Interventionspolitik und Terror

Erstveröffentlicht: 
25.09.2013

NAIROBI/MOGADISCHU/BERLIN

 

(Eigener Bericht) - Mit Entsetzen reagiert das Auswärtige Amt auf den mörderischen Terrorangriff in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Wie der deutsche Außenminister erklärt, verurteile er den Angriff "auf das Schärfste"; er wünsche, "dass es gelingt, die Täter und Hintermänner dieses schrecklichen Attentats schnell zur Verantwortung zu ziehen". Weitgehend unerwähnt bleibt bisher, dass das Massaker, zu dem sich die somalische Terrormiliz Al Shabaab bekennt, nicht losgelöst von der Interventionspolitik des Westens und seiner Verbündeten betrachtet werden kann. Die Al Shabaab-Miliz ist aus Strukturen entstanden, die Saudi-Arabien, einer der wichtigsten mittelöstlichen Partner Berlins, aufgebaut hat. Sie erstarkte, als der Westen gemeinsam mit seinem Verbündeten Äthiopien ein als gemäßigt islamistisch eingestuftes Regime in Somalia stürzte, dem Beobachter eine Befriedung des Landes zugetraut hatten; in den anhaltenden Kämpfen radikalisierte sich die Al Shabaab-Miliz und verband sich schließlich mit internationalen islamistischen Terrornetzen. Kenia wurde zur Zielscheibe, als es vor rund zwei Jahren sein Militär in den Süden Somalias schickte - auch, um den Westen auf dessen Drängen hin im scheiternden "Anti-Terror-Krieg" zu unterstützen. Bereits mehrere Terroranschläge haben das Land seither getroffen; auch für die Zukunft ist die Gefahr nicht gebannt.

 

Globales Entsetzen

 

Wie der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta am gestrigen Nachmittag mitgeteilt hat, haben die kenianischen Sicherheitskräfte den mörderischen Terrorangriff auf die Shopping Mall "Westgate" in Nairobi beenden können. Die Terroristen haben demnach seit Samstag 61 Zivilisten und sechs Soldaten ermordet; von ihnen sind fünf ums Leben gekommen, elf festgenommen worden. Kenyatta zufolge ist damit zu rechnen, dass in der teilweise zerstörten Shopping Mall weitere tote Zivilisten gefunden werden. Der Terrorangriff ist der schlimmste, den Kenia seit dem Anschlag auf die US-Botschaft in Nairobi am 7. August 1998 erlebte. Damals kamen 212 Menschen zu Tode, mehr als 4.000 wurden verletzt. Zu dem jetzigen Terrorangriff hat sich die somalische Al Shabaab-Miliz bekannt. Weltweit, auch im Auswärtigen Amt in Berlin, herrscht Entsetzen. Nicht näher thematisiert wird bislang jedoch, dass das Massaker nicht losgelöst von der Interventionspolitik des Westens und seiner Verbündeten gesehen werden kann - in mehrfacher Hinsicht.

 

Von Saudi-Arabien unterstützt

 

Sowohl die Entstehung als auch das Erstarken der Al Shabaab-Miliz waren eng mit Operationen des Westens und seiner ostafrikanischen und mittelöstlichen Verbündeten verknüpft. Schon der Vorläufer der Miliz, die islamistische somalische Organisation Al Itihaad al Islamiya, wurde in den 1980er Jahren mit tatkräftiger Hilfe aus Saudi-Arabien aufgebaut; ohne diese Unterstützung hätte sie in Somalia, das dem Islamismus traditionell recht fernstand, kaum größere Bedeutung erlangen können.[1] Saudische Gelder flossen damals unter anderem auch nach Afghanistan - mit bekannten Folgen; im vergangenen Jahrzehnt kamen sie zum Beispiel islamistischen Organisationen in Mali [2] oder in Syrien [3] zugute, wo sie ebenfalls zum Erstarken salafistischer Strömungen führten. Dass mit Saudi-Arabien ein Verbündeter des Westens - auch der Bundesrepublik - die Verankerung salafistischer Kräfte ermöglichte, die sich im Laufe der Zeit in gewalttätige, zum Teil terroristische Gruppierungen transformierten, lässt sich in der Tat nicht nur für Afghanistan und Syrien, sondern auch für Somalia konstatieren: Aus den Überresten der Al Itihaad al Islamiya formierte sich im Laufe des Jahres 2006 die Al Shabaab-Miliz, damals noch als eine Strömung - wenngleich die radikalste - innerhalb der somalischen Islamic Courts Union.

 

Anti-Terror-Krieg

 

Die Islamic Courts Union, ein Zusammenschluss lokaler islamistischer Vereinigungen, hatte im Jahr 2006 zunächst Mogadischu unter ihre Kontrolle gebracht und dehnte dann ihre Herrschaft immer weiter über Somalia aus. Hintergrund war, dass die somalische Bevölkerung sich nach 15 Jahren Bürgerkrieg und Warlord-Terror auch für islamistische Ordnungsbestrebungen offen zeigte. Dass der endlose Bürgerkrieg und die vollständige Rechtlosigkeit unter ihrer Herrschaft ein Ende zu nehmen schienen, habe der Islamic Courts Union die Sympathien der Bevölkerung eingebracht, heißt es etwa beim Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS).[4] Beobachter urteilten damals, der Organisation könne es womöglich sogar gelingen - wenn auch auf islamistischer Basis -, den Bürgerkrieg in Somalia endgültig zu stoppen. Die Islamic Courts Union stieß allerdings bei den westlichen Mächten, die damals im "Anti-Terror-Krieg" einflussreiche islamistische Organisationen mit Gewalt bekämpften, auf entschiedene Ablehnung. Als Ende 2006 Äthiopien, der engste Verbündete Washingtons und Berlins in Ostafrika, seine Streitkräfte in Somalia einmarschieren ließ, um die islamistischen Machthaber zu verjagen, da stieß die mit dem Westen abgesprochene Maßnahme auf erklärte Zustimmung auch in der deutschen Hauptstadt.[5]

 

Außer Kontrolle

 

Ergebnis der - auch von Berlin erkennbar unterstützten [6] - äthiopischen Intervention war schließlich die erneute Destabilisierung Somalias. Als die äthiopischen Streitkräfte Anfang 2009 ihren Abzug starteten und in Mogadischu eine neue Regierung installiert werden musste, da sah auch im Westen aufgrund der innersomalischen Kräfteverhältnisse niemand eine Alternative zur Wahl von Sharif Sheikh Ahmed zum Staatspräsidenten Somalias. Sharif Sheikh Ahmed hatte schon im Jahr 2006 als Vorsitzender der Islamic Courts Union die zentrale Position im Lande innegehabt, als er vom Westen und dessen äthiopischem Verbündeten wegen seiner als "gemäßigt islamistisch" eingestuften Positionen vertrieben wurde. Während er 2006 allerdings noch das gesamte Spektrum der Islamic Courts Union wenigstens einigermaßen unter Kontrolle gehabt hatte, war das 2009 nicht mehr der Fall: Deren radikaler Flügel, die Al Shabaab-Miliz, hatte sich im Krieg gegen die vom Westen unterstützten äthiopischen Besatzer nicht nur in Teilen der somalischen Bevölkerung verankern können, sondern sich auch noch weiter radikalisiert. Experten geben den Zeitpunkt, zu dem Al Shabaab sich den internationalen Netzwerken salafistischer Terroristen anschloss, mit den ersten Monaten des Jahres 2008 an.[7] Resultate der vom Westen unterstützten Invasion Äthiopiens in Somalia waren also die Wiedereinsetzung des soeben erst vertriebenen Staatspräsidenten und das Erstarken einer zum salafistischen Terror übergehenden Miliz.

 

Terror

 

Zu den nächsten Schritten des Westens gehörte die Einbeziehung Kenias in den Krieg in Somalia. Hatten bereits zuvor Uganda und Burundi eingewilligt, Truppen nach Mogadischu zu entsenden, um dort zumindest den Flughafen und den Präsidentenpalast für prowestliche Kräfte zu sichern, so sorgte sich der Westen nun zunehmend um den Süden Somalias, wo sich die zum offenen Terror übergehende Al Shabaab-Miliz hatte festsetzen können. Deshalb lag es vollkommen im Interesse der westlichen Regierungen - auch der deutschen -, als die auch sonst mit dem Westen kooperierende kenianische Armee im Herbst 2011 in Südsomalia einmarschierte - um mit der erstarkten Al Shabaab-Miliz ein Resultat der gescheiterten westlichen Kriegspolitik zu beseitigen. Bereits damals wurden terroristische Gegenschläge allgemein befürchtet; Uganda, das Truppen in Mogadischu im Einsatz hat, war bereits im Sommer 2010 Opfer eines Al Shabaab-Terroranschlags mit rund 80 Todesopfern geworden. Die Furcht nahm im Herbst 2012 zu, als Kenias Streitkräfte in der ökonomisch wichtigen somalischen Hafenstadt Kismayo einmarschierten und in Nairobi erste Terroranschläge verübt wurden - zunächst meist Anschläge auf Kirchen, denen bereits zahlreiche Menschen zum Opfer fielen.

 

Parallelen

 

Bezüglich der westlichen Interventionspolitik weist die Entwicklung in Somalia gleich mehrere Parallelen zur Entwicklung in Afghanistan auf: Das verbündete Saudi-Arabien betrieb, ohne vom Westen daran gehindert zu werden, den Aufbau salafistischer Strukturen, die letztlich zum Terror übergingen; westliche oder vom Westen unterstützte Kriegshandlungen führten nur zur weiteren Radikalisierung dieser Strukturen; deren terroristischen Gegenschläge treffen vor allem Zivilisten in den betreffenden Ländern selbst oder in angrenzenden Staaten, in die die Terroristen ausweichen - Pakistan, Kenia. Ähnliches wiederholt sich gegenwärtig in Syrien. Ohne ein Ende der sich stetig wiederholenden westlichen Interventionspolitik ist ein Ausweg nicht zu sehen.

[1] Christopher Harnisch: The Terror Threat from Somalia. The Internationalization of Al Shabaab, www.criticalthreats.org 12.02.2010

[2] s. dazu Der deutsche Beitrag zum Krieg; die Aussagen über religiöse Einrichtungen Qatars in diesem Artikel treffen auch auf Saudi-Arabien zu.

[3] s. dazu Religion und Interesse

[4] Rob Wise: Al Shabaab, Center for Strategic and International Studies, AQAM Futures Project, Case Study Number 2, July 2011

[5] s. dazu Interessen der Supermächte

[6] s. dazu Angemessene Beharrlichkeit und Ordnungsmächte

[7] Rob Wise: Al Shabaab, Center for Strategic and International Studies, AQAM Futures Project, Case Study Number 2, July 2011