Es hat lange gedauert, bis "Krokus", eine Informantin des Landesamtes für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg aus der Verbannung ins Land der Verschwörungstheorien entlassen wurde. Ganz offensichtlich tobte innerhalb der beteiligten Behörden (LfV, Innenministerium) ein heftiger Streit darüber, ob man die eigene Informantin verleugnen oder die Existenz einer V-Person mit dem Decknamen "Krokus", die seit 2006 Informationen über neonazistische Gruppen und Personen an ihren V-Mann-Führer Rainer Öttinger (Leiter der operativen Einheit des LfV in Baden-Württemberg) weitergab, doch zugeben sollte.
Und selbstverständlich weiß das LfV und das Innenministerium genau, warum die V-Person "Krokus" so brisant ist: Sie zerstört eine weitere Lüge, die sich bis heute hält, bis heute auch medial embedded wurde: Nach dem Mordanschlag in Heilbronn 2007 auf zwei Polizisten habe es vieles gegeben, Pannen, Wattestäbchen, gewöhnliche Kriminelle - nur keine Hinweise auf ein neonazistisches Tatmotiv.
Dass die V-Person "Krokus" 2012 zum Stillschweigen über ihre damaligen Erkenntnisse gezwungen wurde, das man ihr mit Geheimnisverrat drohte, falls sie damit an die Öffentlichkeit ginge, weiß das LfV sehr wohl. Genauso wissen LfV und Innenministerium, dass genau diese V-Person sein langem darum kämpft, dass ihre Existenz nicht länger geleugnet wird.
Kein Wunder also, dass der Antrag des Untersuchungsausschusses/PUA in Berlin vom April 2013, die Akte "Krokus" an den PUA auszuhändigen, bis zur letzten Minute hinausgezögert wurde. "Der Freitag" hat dieses Tauziehen eindrucksvoll dokumentiert:
»Innenministerium schweigt zu V-Person Krokus NSU-Ausschuss Das Innenministerium in Baden-Württemberg verweigert dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags Akten über die V-Person Krokus. Oder doch nicht? Die Stuttgarter Zeitung berichtete heute als erstes Mainstreammedium über die V-Person Krokus, obwohl der Untersuchungsausschuss des Bundestages bereits am 25.4.2013 um Amtshilfe bat und Informationen zu “Krokus” einforderte: »Währenddessen erleben die Ausschussmitglieder in Berlin ihre zweite Überraschung: das Innenministerium Baden-Württemberg gibt die Krokus-Akten nicht heraus. In der vergangenen Woche hat Edathy den Innenminister Reinhold Gall (SPD) persönlich angemahnt, dem Beweisantrag endlich nachzukommen. Die Frist für die Nachreichung der Unterlagen ist an diesem Wochenende abgelaufen.« (Stuttgarter Zeitung 27.5.2013) Der SWR griff diesen Artikel auf und meldete heute um 7:28 Uhr: »Innenministerium verweigert wohl Akten über V-Mann: Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages sieht sich durch das Innenministerium Baden-Württemberg in seiner Arbeit blockiert. Einem Medienbericht zufolge geht es dabei um Akten über eine V-Person, die das Ministerium dem Ausschuss bisher vorenthalten hat. (...) Nach Informationen der Zeitung soll ein Informant mit dem Decknamen "Krokus" im Auftrag des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz von 2006 bis 2012 Informationen aus der rechten Szene beschafft habe. Dabei soll "Krokus" frühzeitig auf rechte Gewalttäter hingewiesen haben, die mit dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn in Verbindung standen.« (SWR 27.5.201/07.28 Uhr)
2 Stunden später relativierte der SWR diese Meldung und berichtet in einem weiteren Artikel: »Unklarheit über Unterlagen von V-Mann: Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat dem Innenministerium Baden-Württemberg vorgeworfen, seine Arbeit zu blockieren und Akten über einen V-Mann zurückzuhalten. Nach Informationen des SWR sollen die Unterlagen jedoch bereits am Freitag eingetroffen sein.« (SWR 27.5.2013/ 09.58 Uhr) Wiederum eineinhalb Stunden später stellt der SWR noch einmal klar: »Innenministerium hat Akten doch übergeben: Kurz vor Ablauf der Frist hat das baden-württembergische Innenministerium dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages doch die gewünschten Akten über eine V-Person geliefert. Zuvor hatte der Ausschuss den Vorwurf erhoben, seine Arbeit würde blockiert. (...) Die Ausschuss-Mitglieder hatten heftig kritisiert, dass die Herausgabe so lange dauerte. Denn eigentlich hätten die Akten bis zur letzten Beweisaufnahmesitzung des Ausschusses am 16. Mai vorliegen sollen. « (SWR 27.5.2013/ 11.29 Uhr)«
Warum die Akten zur V-Person "Krokus" nicht schon längst bei den Untersuchungsausschüssen liegen, warum man den Untersuchungsausschüssen Akten vorenthalten hat, was in den nun übersandten Akten steht, was aus den Akten möglicherweise - und dann wie immer versehentlich - entfernt wurde, wird sich sehr genau überprüfen lassen:
Die V-Person "Krokus" hat sich dazu sehr detailliert geäußert.
Die Entscheidung, erst einmal abzuwarten, hat einen einfachen und sehr nützlichen Grund: So wird bereits über einen Journalisten die Behauptung lanciert, V-Person "Krokus" sei 2010 "abgeschaltet" worden. Woher will dies dieser Journalist wissen, wenn der Innenminister Gall (SPD) behauptet, man werde zu den Details nichts sagen? Wenn dies so wäre, dann müsste folglich in den verbliebenen Unterlagen z.B. ein unterschriebener Auflösungsvertrag abgelegt sein. Warten wir also erst einmal ab, was die Mitglieder im PUA in den neun Akten finden. Der richtige Zeitpunkt, sich zu den öffentlichen Festlegungen zu äußern, wird sich finden.
Wolf Wetzel