Proteste in Frankfurt und Istanbul: Im Zweifel zuschlagen
Wenn die Staatsmacht Demonstrationen gewaltsam auflöst, hat das vor allem einen Sinn: Der Protest soll kriminalisiert werden. Aber das funktioniert nicht mehr. In Frankfurt so wenig wie in Istanbul.
Am Wochenende kam es in Frankfurt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und antikapitalistischen Demonstranten. Es gab laut Veranstaltern mehr als 200 Verletzte. Das sind weniger als in Istanbul, wo die Demonstrationen gegen den selbstherrlichen Premier Erdogan inzwischen mehr als tausend Verletzte gefordert haben sollen. Aber das Muster ist in beiden Städten dasselbe: Die Polizei knüppelt den bürgerlichen Protest nieder. Und es liegt die Vermutung nahe, dass auch das Kalkül der Polizei dasselbe ist: Die Bilder der Gewalt sollen die Demonstranten diskreditieren. Aber das funktioniert nicht mehr.
Die Frankfurter Polizei hatte sich schon 2012 im Kampf gegen die antikapitalistischen Proteste durch besondere Unverhältnismäßigkeit hervorgetan. Erst im Februar war bekannt geworden, dass das Land Hessen Teilnehmern der Blockupy-Proteste aus dem vergangenen Jahr je 500 Euro Schmerzensgeld zahlen musste, weil die Demonstranten zu Unrecht stundenlang in Gewahrsam genommen worden waren. Das Gießener Amtsgericht hatte die Polizei dazu verurteilt. Das war der deutsche Rechtsstaat in seiner ganzen Ehrfurcht gebietenden Effizienz. Die Leute wollen demonstrieren - der Staat unterbindet das. Die Demonstranten werden eingesperrt. Und nachher bekommen sie als Entschädigung dafür, dass man sie ihrer Grundrechte beraubt hat: Geld.
Jeder Widerstand ist dem Staat verdächtig
Alles im Rahmen des Gesetzes. Alles hat seine Ordnung. Aber das ist eine sonderbare Ordnung, die eine Bedrohung sieht, wo Menschen ihre Rechte wahrnehmen und ihnen diese dann abkaufen will. Weil man mit 500 Euro auch Grundrechte kaufen kann. "Antikapitalismus" schrieb die Polizei in Frankfurt im Jahr 2012 an die Stelle, wo auf dem Formblatt der "polizeiliche Anlass" zur Festnahme einzutragen ist.
Aber ganz gleich, ob der Staat die Demonstranten kauft oder verprügelt - er schätzt sie nicht. Er misstraut ihnen. Er diskreditiert sie. Der US-Ethnologe David Graeber hat beschrieben, wie die Globalisierungsgegner von Seattle wahlweise als Kinder reicher Eltern mit Treuhandfonds oder als gewaltbereite Chaoten verunglimpft worden waren. Jeder Widerstand ist dem Staat verdächtig. Dem Gesetz ist Folge zu leisten. Das Gesetz hat recht. Wer es ändern will, dem stehen die entsprechenden Verfahren zur Verfügung. Zwar ist das Recht auf Demonstration Teil des Verfahrens. Aber es ist ein widerwillig zugestandenes Recht. Es widerspricht der Ideologie des Gehorsams, die immer noch viel stärker ist als das Ideal der Verantwortung.
Die brutalen Bilder aus Istanbul beschädigen das Image der Türkei als wirtschaftliches Kraftzentrum der Levante. Und die Bilder der mit Pfefferspray schießenden Polizisten aus Frankfurt diskreditieren die gemeinsame europäische Währung, die immer mehr Menschen nicht als verbindendes, sondern als trennendes Element in Europa wahrnehmen.
Ein Staat, der seiner Demonstranten nur mit Gewalt Herr werden kann, verliert vor den Augen der Öffentlichkeit seine Legitimation. Der gewalttätige Staat ist der schwache Staat. In Frankfurt und in Istanbul.