Am Wochenende nach der Bundestagswahl fand der bundesweite Aktionstag „Keine Profite mit der Miete! Die Stadt gehört allen!“ statt. Wir haben uns an diesem an verschiedenen Stellen beteiligt und wollen uns hier an einer Bewertung dessen versuchen, was im Rhein-Main Gebiet, aber auch darüber hinaus, geschehen ist.
Eine kurze Chronologie müsste mit der Besetzung des Gartens der leerstehenden OB-Villa am 26.10. beginnen, die als Auftaktaktion auf die Wohnungsnot in Frankfurt und Umgebung aufmerksam machen wollte. Am frühen Morgen fanden die Verleihungen der „GOLDENEN NATODRAHT AWARDS“ statt, die verschiedene Akteur_innen und Unternehmen, für ihre Rolle in der aktuellen Stadtentwicklung „auszeichneten“. Später folgte eine Hausbesetzung zum Thema Leerstand und Containerlager in Oberursel, ein Wohnzimmer im öffentlichen Raum im Gallus zum Thema Aufwertung und Verdrängung, eine Fahrradtour zur Geschichte des Frankfurter Westens und die abschließende Demo mit ca. 600 Teilnehmer_innen nennen.
Auch in ihrer Form versuchte die Demonstration eine Brücke zwischen verschiedenen Kämpfen zu schlagen. Anstatt eines klassischen Transparents trugen die vorderen Reihen Schilder aus Styropor. Mit der Übernahme dieses Motivs wurde ein weiteres Mal verdeutlicht, dass sich trotz unverhältnismäßiger Repressionsversuche seitens der Polizei am Blockupy-Wochenende und bei der Räumung der Krifteler Straße am 07.09. niemand die Form seines Protests vorschreiben lassen wird! Die Zahl der Teilnehmer_innen, nicht nur in Frankfurt sondern auch in anderen Städten, fiel allerdings kleiner aus als bei anderen Demos zum selben Thema in den Vorjahren. Insofern gibt es durchaus Grund für etwas Enttäuschung. Weil wir aber auch viele Aspekte sehen, die Grund zur Hoffnung geben, wollen wir an dieser Stelle nochmal unsere Motivation zur Beteiligung und unsere Einschätzung zum Verlauf des Aktionstages darlegen.
Uns gehört die Stadt?
Wir halten das Thema Stadt aus ganz verschiedenen Gründen für wichtig und arbeiten daher seit dem Sommer 2012 auch kontinuierlich dazu im Netzwerk „Wem gehört die Stadt“ in Frankfurt. Uns reizt am Thema Stadt, dass es mehrere Themen in sich vereint; die Stadt ist ein Raum, in dem sich verschiedene soziale Konflikte und Herrschaftsverhältnisse kreuzen und offensichtlich werden. Deutlich wird diese Themenpluralität auch im Gallus, einem Viertel, in dem das Netzwerk seit längerem besonders aktiv ist. Dort zeigt sich aktuell, dass Aufwertung vor allem ein Prozess der Verdrängung ist. Durch zahlreiche Neubauprojekte und Sanierungen steigen die Mieten hier gerade besonders schnell, was zur Folge hat, dass die Bewohner_innenschaft des Gallus, die vor allem proletarisch und migrantisch geprägt ist, sich das Wohnen in diesem Viertel schon jetzt oder bald nicht mehr leisten kann. In der Neuvermietungspraxis vieler Hauseigentümer_innen wird offenbar, dass sich in den Prozessen der Aufwertung und Verdrängung auch rassistische Diskriminierungen artikulieren und wie diese mit Klassenherrschaft zusammengehen.
Teile der radikalen Linken in der BRD sind derzeit damit beschäftigt, Widerstand gegen die Auswirkungen der fundamentalen Krise der globalen kapitalistischen Ökonomie zu organisieren und emanzipatorische Praxen zu entwickeln. Auch wir sind an diesen Prozessen beteiligt. Dabei sind wir mit einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs in der BRD konfrontiert, in dem behauptet wird, die Auswirkungen der multiplen kapitalistischen Krise seien angeblich kaum spürbar. Die grundsätzliche Kritik am Kapitalismus bleibt für viele zu abstrakt und auch das Handeln von Institutionen, wie der EZB, wird selten auf das eigene Leben bezogen.
Zur gleichen Zeit steigen die Preise für Wohnraum, weil Anleger_innen zunehmend ihr Kapital genau dort, nämlich u.a. in Wohnraum in „Boom-Städten“, krisensicher unterzubringen versuchen. Am Beispiel Stadt zeigt sich also, dass auch die „großen“ Themen im scheinbar „Kleinen“ ganz konkret werden. Schlussendlich werden gerade hier kapitalistische Verwertungslogiken sichtbar und deren Konsequenzen spürbar. Diese spüren wir auch: wir sind selbst alle davon angekotzt, viel zu viel Miete zu zahlen. Da ist der Gedanke, diese lokalen Auseinandersetzungen gemeinsam und für einen Tag auch mal auf bundesweiter Ebene zu führen, ein sinnvoller und folgerichtiger Schritt. Denn allein sind wir mit diesen Problemen in Frankfurt sicher nicht und gemeinsam sind wir alle stärker.
Es muss ums Gallus gehen!
Im Gallus gab es im letzten Jahr eine ganze Reihe von Aktionen. Da waren die militanten Untersuchungen, es wurde eine Werbe-Veranstaltung zu Bauprojekten von Investment-Firmen gestört, eine öffentliche Filmvorführung über Kämpfe um ein Recht auf Stadt in Istanbul fand im Freien statt und zwei leerstehende Häuser wurden von der Initiative communal west besetzt. Uns erschien es daher sinnvoll an diese Prozesse anzuknüpfen, weshalb wir uns zusammen mit einigen Leuten aus dem Netzwerk entschlossen hatten, ein Wohnzimmer im öffentlichen Raum aufzubauen und die militanten Untersuchungen fortzusetzen. Diese wurden auf eine einzige Frage beschränkt: „Wieviel Prozent ihres Nettoeinkommens geben sie für die Miete aus?“. Ergebnis der Antworten einiger Anwohner_innen und Passant_innen: Viele Leute geben mehr als 40, manche sogar mehr als 50 Prozent ihres monatlichen Nettoeinkommens für die Warmmiete aus. Wer sich diese Frage selbst einmal stellt, wird merken, was für ein Irrsinn in dieser Stadt eigentlich abläuft.
Über direkte Gespräche, die Befragung und Informationstafeln sollten Anwohner_innen und Passant_innen auf die Absurdität eines Zustands aufmerksam gemacht werden, den Viele als Normalität hinnehmen. Eine selbstverständliche Befriedigung von Grundbedürfnissen als Bedingung einer menschlich-vernünftigen Gesellschaft sieht hingegen grundlegend anders aus… Es handelte sich sicher um keine spektakuläre Aktion, aber dennoch um einen kleinen Beitrag, der versuchte das Thema Aufwertung und Verdrängung im Gallus auf die Tagesordnung zu setzen. Das Feedback von allen Leuten, die vorbei kamen, war sehr positiv.
Auf den gesamten Tag bezogen war positiv überraschend, wie viele Aktionen noch recht kurzfristig oder ganz spontan organisiert wurden. Schließlich hat geklappt, was seit der Gründung des Netzwerks in Frankfurt 2011 der formulierte Anspruch war: verschiedenen Gruppen einen Rahmen zu bieten, in dem sie sich aufeinander beziehen können, Verknüpfungen zwischen verschiedenen Themen und Herrschaftsverhältnissen herausarbeiten, den verschiedenen Kämpfen eine Möglichkeit zu geben sich selbst zu überschreiten und so gemeinsam etwas Grundlegendes in Frage zu stellen: „Wem gehört die Stadt?“. Dass dies dann auch noch im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages klappte, ist natürlich um so erfreulicher und weist über den lokalen/regionalen Rahmen hinaus.
Represented?
Das mediale Echo war ausgesprochen gut, ein Beitrag in der 20.00 Uhr-Tagesschau kann mit gutem Grund als Zuschreibung und Herstellung von gesellschaftlicher Relevanz verstanden werden. Betrachtet man die Bedeutung der Themen Mieten und Stadtentwicklung auch für den gerade zu Ende gegangenen Bundestagswahlkampf, ist dies nur konsequent. Auch die lokalen Medien berichteten mehrfach und wohlwollend, so dass insgesamt von einem großen und positiven Medienecho gesprochen werden kann. Wünschenswert wäre gewesen, dass die antikapitalistische Perspektive, die der Aufruf versucht hatte zu eröffnen, sich besser über die klassischen Massenmedien hätte vermitteln lassen. Dabei stellt sich aber grundsätzlich die Frage, in wie weit das überhaupt möglich ist.
Wir würden uns wünschen, dass die kritische Auseinandersetzung um das Thema Stadt der Komplexität des Themas mehr gerecht werden würde, als dies in bisherigen Diskussionen der Fall ist. Spannend wäre beispielsweise eine Beschäftigung mit dem Diskurs um Sicherheit, Sexarbeit und Kriminalität, der ja gerade im Bahnhofsviertel sehr präsent ist. Interessant wäre auch, die Entwicklungen an der Universität mit ihren neuen Prestigebauten und deren Effekt auf die Außendarstellung der Stadt Frankfurt mit einzubeziehen. Sicherlich gibt es genug Menschen, die sich bereits mit diesen Themen beschäftigen. Wir fänden es begrüßenswert, wenn auch sie Teil zukünftiger Aktionstage werden würden. Auch dies würde eine größere Beteiligung verschiedener in der Stadt aktiver Menschen nach sich ziehen.
Durch den Netzwerk-Charakter von „Wem gehört die Stadt?“ verändert sich die Zusammensetzung der mitarbeitenden Gruppen regelmäßig. Das beeinflusst auch die inhaltliche Ausrichtung von Aktionen des Netzwerks, was sich besonders deutlich im Vergleich der bisher stattgefundenen Aktionstage zeigt. Während 2011 viele subkulturelle Akteur_innen den Aktionstag mitgestalteten, ist dies dieses Jahr nicht der Fall gewesen. Eine gemeinsame NachtTanzDemo im öffentlichen Raum oder eine Kantine, die kostengünstig Aktivist_innen und Interessierte verköstigt, hat es dieses Jahr leider nicht gegeben. Dafür sind andere Themen hinzugekommen, es wurde z.B. auf die prekäre Situation von Flüchtlingen eingegangen. Für die Zukunft würden wir uns wünschen diese Themen im Rahmen eines Aktionstages wieder zusammenzuführen.
Eine positive Bezugnahme unterschiedlicher Kämpfe und Themen aufeinander; lokal, regional ebenso wie bundesweit und ein großes und überwiegend positives Medienecho lässt uns nichtsdestotrotz von einem guten und erfolgreichen Tag sprechen.
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Frankfurt/Main Oktober 2013