Aalen - „Wer war nochmal Adolf Hitler?“

Politikwissenschaftlerin Ellen Esen referiert über extreme Rechte in der Region – NPD hat Stammwählerschaft. Sehen Nazis noch wie Nazis aus? Sind sie in der Region verankert? Und: was sind Gesinnungsknöpfe? Die Politikwissenschaftlerin Ellen Esen hat am Mittwoch bei der IG Metall in Aalen Antworten gegeben.

 

DAVID WAGNER
Aalen. „Können Sie nochmal erklären, wer Adolf Hitler war?“ Und: „Holocaust? Was soll denn das sein?“ Ellen Esen ist Politikwissenschaftlerin. Seit den 90er Jahren beschäftigt sie sich mit der extrem rechten Szene. Und hält Vorträge dazu. Manchmal muss sie solche Fragen beantworten. „Der Wissensstand an den Schulen ist oft dürftig“, sagt sie.


Anders am Mittwochabend bei der IG Metall in Aalen: Rund 20 Zuhörer sind gekommen, einige vom DGB, andere von der Partei Die Linke. Die meisten wissen schon ziemlich gut Bescheid. Dass man die Rechten heute nicht mehr einfach an Glatze und Springerstiefel erkennt. Dass die modernen Nazis ihre Ideologie über soziale Netzwerke im Internet verbreiten. Dass so mancher Fußballclub seine Müh’ und Not hat mit rechten Parolen seiner Anhänger.


Ellen Esens Beamer wirft das Bild eines Klischees an die Wand: Ein kantiges Mannsbild mit Springerstiefel, Glatze, Bomberjacke. „Der Trend geht klar in die andere Richtung.“ Die Rechten würden heute beim politischen Gegner stehlen. Auf der Leinwand erscheint ein Kopf mit Irokesenschnitt. Ein Punk? Weit gefehlt. „Die Verwechslungsgefahr ist enorm“, sagt Ellen Esen. Bei manchen Nazidemonstrationen dächten die Bürger: „Ach je, die Linken machen wieder Ärger.“ Wer da mit schwarzem Pulli, Palästinensertuch und Irokesenschnitt durch die Straßen zieht, erkennt man erst aus der Nähe. An den bunten Buttons auf den Jacken. „Gesinnungsknöpfe“, um im Jargon zu bleiben. Darauf steht zum Beispiel: „Mein Freund ist Deutscher.“ Oder: „Nazis raus – auf die Straße.“


Die Rechten plagiieren aber nicht nur beim Aussehen. Zum Kämpfer gegen die Gesellschaft haben sich ja schließlich schon andere stilisiert. „Vorbild ist die RAF.“ Auf Aufklebern prangen Sprüche der Linksterroristin Gudrun Ensslin. Apropos Aufkleber: Josef Mischko, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Aalen, ärgert sich über „unterschwellig rassistische Aufkleber“ an Straßenlaternen. „Vor allem nach VfR-Spielen“, sagt er.


Gemeinsam sei allen extremen Rechten die Ideologie der Volksgemeinschaft. Ausländer sind da ausgeschlossen. Ebenso Behinderte, Andersdenkende, Homosexuelle. Staatsbedienstete sowieso. Ellen Esen weiß, warum: „Für die Rechten ist die Bundesrepublik eine Marionette in den Händen der Amerikaner. Die USA wiederum ist die Ostküste. Und die Ostküste verkörpert das Internationale Judentum.“


Eine solche Denke hat auch auf der Ostalb eine Chance. Virtuell, bei Facebook und im Videoportal YouTube sowieso. Real, im Wahllokal manchmal auch. Bei der Bundestagswahl hat die NPD im Wahlkreis 1,3 Prozent geholt. „Hier hat sich eine Stammwählerschaft auf niedrigem Niveau etabliert“, sagt Ellen Esen. Ein Zuhörer wundert sich über die vielen NPD-Plakate. Er mutmaßt: „Die müssen Leute vor Ort haben.“ Die Internetauftritte sind meist profesionell gestaltet, sehen gut aus. Die Politikwissenschaftlerin meint, sie seien die wahre Einstiegsdroge: „Das spricht junge Leute an.“


Über Musik gelingt die Mobilisierung auch. Die in der Szene als Kult verehrte, weil verbotene, Rockband „Race War“ kam aus Schwäbisch Gmünd. Die Freundin des Sängers wohnte jahrelang in Obergröningen. Pikant: Beate Zschäpe hat deren Namen laut Ellen Esen mutmaßlich als Tarnnamen verwendet.
Überhaupt, die Verbindungen des NSU in die Region werde nach wie vor unterschätzt, findet die Politikwissenschaftlerin. „Gibt es in Baden-Württemberg rechtsterroristische Strukturen? Aber sicher!“


Josef Mischko will mit dem Vortrag eine Reihe starten. „Wir müssen viel mehr aufklären.“ Er zitiert Brecht: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“