroffen, welche in einen Arbeitskonflikt mit Nestlé
involviert waren. Nestlé hat sich dazu nicht geäußert und unternimmt
keine Anstrengungen, um die Sicherheit der Gewerkschafter zu
garantieren.«