Hausverbote für Gewerkschafter, konstruierte Kündigungen, massive Behinderungen von Betriebsratswahlen: Arbeitnehmervertreter erheben schwere Vorwürfe gegen den Baumarktriesen Obi. Das Unternehmen spricht dagegen von einer "vertrauensvollen Zusammenarbeit" mit den Angestellten.
Von Tobias Lill
München - Es war keine schöne Bescherung für Klaus Armbruster. Der Betriebsratsvorsitzende einer Obi-Filiale im schwäbischen Bietigheim wollte im Dezember 2007 kurz vor Heiligabend nur die Weihnachtspost aus dem Briefkasten holen. Doch unter den Festtagsgrüßen fand er auch einen überraschenden Brief von seinem Arbeitgeber - es war die fristlose Kündigung.
Der Grund für die Entlassung: Die Obi-Filialleitung warf Armbruster vor, einen Weihnachtsbaum nicht bezahlt zu haben. Denn Armbruster hatte den Mitarbeiterrabatt für sich und seine Frau in Höhe von je 50 Prozent addiert und war zu dem Schluss gekommen, dass er für den Baum nichts zahlen müsste. "Zuvor habe ich den Filialleiter telefonisch um Erlaubnis gefragt", sagt er.
Der Fall landete vor dem Arbeitsgericht Stuttgart, das jedoch keinen Betrugsfall zu erkennen vermochte und die Kündigung verwarf. "Doch die Monate, in denen ich wegen des laufenden Verfahrens nicht arbeiten durfte, waren eine sehr schlimme Zeit - vor allem wegen der Ungewissheit."
Was für sich genommen wie ein ärgerliches Missverständnis klingt, hat nach Ansicht von Gewerkschaften System. "Bei Obi will man keine Betriebsräte, kritische schon gar nicht", sagt der baden-württembergische Ver.di-Gewerkschaftssekretär Christian Paulowitsch. Und auch Betriebsrat Armbruster ist überzeugt: "Die wollten mich loswerden, weil ich als Betriebsrat zu unbequem war." Er hatte unter anderem Streiks organisiert.
Nie läuft eine Wahl wie vorgesehen
Tatsächlich kann Mitbestimmung für ein Unternehmen teuer werden - schließlich haben die Arbeitnehmervertreter bei vielen Themen ein Wort mitzureden: etwa bei der Arbeitszeit oder Kündigungen. Deshalb versuche Obi wie kaum eine andere Firma, deren Bildung bereits im Vorfeld zu verhindern, klagt Rainer Reichenstetter, der in der Ver.di-Bundeszentrale für Obi zuständig ist. "Überall, wo Betriebsräte gegründet werden sollen, gibt es erhebliche Widerstände und Schwierigkeiten". Obi versuche vielmehr, die Gründung von Arbeitnehmervertretungen "systematisch" zu verhindern. Nie laufe eine Wahl so ab, wie eigentlich im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen. Dies gelte sowohl für franchisegeführte Geschäfte als auch für Obi-Filialen. Reichenstetter vermutet: "Das Ganze wird von der Konzernzentrale mit Rückendeckung durch Tengelmann zentral gesteuert".
Die Zahlen jedenfalls sind bemerkenswert: Bundesweit gibt es laut Ver.di nur in etwa 40 der über 330 Baumärkten der Tengelmann-Tochter einen Betriebsrat - so etwa in Stuttgart-Wangen. In der dortigen Obi-Filiale wählten die Mitarbeiter 2005 eine Arbeitnehmervertretung. "Das war ein riesiger Kampf", sagt dessen stellvertretender Vorsitzender Herbert Fahlisch.
Und er wurde mit harten Bandagen geführt: Fast sieben Jahre habe er bis zu jenem Jahr bereits bei Obi gearbeitet, berichtet Fahlisch - ohne dass die Filialleitung je etwas auszusetzen hatte. "Als ich für den Wahlvorstand kandidierte, begannen plötzlich das Mobbing und die Schikanen", erinnert sich der Schwabe. Zwei Mal mahnte ihn sein Arbeitgeber innerhalb weniger Monate wegen angeblicher Kundenunfreundlichkeit und weil er Anweisungen eines Vorgesetzen nicht Folge geleistet habe ab. Dann kündigte ihm Obi fristlos, und zog die Kündigung erst zurück, als Fahlisch vor das Arbeitsgericht zog. "Man wollte mich einschüchtern", behauptet der Betriebsrat.
Abfindung für aufmüpfige Mitarbeiter
Auch in Bayern gibt es der Gewerkschaft zufolge große Probleme. Bei einer Mitarbeiterversammlung in einer Obi-Filiale in Erding sei Ende 2007 von Seiten der Firmenleitung "eine Stimmung der Angst" verbreitet worden, berichtet Ver.di-Sekretär Orhan Akman. Beschäftigte seien in Einzelgesprächen unter Druck gesetzt worden. "Der Arbeitgeber wollte wissen, wer dahinter steckt", erinnert sich der Gewerkschafter. Es sei verbreitet worden, ein Betriebsrat gefährde zahlreiche Arbeitsplätze. Akman erhielt Hausverbot in allen Obi-Filialen im Raum München. "Als es schließlich um die Gründung eines Wahlvorstands ging, fanden sich dann nicht mehr genug Mitarbeiter, die sich trauten, darin mitzuwirken", erzählt der Ver.di-Mann.
Laut Akman sollen Obi-Franchiser auch nicht davor zurückschrecken, Betriebsräte oder Kandidaten mit gut dotierten Aufhebungsverträgen aus dem Unternehmen hinaus zu komplimentieren. So liegt SPIEGEL ONLINE liegt ein Aufhebungsvertrag für einen Mitarbeiter von April 2008 vor, der zu jener Zeit für die Erdinger Filiale als Betriebsrat kandidieren wollte. Die gebotene Abfindung betrug immerhin 15.500 Euro, plus Rentenansprüche - eine üppige Summe für jemanden, der ein halbes Jahr später ohnehin das Rentenalter erreicht hatte.
Auf Anfrage bestätigt Burkhard von Fritsch, Geschäftsführer des für die Erdinger Filiale zuständigen Obi-Franchisers HEV-Heimwerkermarkt Verwaltungs GmbH: "Ja, da wollte der Filialleiter einen möglichen Betriebsratskandidaten rauskaufen". Allerdings sei dies ohne Rücksprache mit der Geschäftsführung geschehen. Auch sei der Versuch "dilettantisch", da der betreffende Mitarbeiter "ja nicht der einzige Gewerkschafter in der Filiale war". Den Vorwurf, die HEV sabotiere Betriebsratswahlen, weist er zurück: "Das stimmt definitiv nicht".
"Die haben von Lidl gelernt"
Doch die Beispiele häufen sich: In einem Obi-Geschäft im Stuttgarter Stadtteil Feuerbach sollen Ende 2005 zwei Mitarbeiter, die sich für einen Betriebsrat stark machten, sogar so stark unter Druck gesetzt worden sein, dass sie anschließend für einen längeren Zeitraum in psychische Behandlung mussten. Das berichtet Gewerkschafter Rüdiger Kamm. Ebenfalls im Raum Stuttgart konnte die Geschäftsführung im vergangenen Jahr die Gründung eines Gesamtbetriebsrates von mehreren Obi-eigenen Filialen mit einem juristischen Trick verhindern: Einen Tag vor der bevorstehenden Wahl änderte der Handelskonzern kurzerhand die Gesellschaftsform für eben jene Märkte. "Die haben von Lidl gelernt", sagt der Waiblinger Obi-Betriebsrat Andreas Heinrich.
Dabei haben Gewerkschaften bei Obi traditionell einen schweren Stand: Die Filialleitung eines Baumarktes im bayerischen Stephanskirchen soll 2005 laut Ver.di seine Mitarbeiter sogar zum Gewerkschaftsaustritt aufgefordert und Blanko-Austrittsformulare verteilt haben. Ein an die Arbeitnehmerorganisation adressiertes Blanko-Austrittsformular mit dem Titel "Widerruf meiner Mitgliedschaft" liegt SPIEGEL ONLINE vor. Der örtliche Obi-Franchiser bestreitet auf Anfrage jedoch, dass die Geschäftsführung solche Formulare verteilt hat. In Stuttgart-Wangen hat Obi laut Ver.di eine Reihe von Testkäufern gegen kritische Arbeitnehmer eingesetzt - ohne Zustimmung des Betriebsrats: "Zufällig bekamen später ausschließlich Gewerkschaftsmitglieder, die zuvor gestreikt hatten, eine Abmahnung wegen angeblicher Unfreundlichkeit", sagt Betriebsrat Fahlisch.
Doch damit nicht genug: Gewerkschafter Akman behauptet, bei Obi gebe es für Führungskräfte Schulungen "im Betriebsrats-Killing". Filialleiter hätten Seminare der Kanzlei Schreiner mit dem Titel "In Zukunft ohne Betriebsrat" besucht. Der Münchner Franchiser von Fritsch kann sich daran nicht erinnern und bestätigt lediglich, dass "Mitarbeiter an Schulungen, in denen es um den richtigen Umgang mit Betriebsräten geht, teilgenommen haben". Ein Blick in das Seminarprogramm zeigt jedoch, welches Bild von Arbeitnehmervertretern dabei gezeichnet wird: Von "windelweichen Betriebsräten" ist da etwa die Rede. Der zuständige Anwalt Dirk Schreiner sagt auf Anfrage: "Es geht bei uns nur um legale Wege, einen Betriebsrat loszuwerden".
Die Folgen dieser Politik sind klar: Auf Grund der wenigen Arbeitnehmervertreter ist Obi in vielen Regionen nicht tarifgebunden. Im Ostdeutschland zahlen manche Baumärkte an ungelernte Arbeitskräfte laut Ver.di nur vier bis fünf Euro Brutto-Stundenlohn. Eine Zahl, die auch ein ehemaliger Franchise-Nehmer bestätigt. "Biebergünstige Preise auf Kosten der Mitarbeiter", sagt Gewerkschafter Akman.
In der Obi-Zentrale in Wermelskirchen kann man die Vorwürfe jedoch "nicht nachvollziehen". Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE heißt es in einer knappen Stellungnahme lediglich: "In jedem großen Unternehmen gibt es in Einzelfällen auch mal lokale Meinungsunterschiede, die wir aber immer unter Beachtung der Belange aller Beteiligten lösen und gelöst haben." Obi arbeite mit seinen Mitarbeitern sowie den Mitarbeitervertretungen "vertrauensvoll zusammen".