In Folge der zahlreichen Diffamierungen seitens der politisch Verantwortlichen in Bayern, einiger Medienvertreter_innen aber auch der Vorwürfe aus den Reihen der Unterstützer_innen ist es fast in Vergessenheit geraten, warum die Flüchtlinge am 22.06.2013 am Münchner Rindermarkt in den Hungerstreik traten.
Der Hungerstreik am Rindermarkt in der Münchner Innenstadt wurde von anfänglich 95 Flüchtlingen vom 22.06. bis zu ihrer Räumung am 30.06. 2013 als politisches Mittel genutzt, um ihr Recht auf Anerkennung ihrer Asylanträge zu fordern. Ein weiterer Protest in der Reihe all der anderen Proteste, die seit März 2012 anhalten und sich für ein menschenwürdiges Leben einsetzen. Ein Drama, als welches es Ude bezeichnete, was ihn dennoch nicht davon abhielt, noch am selben Tag der Räumung an einem Volksfest teilzunehmen und seine Freude darüber in aller Öffentlichkeit kundzutun.
Ein hässliches Drama, dem keiner zusehen wollte. Lieber stellte man sich als empörte Bürger_innen in die Nähe und pöbelte, drehte seine Runden wie Geier um Verhungernde und verbrachte so einige Stunden der Unterhaltung unter Artgenoss_innen. Geifernd wedelten sogar einige mit ihrem Wurstbrot und grinsten hämisch. Es passte ihnen nicht, dass die „Neger, Zigeuner und was alles da noch so kommt…“ nun mitten unter ihnen in ihrer schönen Stadt waren und ihnen schweigend und ohne jede physische Gewalt Vorwürfe machten oder sie gar forderten, ihnen zuzustimmen - die Ernte des Wohlstands einer globalen Minderheit.
Selbst für diejenigen unter den Streikenden, die nun seit über einem Jahr im wahrsten Sinne des Wortes auf den Straßen sind und für ihre Forderungen kämpfen, war der Streik am Rindermarkt eine außergewöhnliche Situation, sodass einige von ihnen dafür nicht das Wort „Aktion“ in den Mund nehmen wollen, weil es viel mehr war als das.
Etwas schon länger nicht mehr Dagewesenes und umso Herausfordernderes, denn ein Hungerstreik von über 50 Flüchtlingen erfordert eine gute Organisation, die nur dann funktionieren kann, wenn alle ein gemeinsames Ziel haben. Dieses hatten sie und sorgten dafür, dass die ganze Republik davon erfuhr.
Um so einen Streik zu organisieren und aufrecht zu erhalten, sind gewisse Strukturen notwendig, so wurde im Vorfeld gemeinsam viel diskutiert und nachgedacht. Es gab keine Entscheidung, die den teilnehmenden Streiker_innen aufgezwungen wurde, sie wurden in den täglich stattfindenden Plena der Non-Citizens trotz sprachlicher Hindernisse gemeinschaftlich getroffen. Trotz der physischen Schwächung durch den Hungerstreik und dessen psychischer Auswirkung wurde nicht auf die gemeinsamen Sitzungen verzichtet.
Mit Einverständnis aller wurden bestimmte Personen zum Überbringer der Entscheidungen nach außen ernannt oder mit anderen Aufgaben betraut wie die medizinische Versorgung. Die Struktur innerhalb des Camps war also nicht autoritär organisiert, auch wenn einige außerhalb des Protestcamps dies behaupten.
Diese Behauptung spricht den Non-Citizens ab, als selbständige Menschen sich für ihre Rechte einsetzen zu können. Sie spricht ihnen ab, ein eigenes Bewusstsein sowie einen eigenen Willen aufbauen und ihre Ziele verfolgen zu können. Eher wird unterstellt, sie seien von einer kleinen „linksradikalen Kommunisten-Gruppe“, „iranischen Clique“ oder gar von der Reclaim Society! instrumentalisiert worden, sie seien also nichtsahnend zum Ort des Geschehens gelockt und einem hierarchischen System unterworfen worden. Was sagt uns dieses Bild über den „Flüchtling“, welches die letzten Wochen in den Medien, in der Politik und gar in der potentiellen Unterstützer_innenszene kursierte, über die „deutsche“ Gesellschaft?
Die Flüchtlinge haben einen Weg gefunden, wie sie aus der ihnen aufoktroyierten Unmündigkeit heraustreten und die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machen können. Sie haben in den letzten Jahrzehnten so einige Wege beschritten, um auf das Unrecht hinzudeuten, das ihnen tagtäglich widerfährt. Der Weg, der am Rindermarkt beschritten wurde, ist sicherlich nicht der leichteste und so ist es ein Hohn, zu glauben, dass die Streikenden nicht gewusst hätten, wofür und für wen sie ihn gingen.
Zitat eines am Streik beteiligten Non-Citizens: „Worum geht es bei diesem Protest? Diese Frage muss in der Gesellschaft gestellt werden, damit die Hauptsache nicht vergessen wird. Es sind über 50 Flüchtlinge auf die Straße gekommen, sie sind in den Hungerstreik getreten, dafür haben sie ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Egal welcher ideologischen Ausrichtung ein Mensch sich zugehörig fühlt, er muss sich diese Frage stellen und hinterfragen, warum statt einer politischen Lösung Polizeigewalt eingesetzt wird.“