Nachdem der Normalisierungs-Prozess im Baskenland seit geraumer Zeit in die Sackgasse geraten ist, sind es momentan Statements von einzelnen politischen Akteur/innen, die zum Ziel haben, dem Prozess wieder die nötige Fahrt zu verpassen, oder zumindest die Hoffnung darauf am Leben zu erhalten. Einig sind sich alle, dass die spanische Regierung verantwortlich ist für die Stagnation, manche reden gar von Rückschritten. Die spanische PP mit ihren ultrarechten Satelliten-Verbänden fordert Serien von Unterwerfungs-Gesten von den Gefangenen und der baskischen Linken.
Die rechte Presse schreibt, ETA habe den Gefangenen verboten, individuelle Wege einzuschreiten, sprich, über Reue-Demonstrationen zu Vergünstigungen zu kommen. Zuletzt meldeten sich Patxi Zabaleta (Generalsekretär der Batasuna Abspaltung Aralar, die mittlerweile in der Schoß von EH BILDU zurückgekehrt ist), Laura Mintegi (Fraktionsvorsitzende von EH BILDU im baskischen Parlament), die neue linke SORTU-Partei und Paul Rios zu Wort, der Sekretär von LOKARRI, der baskischen Konflikt-Vermittlungs-Organisation, die vor 2 Jahren die Aiete-Friedens-Konferenz mit hochkarätiger internationaler Beteiligung auf die Beine stellte. Im Zentrum steht das Bermuda-Dreieck von Entwaffnung, Reue-Gelöbnissen und ETA-Auflösung.
Das Beste seien direkte Verhandlungen von Regierung und ETA, um technische Fragen wie Waffenabgabe, Auflösung und Zukunft der Gefangenen zu klären. Dass dies in Anbetracht des großen Einflusses der extremen Rechten innerhalb der PP vorerst nicht denkbar ist, darin sind sich die baskischen Kommentator/innen einig. Sie suchen deshalb nach der zweitbesten Hebelstange, um verriegelte Türen zu öffnen oder auf Umwegen zum Ziel zu kommen. Dabei kommen die 12 Punkte aus dem von Lokarri organisierten Sozial Forum immer wieder zur Sprache (Baskale-Bericht). Lokarri versichert aktuell, ETA sei bereit, anstatt mit der spanischen Regierung mit baskischen Instanzen über eine Waffenabgabe zu verhandeln. Damit würde die Entwaffnung zum Schlüsselelement für die Weiterführung des Prozesses. Das ist in der verfahrenen Situation durchaus plausibel, unsinnig dadagen die spanische Forderung, ETA solle sich gefälligst sofort auflösen. Auflösen ohne die Waffen abzugeben und eine Regelung für die Gefangenen in der Hand zu haben? Politisch gesehen reichlicher Schwachsinn. Zum andern setzt Lokarri darauf, dass die Gefangenen den Schaden anerkennen, den die Aktivitäten von ETA verursacht haben. Eine alte Forderung der Spanier, die allerdings den Haken hat, dass nach jedem Eingeständnis draufgesattelt wird und ein weiteres Abschwören bis zur Unkenntlichkeit gefordert wird. Ein äußerst problematisches Thema, solange nicht insgesamt Bewegung im Prozess ist, auf keinen Fall ein Einstiegsthema.
Laura Mintegi von EH Bildu ist sich sicher, dass ETA trotz der Blockade-Situation bereit ist, die Waffenabgabe einzuleiten. Sie sieht im Verhalten der PP nicht nur einen Stillstand sondern Rückschritte was die Gefangenenfrage und die Verhandlungs-Bereitschaft betrifft. Sie stellt ebenfalls fest, dass “was auch immer geschieht, ETA nicht wieder zur Aktion zurückkehren wird“, eher würde die Regierung kippen. Das Auftauchen einer neuen bewaffneten Gruppe – wie es die spanische Rechte gelegentlich beschwört – schließt sie aus, weil es dafür in der Bevölkerung keine Akzeptanz gäbe. Woher Mintegi ihre Analysen nimmt, wenn sie nicht bloße Vermutungen sind, bleibt bisher ebenso unklar wie bei Paul Rios von LOKARRI. Auch Patxi Zabaleta von der Batasuna-Abspaltung ARALAR sieht die Waffenabgabe als nächsten einseitigen Schritt auf dem Weg zur Auflösung von ETA und ihrem Übergang zu einer zivilen Organisation, wie er sagt. Die Daten bzgl der Arsenale sollten an internationale Vermittler ausgehändigt werden, was die spanische Regierung dann in Zugzwang bringe, so der technische Weg. Zabaleta beschuldigt die Führung der PP, sich der partei-internen Ultrarechten zu beugen und den Prozess zum Scheitern bringen zu wollen. Selbstkritik bzw Anerkennung des verursachten Schaden sieht er als notwendig an, doch will er sie nicht als Bedingung gelten lassen. Der Prozess müsse ein Ergebnis ohne Sieger und Besiegte haben – ganz entgegen der spanischen Philosophie vom totalen Sieg. In der Entscheidung des Menschenrechts-Gerichtshofs in Straßburg zur willkürlichen Strafverlängerung gegen die Gefangenen sieht er eine Weichenstellung für die Zukunft. Mit Auswirkungen auf das Baskenland, auf Spanien und Europa. Der Druck, den die spanische Regierung auf Straßburg ausübe sei “bestialisch“. Würde der MR-Gerichtshof die Parot-Doktrin nicht kippen, habe das gravierende Auswirkungen auf die internationale Rechtssprechung in Bezug auf Menschenrechte, auch für künftige Fälle.
Von der rechtsbaskischen Regierungs-Partei PNV kommen keine Mutmaßungen, lediglich der Aufruf, sowohl ETA wie die abertzale Linke müssten den unilateralen Weg bis zum Ende weitergehen, um glaubhaft zu sein. Dafür bekräftigte auch der EH BILDU-Koalitionspartner EA, bei ETA gäbe es die Bereitschaft, auch ohne direkte Verhandlungen den Prozess wieder in Gang zu bringen. Jedoch gleichfalls keine konkreten Aussagen. Genauso wenig von SORTU, der neuen Partei der baskischen Linken. Der Sprecher Barrena kündigte für Herbst wichtige Entscheidungen von ETA an, die sich auf Waffenabgabe und die Gefangenenfrage beziehen würden. Leider gäbe es in Spanien Kräfte, die keinerlei Interesse an einem Fortgang des Prozesses haben, weil das Thema ETA immer dazu gedient habe, andere gesellschaftliche Themen zu deckeln.
Wenn all diese Aussagen und Spekulationen nicht bloße Durchhalteparolen sind, um wenigstens die Hoffnung nicht sterben zu lassen, könnten sie sich auch auf dieselbe Quelle beziehen. Es ist davon auszugehen, dass es an irgendeinem Ort des Planeten konkrete Kontakte gibt mit der noch bewaffneten Organisation. Wie im heutigen politischen Geschäft üblich, werden Nachrichten nicht erst bei Bekanntwerden relevant, sondern schon vorher in Umlauf gesetzt, erstens, um das Thema in den Köpfen zu platzieren, zweitens, um den Diskurs warm zu halten. Bleibt abzuwarten, was der Herbst an einseitigen Maßnahmen von welcher Seite auch immer bringt und welche Umwege der Normalisierungs-Prozess nimmt, um vor allem in der Frage der Gefangenen zu Veränderungen zu kommen. Sollte das nicht der Fall sein, gibt es möglicherweise bald wieder mehr politische Gefangene, sollten die für Herbst anstehenden Mammut-Prozesse (Bericht Baskinfo) mit Urteilen enden.
(Red.Baskinfo – www.baskinfo.blogspot.com.es)