Eine Dokumentation beim Filmfest Venedig zerstört das Image der Feministinnen-Initiative Femen: "Die Ukraine ist kein Bordell" zeigt die Angst der Aktivistinnen vor dem Mann, der bisher als ihr Berater galt. Jetzt fällt die Fassade. Die Rede ist von "Sklavinnen" und "Stockholm-Syndrom". Von Tobias Kniebe, Venedig
Schöne, selbstbestimmte, unerschrockene Amazonen des Feminismus, die mit blankem Busen gegen die Unterdrückung der Frau, gegen Prostitution, Männergewalt und autoritäre Regimes kämpfen - das ist das offizielle Image von Femen. Doch ein Dokumentarfilm aus dem Inneren der ukrainischen Aktivistinnengruppe, der auf dem Filmfestival von Venedig vorgestellt wurde, zerstört nun dieses Bild. Glaubt man den Bildern dieses Films, ist der Chef der Gruppe ein autoritärer, extrem dominanter Mann, der seine Aktivistinnnen zum Teil bezahlt, erniedrigt und in emotionaler Abhängigkeit hält.
s"Ukraina Ne Bordel (Die Ukraine ist kein Bordell)" heißt die Dokumentation, die von der 28-jährigen australischen Filmemacherin Kitty Green realisiert wurde. Sie hat mehrere Femen-Frauen über Jahre begleitet, viele Aktionen auch für die offizielle Femen-Webseite gefilmt. So gewann sie das Vertrauen mehrerer führender Aktivistinnen wie Inna Shevchenko und bekam immer tieferen Einblick in die Struktur der Gruppe.
Was sie dort fand, steht im totalen Widerspruch zur offiziellen Femen-Ideologie. Denn nach und nach wird in Greens Film klar, dass all diese Aktivistinnen, die oft erstaunlich naive Statements abgeben, Angst haben - und zwar vor einem Mann. Es ist niemand anders als Viktor Swjazkij, der in der Presse bisher als "Femen-Berater", manchmal auch als "Ideologe im Hintergrund" auftaucht. Dies wird nach diesem Film nun anders sein - Green nimmt das offizielle Bild der Gruppe nicht nur auseinander, sie zerstört es komplett.
Nach Aussehen ausgewählt
Denn darin sieht man Filmdokumente, in denen Viktor Swjazkij nicht nur detaillierte Anweisungen für Aktionen gibt, jeden einzelnen Schritt, jedes Statement fast militärisch diktiert. Er brüllt herum, erniedrigt seine Aktivistinnen, beschimpft sie für ihre Feigheit, erinnert sie an die Dollarzahlungen, die sie bekommen haben. Und die Frauen geben schließlich vor der Kamera zu, wie abhängig und verängstigt sie zum Teil sind, auf welche absurde Weise die interne Machtstruktur der Gruppe deren offizieller Ideologie widerspricht - eine verwendet sogar die Worte "Sklavin" und "Stockholm-Syndrom".
Zunächst versuchen die Frauen, Swjazkijs Rolle geheim zu halten, und brechen Interviews vor der Kamera schnell ab, wenn er anruft und ins Telefon brüllt. Schließlich aber rücken sie mit der Wahrheit heraus. Dass Viktor die Mädchen nach Aussehen ausgewählt hat, um bessere Bilder zu bekommen, dass Frauen, die nicht bereit waren, sich auszuziehen, aus der Gruppe wieder ausgeschlossen wurden. Eine Aktivistin erzählt, dass sie ihr Geld eigentlich als Tänzerin in einer Nacktbar verdiene, eine andere sieht sich als Schauspielerin und schwärmt von ihren Internet-Fans. Beide sehen keinen großen Widerspruch darin.
Auf Nachfrage bezeichnet er sich selbst als "Patriarch"
Schließlich tritt auch Viktor Swjazkij selbst vor die Kamera und erklärt, die Frauen seien zu schwach, zu unentschieden und zu unpünktlich, um wahre Aktivistinnen zu sein. Er habe sie dies erst "lehren" müssen. Auf Nachfrage bezeichnet er sich selbst als "Patriarch" der Gruppe. Auf die offensichtlichen Widersprüche hingewiesen, erklärt er, die Geschichtsbücher seien voll solcher "historischer Paradoxien" - auch Marx und Lenin seien schließlich aus eben jener Bourgoisie gekommen, die sie bekämpft hätten.
Alles, was Femen betrifft, muss nun neu bewertet werden - etwa die kürzlich berichtete Flucht von drei Aktivistinnen aus der Ukraine, oder die Nachricht, dass Viktor Swjazkij im Zentrum von Kiew von Unbekannten angegriffen und schwer verletzt worden ist - da haben sich die Gegner offenbar gleich den Chef selbst gegriffen. Eines sollte allerdings nicht vergessen werden: Wie seltsam verdreht und verlogen dieser Kampf gegen Putin, Lukaschenko und andere Machthaber nach den Enthüllungen dieses Films auch erscheinen mag - die Frauen und selbst das durchtriebene Mastermind Swjazkij riskieren dafür immer noch, ganz wörtlich, ihre Haut.