Hausbesetzung in Sestao/Baskenland

Hausbesetzung in Sestao/Baskenland

Besetztes Kultur-Zentrum in Sestao/Baskenland eröffnet

Im September 2011 wurde in Rekalde/Bilbao das 13 Jahre besetzte Sozial-Zentrum KUKUTZA geräumt und abgerissen. Mehrere Versuche schieterten seitdem, neue Zentren zu besetzen und einem breiten Spektrum von Nutzer/innen zugänglich zu machen. Im ehemaligen Industriezentrum Bizkaias, Margen Izquierda (Linkes Ufer) genannt, konkret in der Kleinstadt Sestao, wurde am 20.4.2013 das ehemalige Verwaltungsgebäude einer Stahl-Fabrik als neues Kultur-Zentrum eröffnet. Sechs Monate zuvor war es besetzt und seitdem nach langer Brache und der Entfernung von Tonnen von Müll wieder nutzbar gemacht worden.


BASKINFO-Interview mit Iñaki von der Besetzungs-Versammlung:

 

F: Es scheint, dass es nach dem brutalen Ende des besetzten KUKUTZA-Sozialzentrums mit dem heute eröffneten TXIRBILENEA ein neues großes selbstverwaltetes Zentrum gibt im Großraum Bilbao.


A: Richtig. Das Ende des KUKUTZA, in dem viele der Besetzer des TXIRBILENEA in den letzten Monaten seiner Existenz beteiligt waren, hat uns Anlass gegeben, über unsere eigene Stadt Sestao nachzudenken. In Sestao fand interessanterweise im Februar 1987 die erste Besetzung in Bizkaia statt, noch vor dem Gaztetxe in Barakaldo und dem großen Gaztetxe in Bilbao, auch vor dem Gaztetxe in Gasteiz, das nunmehr 25 Jahre alt wird.

Wir dachten, wir müssen in Sestao besetzen. Was Sestao von anderen Orten der Umgebung unterschiedet ist, dass es ein Ort mit viel Bewegung ist, Kampf von Arbeiter/innen, von Nachbarschafts-Gruppen, von feministischen Gruppen in den 70er Jahren, sehr aktiv in den Kämpfen der 80er Jahre. Sestao war der Ort mit den meisten Totalverweigerern in ganz Bizkaia. Die Versammlung der Arbeitslosen in Sestao war vorbildlich organisiert. Wir müssen feststellen, dass alle diese Bewegungen in den letzten Jahren etwas brach lagen, aber Leute mit Erfahrungen jener Jahre, und nicht wenige aus jener ersten Besetzung, sind bis heute aktiv. So entstand die Initiative auch aus dem Frust und der Wut nach dem Ende des KUKUTZA und weiterer Besetzungs-Versuche wie im PATAKON in Uribarri, das ein weiterer Versuch war, ein großes besetztes Zentrum in Bilbao zu schaffen. Aber das Rathaus Bilbao hat diesen Versuch nach wenigen Wochen zunichte gemacht.


F: Dennoch Rückenwind vom KUKUTZA?


A: Auf gewisse Art. Erst waren wir hier eine kleine Gruppe, aber Leute mit viel Erfahrung. Im September 2012 hatten wir zwei Treffen und haben schnell beschlossen, hier rein zu gehen. Normalerweise wird von Besetzungs-Büro empfohlen, genau zu schauen, wem gehört das Objekt, wie sind die Bedingungen und so weiter, aber wir haben schnell entschieden. Wir dachten, der Bewegung in Sestao gibt das Auftrieb, daneben gibt es ja noch eine Reihe weiterer besetzter Räume in der Umgebung Margen Izquierda (Linkes Ufer). Vor allem ist es ein Objekt, das von den Räumlichkeiten her nicht limitiert ist, ziemlich groß, ausbaufähig.


F: Die Geschichte des besetzten Gebäudes?


A: Dieses Gebäude war Teil der Fabrik Hochöfen Bizkaia (Altos Hornos de Vizkaya). Hier waren früher die Lehrwerkstätten untergebracht. In den 50er, 60er Jahren wurden die Jugendlichen mit 14 Jahren eingestellt, um Berufe zu lernen. Sie waren zwei Jahre hier, um mit 16 gleich nebenan in der Fabrik zu arbeiten. Hier sind tausende von Lehrlingen durchgelaufen. Die meisten von uns aus Sestao sind Kinder von Einwanderer/innen aus dem spanischen Staat. Gleichzeitig war hier im untersten Stock noch die Krankenstation von Hochöfen Vizkaya, in der Fabrik haben immerhin ca. 15.000 Leute gearbeitet, da gab es ständig irgendwelche Arbeitsunfälle. In den letzten Jahren ist das Gebäude nach und nach etwas verkommen, nachdem Altos Hornos Anfang der 90er Jahre geschlossen wurde.


F: Seit damals stand es leer?


A: Nach dem Ende von Altos Hornos kam das Stahlwerk ACB und später hat sich Arcelor-Mittal aus Indien hier eingekauft. Die haben das Gebäude zwar noch genutzt, aber nur wenig. Der letzte Kalender, die wir gefunden haben, war von 2003. Also nicht so lange her. Das Gebäude besteht aus sechs Stockwerken, mit jeweils 20 Räumen, die Firma hat maximal noch ein Stockwerk genutzt. Dass Gebäude liegt am Hang, der obere Eingang liegt an der Hauptstraße, 15 Meter tiefer fährt die Eisenbahn am unteren Stockwerk vorbei. Richtung Fluss liegt das ehemalige Fabrikgelände, wo sich heute das Stahlwerk Arcelor-Mittal befindet.


F: Von den sechs Stockwerken habt ihr drei besetzt?


A: Ja. Bevor wir besetzt haben wussten wir, dass in den obersten Stockwerken, die auf Höhe der Straße liegen, eine Stiftung ist. Diese Stiftung benutzt die beiden oberen Etagen, dort finden Kurse statt, aber insgesamt wenig Bewegung. Als wir kamen war klar, dass wir die Räume der Stiftung respektieren. Gleichzeitig haben wir schon am ersten Tag der Besetzung beim Rathaus angerufen und dem Bürgermeister gegenüber die Besetzung klar gestellt. Vor allem, um möglichen Besuchen der Stadtpolizei vorzubeugen. “Falls es Anzeigen gibt von irgendwelchen Nachbarn, keine Angst, das sind keine Einbrüche, wir sind Leute und Gruppen aus Sestao, die das Gebäude nach 20 Jahren wieder nutzbar machen wollen“.


F: Also wenig Probleme mit den Institutionen?


A: Mit dem Rathaus gab es bisher kaum Probleme. Allerdings haben wir öffentlich beklagt, dass das Gebäude aufgrund von deren Nachlässigkeit so herunterkommen ist. Zumindest zu seiner minimalen Erhaltung hätten sie was machen müssen. Das gehört zu ihrer Verantwortung. Zwar gehört das Gebäude formal weiter zu Arcelor-Mittal, aber die haben es vor 10 Jahren der Gemeinde zur Nutzung überlassen. Die Gemeinde sagt, sie habe kein Geld, aber das Nötigste hätten sie dennoch veranlassen müssen, um feuchte Wände zu vermeiden, das wäre nicht teuer gewesen. Das fordern wir auch weiterhin, damit sich der Zustand des Gebäudes nicht weiter verschlechtert, die Stiftung hilft uns dabei leider wenig, obwohl es auch für sie von Nutzen wäre. Mit dem Rathaus haben wir abgesprochen, dass wir uns auf die drei unteren Stockwerke beschränken.


F: Wie wollt ihr das Gebäude nutzen?


A: Die unterste Etage wird öffentlichen Charakter haben, Konzerte, Theater. Daneben gibt es einen Raum mit Küche und Speisesaal. Die zweite Etage wird für Veranstaltungen genutzt werden und von Gruppen, die dort ihre Treffen abhalten. In der dortigen Aula können Filme gezeigt werden. In der dritten Etage wird es eine Bibliothek geben, dort wird sich ein Teil des KUKUTZA-Erbes wiederfinden, denn die Bibliothek wurde gerettet. Sestao ist nicht Bilbao, aber der Geist des KUKUTZA lebt. Und bis es in Rekalde oder sonst wo in Bilbao wieder ein neues KUKUTZA gibt, werden die Sachen eben hier verwendet.

Die zweite und dritte Etage werden völlig selbstverwaltet sein. Das TXIRBILENEA ist zwar besetzt, aber es ist kein Gaztetxe, das wollen wir feststellen. Gaztetxes sind Treffpunkte von jungen Leuten. Wir fühlen uns zwar jung, aber viele von uns sind aus einer älteren Generation, viele haben an früheren Besetzungen teilgenommen, manche haben Kinder. Die erste Aktivität nach der Einweihung war bezeichnenderweise für Kinder.


F: Welchen Charakter habt ihr euch für das Zentrum vorgestellt?


A: Das Projekt wird einen inter-generationellen Charakter haben. Die wichtigsten Elemente sind Besetzung und Selbstorganisierung. Wir wollen Freiräume schaffen, in denen wir den Institutionen zeigen können, dass es andere Formen von Kultur gibt. Kostenlos, denn für die Institutionen bedeutet es keine Kosten. Wenn das Rathaus von Sestao nur den ganzen Müll und Schrott weggeschafft hätte, die Tonnen, die wir hier rausgeholt haben, das hätte sie einen schönen Batzen Geld gekostet. Dagegen haben wir gezeigt, dass die Dinge auch anders funktionieren, hier haben Dutzende von Personen mitgeholfen. Die sollen lernen, dass sie uns nur Freiraum lassen müssen, ohne uns reinzureden, und die Leute organisieren ihre Bedürfnisse und Freizeit selbst. Natürlich unter der Voraussetzung, dass wir die Nachbarschaft respektieren, wir sind die ersten, die daran ein Interesse haben. Wir wollen zeigen, dass es anders geht und das stört die im Rathaus natürlich am meisten, davor haben sie Angst. Der Bürgermeister selbst sagte uns, er werde hier keine alternative Macht dulden. Wir wollen für niemand eine Macht sein, wir wollen lediglich zeigen, dass es anders geht, über selbstorganisierte Arbeit und Kultur. Dafür hat Sestao gute Voraussetzungen. Mit ca. 25.000 Einwohner/innen ist der Ort ausreichend groß für ein alternatives Kulturleben und ausreichend klein, damit wir uns alle gegenseitig kennen und um eine gute Zusammenarbeit zu garantieren. Es gab Situationen, wo sich soziale Bewegungen mit dem Rathaus aufgerieben haben, viele von uns haben diese Erfahrung gemacht: der Streit um den Karneval in den 90ern, das Verbot bei der Fiesta Stände aufzustellen ... Eines der Fundamente de TXIRBILENEA ist die Akzeptanz der Verschiedenheit der Beteiligten. Hier gibt es Leute aller ideologischen Richtungen, Anarchist/innen, Kommunist/innen, Abertzale, Leute, die sich einfach selbst organisieren wollen, ohne irgendeiner Ideologie anzuhängen. Diese Mischung müssen wir pflegen, in dieser kulturellen und ideologischen Vielfalt liegt unsere Chance.


F: Sestao und die angrenzenden Städte Barakaldo, Portugalete, Santurtzi waren Kern des ehemaligen industriellen Komplexes in Bizkaia. Das ganze “linke Ufer“, wie es hier genannt wird, ist eine sozialdemokratische Hochburg.


A: Richtig, aber seit zwei Legislaturen regiert hier in Ssestao die PNV, die rechten Nationalisten. Die sind in der Minderheit, sie brauchen die Stimmen von Bildu für ihren Haushalt. Ich schätze mal, wenn hier eine Gruppe von Jugendlichen von 18 oder 20 Jahren besetzt hätte, wären sie umgehend geräumt worden. Aus Ratskanälen haben wir erfahren, dass die PNV durchaus gespalten war in der Frage, wie sie mit uns umgehen sollen. Doch der Bürgermeister ist relativ jung und liberal, hat gute Kontakte mit der abertzalen Linken. Bei den Treffen haben wir ihnen gesagt, “wenn ihr uns raus schmeißt, gehen wir wieder rein. Ihr müsstet schon dasselbe machen wie im Fall KUKUTZA: alles abreißen“. Wir haben so viele Rückschläge erfahren, das schafft ein dickes Fell. Sestao ist nicht Bilbao. Was der Bürgermeister von Bilbao mit dem KUKUTZA gemacht hat, das ist in einer großen Stadt möglich, in einer kleinen Stadt wie Sestao ist das schwierig. Sofort hätten sie den halben Ort gegen sich. Es gibt Bürgermeister, denen das egal ist, aber es ist nicht einfach. Wir haben sie überrascht, weil bei der ersten Pressekonferenz nicht nur Leute von der Besetzungs-Versammlung anwesend waren, sondern auch ältere Leute, ein 70jähriger, der auch in der PNV gut bekannt ist, Menschen aus allen Generationen, meine Mutter hat die Einweihungs-Erklärung gelesen. Jetzt müssen sich nur noch andere Gruppen aus dem Ort einklinken, dann kommt das Projekt in Schwung.


F: Ihr hattet schon Besuche aus anderen Ländern?


A: Ja, vor allem aus Deutschland. Die Nachricht geht wohl zurück auf zwei sehr gute Freunde, die wir an dieser Stelle herzlich grüßen wollen. Sie wurden während des Streits um das KUKUTZA verhaftet, hatten einen Prozess – wir haben eine ausgezeichnete Beziehung mit ihnen. Sie haben unser Projekt von Beginn an kennen gelernt und begleitet, ich glaube sogar, bevor wir überhaupt besetzt haben. In der Folge kam eine Reihe von Besuchen. Dazu müssen wir anmerken, dass uns das etwas Kopfzerbrechen bereitet hat, denn das TXIRBILENEA ist kein Haus, in dem Leute wohnen. Es wird ein besetztes Kulturzentrum sein, doch in vielen Momenten ist niemand hier. Insofern ist es nicht leicht, Leute zu beherbergen, die von außerhalb kommen, wenn niemand da ist. Es ist überaus positiv, dass die Nachricht von TXIRBILENEA bereits die Grenzen überschritten hat. Beim Volksessen heute mit ca. 60 Personen hatten wir viele Gäste aus anderen Orten, aus anderen besetzten Räumen. Wir wollen ein Beispiel sein und eine Anregung, dasselbe auch anderswo zu machen. Sicher ist es nicht einfach, in jedem Ort ein Gebäude dieser Dimension zu finden, denn die Spekulation verhindert das häufig. Wir freuen uns über Besuche von überall her, vor allem aus anderen Gaztetxes.


F: Was bedeutet der Name Txirbilenea?


A: Zwei Tage nach der Besetzung hatten wir eine Versammlung mit 50 Personen, bei der wir nach Namen gesucht haben. TXIRBILENEA bedeutet Haus der Metallspäne. Das ist eine historische Erinnerung an die drei Hochöfen hier, nur einer steht noch, gleich vor uns. Da gab es immer eine Menge Rauch, kleine Verbrennungs-Partikel wurden in die Luft geblasen. Wenn es geregnet hat, kamen diese Partikel mit den Regentropfen wieder runter, im Licht sah das aus wie leuchtender Regen. Unser ganzes Leben haben wir diesen Rauch eingeatmet, alle die wir hier sind.

Eine der Ideen dieses Projekt ist es, an die kämpferische Vergangenheit dieser Region zu erinnern, an die Kämpfe der Arbeiter/innen – der Platz im Zentrum wurde früher “Roter Platz“ genannt. Sestao war bekannt für diese Kämpfe, von Seiten der Gewerkschaften und der Nachbarschafts-Vereine, der Stadtteile. Wir sind die Erben jener Kämpfe und jenes industriellen Sestao, heute gibt es viele Arbeitslose. Unsere Stadt hat die höchste Arbeitslosigkeit in ganz Euskal Herria. Dieses Gebäude ist ein Symbol für die Lebensgrundlage vieler Menschen in anderen Zeiten und unter anderen Bedingungen. Die Hochöfen Bizkaia waren einer der größten Fabriken in Euskal Herria und es wird weiter eine Fabrik bleiben, in diesem Fall eine Kulturfabrik, eine Werkstatt der Selbstverwaltung und der sozialen Bewegungen. Das ist die Bedeutung des Namens.

Ich bin keine 100 Meter von hier aufgewachsen. Besser als wenige weiß ich was es hieß, tagsüber die Wäsche aufzuhängen, denn in den Nacht war sie grau von den Abgasen. Wir wollen den Ursprung dieses Gebäudes nicht in Vergessenheit geraten lassen. In dieser Fabrik haben viele unserer Väter gearbeitet, Mütter weniger, denn die meisten Arbeitenden waren Männer. Wir sind die Erben dieser industriellen Geschichte.


F: Herzlichen Dank, Iñaki, wir bleiben in Kontakt!


Fotoserie: Txirbilenea Sestao:

 

http://baskinfo.blogspot.com.es/2013/04/txirbilenea-sestao.html