Gefährder in Deutschland

Quelle: Annalist
Erstveröffentlicht: 
28.06.2009

Unter dem Artikel Ein Tag im Leben eines Terror-Verdächtigen wies Koloradokäfer auf den Artikel Leben ohne Aussicht im Magazin der Süddeutschen hin.

 

Das Äquivalent zu den britischen "Control Orders" ist in Deutschland das Label "Gefährder".

Kein Handy, kein Internet, keine Reisen: Seit drei Jahren isoliert der Staat den Tunesier Mouldi C. im bayerischen Hinterland, ohne dass ihm je ein Strafprozess gemacht worden wäre. Er soll - möglicherweise - Terroristen unterstützt haben. Erwiesen aber ist nichts. Die Geschichte eines Mannes, für den gilt: Im Zweifel gegen den Angeklagten.

Mutiger Artikel, gut recherchiert, gut geschrieben.

Mouldi C. hat anscheinend ziemlich viel mit Leuten zu tun gehabt, die in die Kategorie Terrorismus fallen, auch Geld gespendet. Allerdings hat es selbst in Bayern nie für eine Anklage gereicht. Seit 2005 ist er deswegen "Gefährder". Er wurde in Regensburg festgenommen, von seiner Familie getrennt und in ein Flüchtlingsheim in der Nähe von Passau gebracht (Bericht aus dem Flüchtlingsheim Hauzenberg).

Er darf weder Handy benutzen noch Internet oder öffentliche Telefone. Er darf den Ort nur mit Erlaubnis verlassen. Er muss jeden Morgen auf der Polizeiwache unterschreiben. Im neuen Ausländerrecht, das seit 2004 gilt, heißt dies alles »Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit«.

Aber das Gesetz schweigt darüber, wann eine solche Verbannung enden soll, was geschieht, wenn der Verdächtige nicht zäh genug ist, um diese Härte zu ertragen, Tag für Tag, Jahr für Jahr. 

Seine Frau ist mit den Kindern in Regensburg geblieben: zwei Töchter und zwei Söhne, zwischen fünf und zwölf Jahre alt. Zweimal im Monat kommen sie ein Wochenende lang und schlafen im Asylheim auf dem Boden.

Über den Sohn schreibt der Kinderarzt: »Er ist durch die Trennung von seinem Vater massiv psychisch belastet. Es begann vor fünf Jahren durch ein nächtliches gewaltsames Eindringen mehrerer vermummter Polizisten in die Wohnung.«

Er ist inzwischen depressiv, hat mehrmals versucht, sich umzubringen. Selbst die manchmal notwendige schnelle Einweisung in die Psychiatrie führt zu einem zusätzlichen Bußgeldverfahren, weil am Wochenende die für die "Reise" in die Psychiatrie an einen anderen Ort notwendige Genehmigung nicht zu erreichen war.

Ein Richter, der mit dem Fall vertraut ist, sagt: »Wer sollte denn davor Angst haben, dass der sich umbringt? Es geht doch darum, dass wir nicht umgebracht werden.« 

Seit 2004 gibt es in Bayern die Arbeitsgruppe BIRGIT ("Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus"), eingerichtet von Innenminister Beckstein. Aus dem letzten Arbeitsbericht:

Insgesamt wurden bis zum 01.04.2009 unter Koordination der Arbeitsgruppe 100 Ausweisungsbescheide erstellt. In 70 Fällen konnte die von den Betroffenen ausgehende Sicherheitsgefahr wirksam unterbunden werden. Hiervon wurde in 57 Fällen der Aufenthalt der islamistischen Gefährder beendet und deren Wiedereinreise untersagt, in 13 Fällen wurden Überwachungsmaßnahmen (§ 54a AufenthG) angeordnet. In den übrigen 30 Fällen ist die Sicherheitsgefahr noch nicht beendet oder das Ausweisungsverfahren noch nicht bestandskräftig abgeschlossen. 

 

Diese Arbeitsgruppe hat die Aufgabe, islamistische Extremisten konsequent zur Ausreise zu bringen - oder, wenn eine Ausreise tatsächlich nicht durchsetzbar ist, den Handlungs- spielraum der Gefährder so weit wie möglich einzuschränken (z. B. Überwachungsmaßnahmen). Damit wird auch möglichen Sympathisanten signalisiert, dass Extremismus oder die Unterstützung terroristischer Aktivitäten in Bayern nicht geduldet wird. (Website d. bayr. Innenministeriums)