DGB-Gewerkschaften streiten über Leiharbeit

Erstveröffentlicht: 
06.06.2013

Wenn es keinen Tarifvertrag für Leiharbeiter gibt, müssten die Unternehmen Equal Pay umsetzen. Darüber ist jetzt Streit innerhalb der Gewerkschaften ausgebrochen

Der 1. November 2012 war für die deutschen Leiharbeiter ein wichtiger Tag. Seit diesem Zeitpunkt gilt, dass jeder Leiharbeiter in einem Unternehmen gleich bezahlt und behandelt werden muss wie ein vergleichbarer Arbeiter der Stammbelegschaft. Equal Pay und Equal Treatment waren Forderungen, die lange Zeit immer wieder von Leiharbeitern, aber auch den DGB-Gewerkschaften gestellt wurden. Genaueres allerdings regelt wie so oft das Gesetz.

 

Denn die im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) festgeschriebenen Standards Equal Pay und Equal Treatment[1] gelten nur dann, wenn es keinen entsprechenden Tarifvertrag gibt, der etwas anderes festlegt[2].

Derzeit verhandelt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit den Arbeitgeberverbänden der Zeitarbeit über die bestehenden Tarifverträge. Innerhalb der Gewerkschaften ist nun ein Streit[3] darüber entstanden, ob eine solche Neuverhandlung überhaupt sinnvoll ist, oder ob die Verträge nicht einfach aufgekündigt werden sollten.

Das DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki, der aufseiten der Gewerkschaften die Verhandlungen leitet, sagte[4] in einem Interview, das vom DGB veröffentlicht wurde:

Der Verzicht auf Entgelttarifverträge in der Leiharbeit müsste nicht automatisch zu Equal Pay führen.

So sei die Frage der Nachwirkung eines alten Leiharbeitstarifvertrages juristisch umstritten und müsse aller Wahrscheinlichkeit nach zunächst vor einem Arbeitsgericht geklärt werden. "Das kann dauern und für die Beschäftigten wäre in dieser Situation unklar, welche Ansprüche sie haben."

Die Positionen

Darüber hinaus warnt er auch davor, den Mindestlohntarifvertrag auslaufen zu lassen. Würde dieser im Herbst beendet werden und würde dann kein neuer geschlossen, gäbe es keinerlei tarifliche Regelungen und damit keinen Branchenmindestlohn für die verleihfreie Zeit der Leiharbeitnehmer mehr.

Sie wären in der verleihfreien Zeit der Willkür der Leiharbeitsfirma schutzlos ausgeliefert.

Dass diese Position nicht unumstritten ist, zeigen Briefe verschiedener Gewerkschaftsmitglieder. So heißt es in einem Schreiben[5] des DGB-Kreisverbandes Schwäbisch-Hall an den Bezirksvorstand des DGB Baden-Württemberg: "Wenn wir als Gewerkschaften es mit dem Grundsatz 'Gleicher Lohn für gleiche Arbeit' ernst meinen, müssten wir aus den Vereinbarungen aussteigen!" Die Nachwirkung von Tarifverträgen könne auch nach der Meinung ernstzunehmender Arbeitsrechtler kein Argument für diese Haltung sein, heißt es in dem Schreiben weiter:

Wenn wir nicht in den Verdacht geraten wollen, wir würden die Haltung der deutschen Unternehmer übernehmen, dass die "Wettbewerbsfähigkeit" der deutschen Industrie über Leiharbeit und prekäre Beschäftigung zu vergrößern sei, dann müssen wir strategisch dafür sorgen, dass Leiharbeit zurückgedrängt und letztlich verboten wird. Ein Schritt dazu wäre die ersatzlose Aufkündigung der DGB-Leiharbeitstarifverträge.

Der Bezirksvorstand Düsseldorf der DGB-Gewerkschaft Verdi schlägt in dieselbe Kerbe. In einem Brief[6] an den Bundesvorstand von Verdi heißt es: "Der Bezirksvorstand Düsseldorf ist nicht bereit, einen erneuten DGB-Tarifvertrag in der Zeitarbeit mitzutragen, wenn solche Verhandlungen nicht die bessere Variante sind, unser Ziel des flächendeckenden Equal Pay zu erreichen." Darüber hinaus beklagt sich der Bezirk auch darüber, "dass es keine Information und Diskussion über diese Neuverhandlungen gegeben hat".

"Komplett unterschiedliche Probleme mit der Zeitarbeit"

Auf Nachfrage von Telepolis war vonseiten des DGB keine Stellungnahme zu erhalten. Offiziell sprechen könne nur ein Vorstand. Darüber hinaus sei auf der Webseite des Gewerkschaftsverbandes alles Notwendige zu diesem Thema veröffentlicht[7]. Aus inoffizieller Quelle heißt es jedoch, dass der Tarifvertrag des DGB mit den Arbeitgebern der Zeitarbeitsbranche schon zu Beginn ein ungeliebtes Kind gewesen sei.

So wollte sich zu Anfang niemand recht dieser unangenehmen Sache annehmen. Jetzt wäre es schlicht sehr schwierig, die Diskussion darüber neu aufleben zu lassen. Aus einzelnen Gewerkschaften heißt es darüber hinaus, die verschiedenen Teilgewerkschaften des DGB hätten komplett unterschiedliche Probleme mit der Zeitarbeit. So gäbe es Branchen, in denen es dieses Phänomen schlicht überhaupt nicht gebe, weswegen in diesen Gewerkschaften auch kein Interesse an dem Thema vorhanden sei. Andere Gewerkschaften hätten relativ gute Einzeltarifverträge abgeschlossen und hätten daher kein Interesse an einem Ende des Tarifvertrages. Aus diesen unterschiedlichen Positionen und Interessen der einzelnen Gewerkschaften ergebe sich dann auch das Vorgehen des DGB.

Wieder andere, wie beispielsweise der Arbeitsrechtler Holger Thieß, sagen[8], dass nur 3 Prozent der Arbeiter von Leiharbeit betroffen seien und davon nur ein verschwindend geringer Teil in den Gewerkschaften organisiert sei. Ein Umstand, der so auch aus anderen, internen Gewerkschaftskreisen zu hören war: "Die Gewerkschaften sind zunächst ihren Mitgliedern verpflichtet."

Gewerkschaften haben Angst davor, sich mit der Politik anzulegen

Aufgrund des geringen Organisierungsgrades bei den Leiharbeitern seien ihre Interessen daher eher nachrangig. Der Vorwurf Thieß' lautet daher:

Die große Mehrheit der Mitglieder ist nicht persönlich betroffen. Und immerhin steigert eine günstige und praktikable Leiharbeit die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen und sichert dadurch die Stammarbeitsplätze.

Er sagt, es habe zur Zeit der Agenda-Politik Kanzler Schröders eine Absprache[9] zwischen den Gewerkschaften und der Politik gegeben, wonach die Gewerkschaften die Hartz-Politik mit entsprechenden Tarifverträgen mittragen würden.

Offensichtlich haben heute eine Reihe wichtiger und führender Gewerkschafter Angst davor, sich mit der Politik anzulegen. Darüber hinaus stellt sich ihnen auch die Frage, für wen sie das eigentlich tun sollten. Leiharbeiter spielen in den Gewerkschaften nur eine sehr untergeordnete oder gar keine Rolle. Ein Umstand, der sich wohl nur dann ändern wird, wenn sich die Leiharbeiter entweder in einer der vorhandenen Gewerkschaften[10] organisieren oder sie schlicht eine neue, eigene Gewerkschaft[11] gründen.

Die erste Forderung einer solchen Gewerkschaft wäre klar: Equal Pay und Equal Treatment - flächendeckend und in allen Branchen. Ein Tarifvertrag ist dafür nicht nötig, die Durchsetzung des betreffenden Gesetzes würde ausreichen.

Links
[1] http://www.zeitarbeit-und-recht.de/tce/frame/main/674.html
[2] http://www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/Tarifvertraege-hebeln-das-Glei...
[3] http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/04/dgb_equalpay.pdf
[4] http://www.dgb.de/themen/++co++1d1e92de-9de0-11e2-b79f-00188b4dc422
[5] http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/05/dgb_equalpay_schwaebi...
[6] http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/05/dgb_equalpay_duess.pdf
[7] http://www.dgb.de/themen/++co++8e936006-b66e-11e2-83f0-00188b4dc422/@@in...
[8] http://templin-thiess.de/neues-arbeitsrecht/holger-thie%C3%9F
[9] http://www.dgb.de/themen/++co++cf65a22e-35bb-11df-7c29-00188b4dc422
[10] http://www.neues-deutschland.de/artikel/821673.ver-di-diskutiert-sich.html
[11] http://jungle-world.com/artikel/2012/50/46768.html