Konsequenzen ziehen - Das "Flaggschiff" segelt weiter. Was bleibt?

Kein Fußbreit den Faschisten

Das Spektakel ist vorüber - sollte es denn eines gewesen sein. 13 Städte hat die NPD mit ihrem zum "Flaggschiff" hochstilisierten Kleinlastwagen in Baden-Württemberg angefahren. Mittlerweile ist der Bundestagswahltross der faschistischen Partei in Richtung Bayern und Osten weitergezogen. Zeit also um eine erste, kurze Bilanz zu ziehen.

 

Vor etwa 2 Monaten haben wir die Kampagne "Ob Straße, Köpfe oder Parlamente: Kein Fußbreit den Faschisten! - Den Wahlkampf der NPD unmöglich machen!" ins Leben gerufen. Unsere Zielsetzung war und ist bis heute den NPD-Wahlkampf bestmöglich zu sabotieren und die öffentliche Präsenz der Faschisten, ob nun in Form von Plakaten, Kundgebungen oder Infoständen, durch antifaschistischen Protest maximal einzuschränken. Mit der Ankündigung des Bundesvorstands der NPD, auch in diesem Jahr eine Kundgebungstour durch die BRD zu veranstalten, stellte sich auch für uns in diesem Kontext die Frage der Gegenaktivitäten.

 

Die "Flaggschifftour" in Baden-Württemberg


In mehreren Orten waren wir direkt in die Proteste gegen das "Flaggschiff" involviert, haben sie initiert und - teilweise in Zusammenarbeit mit anderen Akteureninnen und Akteuren- geplant. Andererorts waren wir aus verschiedensten Gründen zum Zuschauen verdammt. Alles in allem haben sich nach unseren Einschätzungen etwa 2000 Menschen an den Protesten gegen die 13 Stationen der NPD in Baden-Württemberg beteiligt. Regional hat sich diese Zahl jedoch sehr unterschiedlich niedergeschlagen. Dazu ein kurzer Überblick: Knapp 600 Menschen verzögerten die Abreise des Nazikonvois in Reutlingen um knapp anderthalb Stunden. Auch in Heilbronn, Mannheim, Stuttgart, Karlsruhe, Ludwigsburg und Offenburg stellten sich mehrere hundert Menschen den Faschisten entgegen. Dennoch muss erwähnt werden, dass die antifaschistischen Kundgebungen in Crailsheim, Aalen, Singen, Ulm, Pforzheim und Göppingen weit weniger gut besucht waren. In Sinsheim hat eine der wenigen NPD-Kundgebungen bundesweit stattgefunden, der keinerlei antifaschistischer Protest entgegengesetzt wurde.


Dass der antifaschistische Protest oft nur unkronkret blieb, daran hat auch die Polizei ihren Anteil. Die in Baden-Württemberg eingesetzten Hundertschaften und Spezialkräfte sorgten selbst dort, wo Protest konkreter wurde, für den reibungslosen Ablauf der Naziveranstaltung. Martialische Präsenz, weitläufig mit Hamburger Gittern abgesperrte Kundgebungsorte, Reiseeskorte, Platzverweise, präventive Festnahmen - auch die südwestdeutsche Polizei hat aus den Protesten der vergangenen Jahre ihre Konsequenzen gezogen. Das skizzierte Vorgehen der Einsatzkräfte mündete schließlich, unterstützt durch andere Aspekte, wie beispielsweise die kurzfristige Mobilsierungszeit und die schwierigen Termine unter der Woche, in einer fast störungsfreien Nazifahrt durch Baden-Württemberg.

Das Konzept "Flaggschiff"


Um die Gegenaktivitäten in den richtigen Bezug zu setzen, ist es sicherlich notwendig das Konzept "Flaggschiff" genauer zu betrachten. Zu oft ist im Kontext der Gegenproteste die Relevanz der faschistischen Kundgebungstour herabgesetzt worden. Das dabei hauptsächlich angeführte Argument bezieht sich grob umrissen auf die, in dieser Hinsicht angeführte, mangelnde Relevanz der Nazikundgebungen. Die antifaschistische Bewegung solle sich an diesen Kleinkundgebungen nicht abarbeiten, so deren VerfechterInnen. Das sehen wir anders: Sicherlich, für die NPD als Struktur bietet die Form der Aktivität wenig Entwicklungspotential. Die "Deutschlandtour" ist fast ausschließlich vom Bundesvorstand geplant und wird auch von diesem maßgeblich durchgeführt, lokale Strukturen erhalten, wenn überhaupt,erst kurzfristig über den Tourstop in der eigenen Stadt Bescheid. Die Besetzung der Kundgebungen verdeutlicht dies - die Stammbelegschaft rund um wichtige Bundesfunktionäre wurde regional höchstens ergänzt. Auch die Zeiten der Veranstaltungen sind nicht darauf ausgelegt möglichst viele rechte Aktivisten die Partizipation zu ermöglichen. Letztlich zielt die "Flagschifftour" aber darauf auch nicht ab.


Bleiben die anderen Seiten dieser Aktionsform. Die erhoffte und oft auch befriedigte Hoffnung auf mediale Präsenz in der bürgerlichen Presse ist dabei ein Aspekt. Wesentlich zentraler ist das, was tatsächlich auf der Straße passiert: Die Möglichkeit annähernd flächendeckend in der gesamten BRD Kundgebungen durchzuführen und damit ihre menschenverachtende Hetze ganz konkret unter die Bevölkerung zu tragen, ermöglicht der NPD auch, sich als AkteurIn mit bundesweiter Bedeutung darzustellen. Hetze gegen MigrantInnen, Andersdenkende oder politische Gegner werden per Großanlage auf die Innenstadtplätze der BRD transportiert. Der lautstarke Protest vieler tausender AntifaschistInnen ändert an diesem Punkt, abgesehen von der unmittelbaren Kundgebungsumgebung, leider wenig. Mit der verhältnismäßig hohen Anzahl an Kundgebungen und den durch die Umstände erschwerten Gegenprotest versucht die NPD zur politischen Normalität zu werden.


Erwähnt sein diesem Zusammenhang der Landtagswahlkampf 2011 in Mecklenburg-Vorpommern: Imbissbunden mit NPD-Infozelt vor Plattenbausiedlungen gehörten damals ins Bild der Vorwahlphase. Ohne jegliche Form der antifaschistischen Intervention war es der faschistischen Partei möglich,um Stimmen zu werben und sich als etablierte politische Kraft zu präsentieren. NPD-Auftritte kleinzureden oder gar von Protesten abzusehen spielt diesem Ziel mehr als nur in die Hände.


Und die von den Faschisten erhofften Anknüpfungspunkte finden sich. Um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen,  seien hier nur die Proteste gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin-Hellersdorf erwähnt. Die NPD griff dort, teilweise mithilfe des "Flaggschiffs", die ausländerfeindliche Stimmung gegen ein Flüchtlingsheim in Teilen der dortigen Bevölkerung auf und kanalisierte sie. Auf der Kundgebung der faschistischen Partei fanden sich, neben dem eigenen Parteianhang, zahlreiche BewohnerInnen des Berliner Stadtteils wieder. Die dort propagierte Stoßrichtung unterschied sich nur in Nuancen von dem der vorangegangenen Kundgebung der "Deutschlandtour".

Konsequenzen ziehen - aktiv werden!


Die "Flaggschifftour" der NPD durch Baden-Württemberg ist mit Sicherheit kein Erfolg für die NPD gewesen, aber, und das ist der Knackpunkt, es war auch keine Niederlage für die Faschisten. Anders als noch im vergangenen Jahr konnte die Nazipartei 2013 alle geplanten Kundgebungen abhalten und wurde nur in etwas mehr als der Hälfte der Städte mit aussagekräftigem Protest konfrontiert. Doch selbst dieser Protest konnte die erhoffte Wirkung nicht entfalten. Eindimensional beschränkten sich die antifaschistischen Aktionen in vielen Orten auf das Übertönen der faschistischen Propaganda, an vielen Stellen wirkte der Protest desorganisiert - da nehmen wir uns nicht aus.


Unserer Ansicht nach gibt es mehrere Ebenen derer sich die antifaschistische Bewegung annehmen muss, um zumindest die Grundlagen für einen wirkungsvollen Protest auch gegen das "Flaggschiff" zu schaffen. In erster Linie ist es notwendig viele gesellschaftliche Akteurinnen und Akteure in die Aktionen gegen die Nazis miteinzubeziehen. Einerseits stärken breite Bündnisse die Mobilisierungsfähigkeit, andererseits sorgen sie für eine Sensibilisierung der beteiligten Kräfte. Langfristig angelegte Bündnistrukturen gegen Rechts erleichtern einen weiteren Punkt: Kurzfristige bzw. zeitpunktunabhängige Mobilsierungen. Die Termine unter der Woche und die Umgruppierung der Kundgebungsorte durch die NPD waren, neben der massiven Polizeipräsenz, mit ausschlaggebenden Punkte, die zur Schwächung der Proteste beigetragen haben. In Städten, in denen breite und spektrenübergreifende Bündnisse existieren, ist es wesentlich besser gelungen, eine größere Menschenmenge für Gegenproteste zu sammeln.


Letztlich ist jedoch die fehlende Flexibilität der Aktionsformen der in unseren Augen ausschlaggebende Punkt für die Misserfolge bei den Protesten gegen das "Flaggschiff". Die antifaschistische Bewegung tut nicht gut daran, sich von vorne herein in der Wahl ihrer Mittel zu beschränken. Das gilt umso mehr,wenn die Ausgangslage sich derart darstellt, wie sie das bei der "Flaggschifftour" getan hat. Schließlich waren Kundgebungsorte und Reiseverlauf zumindest im Groben seit längerer Zeit bekannt. Oft genug lagen nur wenige Meter zwischen Nazis und dem antifaschistischen Protest.

Es ist 2013 nicht gelungen das "Flaggschiff" zu stoppen oder gar zu versenken, wie es allzuoft eigentlich richtigerweise propagiert wurde. Die NPD wird wieder kommen - Zeit sich genau darüber Gedanken zu machen.

unmoeglichmachen-Kampagne, September 2013

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