Etwa zweihundert migrantische Arbeiter fordern ausstehende Löhne ein. Sechs Monate sind sie nicht bezahlt worden für die schweißtreibende Tätigkeit auf den Feldern. Es kommt zum Streit mit den bewaffneten Aufsehern, Schüsse fallen, mehr als dreißig Arbeiter werden verletzt, einige davon lebensgefährlich.
Was sich liest wie eine Geschichte, die im Mississippi des 19. Jahrhunderts spielt, hat sich gestern ereignet, in Griechenland. Mitten in der Europäischen Union, an einem Ort, der seit langem als Musterbeispiel für moderne Sklaverei gilt: Nea Manolada. Die Gemeinde im Südwesten Griechenlands ist bekannt für ihre landwirtschaftliche Produktion, 90 Prozent der Erdbeeren des Landes kommen von hier – und tausende Arbeitsmigranten schuften hier für Billiglöhne.
Ausbeutung und Terror
Wie der Arbeitsalltag der in Nea Manolada Beschäftigten aussieht, beschrieb anlässlich eines Streiks im Jahr 2008 die Journalistin Laura Petricola: 22 Euro verdienen sie für einen ganzen Tag Arbeit (das Ziel der Arbeitsniederlegung war eine Erhöhung auf 30 Euro), viele schlafen in den Treibhäusern, auf Holzpaletten, zugedeckt mit Zeitungen. Kein Wasser, keine Elektrizität, keine Sanitäreinrichtungen. Diejenigen, die sich irgendeine Form von Behausung leisten können, leben in kleinen Wohnungen, zusammen mit Dutzenden anderen. Gesundheitsversorgung genießen sie keine, und das, obwohl sie durch den Kontakt mit Pestiziden und die schwere körperliche Arbeit großen Risiken ausgesetzt sind. (1)
Das Aufbegehren gegen diese extreme Form der Ausbeutung, wie etwa während des Streiks 2008, ist für die Arbeiter alles andere als einfach. Immer wieder waren sie und die sie unterstützenden Aktivisten der kommunistischen Gewerkschaftsfront PAME Attacken der Polizei oder bewaffneter Sicherheitsmänner der Plantagenbesitzer ausgesetzt. Drei Mitglieder der kommunistischen Partei KKE wurden 2008 während des Streiks verletzt.
Immer wieder ereignen sich in diesem Umfeld rassistische Übergriffe von schockierender Brutalität. 2009 schlugen Bauern zwei Männer aus Bangladesch, die sie des Diebstahls von Ziegen verdächtigten, mit Eisenstangen zusammen, banden sie an Motorräder und zogen sie durch das Dorf. 2012 misshandelten zwei griechische Männer einen ägyptischen Arbeiter, klemmten seinen Kopf im Seitenfenster ihres Autos ein und schleiften ihn so durch die Straßen. (2)
Sklaverei für den Export
Bekannt sind diese Zustände seit langem. Eine im Jahr 2011 erschienene Studie der EU-Kommission mit dem Titel „Trafficking for Labour in Greece“ (3) widmet sich ausführlich dem Fall Nea Manolada: Das Wachstum der dortigen Produktion sei maßgeblich auf die Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte zurückzuführen, saisonabhängig zwischen 1 500 und 3 500 Menschen vor allem aus Bangladesh, Pakistan, seltener aus Bulgarien, Rumänien und Albanien seien hier beschäftigt, die meisten ohne regulären Aufenthaltsstatus.
Vor allem die asiatischen Immigranten befinden sich in einer „äußerst prekären Situation“, sie rangieren „ganz unten in der Hierarchie“. Die Löhne liegen „unter dem Mindestlohn“, von zwischen 20 und 23 Euro spricht die Studie. Minderjährige, die hier zu denselben Bedingungen wie ihre Eltern arbeiten, bekommen noch weniger. Berichtet wird auch von Vorfällen, bei denen die Unternehmer Arbeiter von der Polizei abschieben lassen, um sich die ausständigen Löhne zu ersparen.
Durch Medienberichte wusste auch die Regierung in Athen von den sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen auf den südwestgriechischen Plantagen. Passiert ist, so die EU-Kommission, dennoch nichts: „Alles in allem, trotz der öffentlichen Aufmerksamkeit, die dem Problem zuteil wurde, wurden keine substantiellen Maßnahmen ergriffen, um die Situation der Arbeiter in Nea Manolada zu verbessern.“
Das ist sicherlich kein Zufall. Es geht um das profitträchtige Geschäft mit billigem Obst und Gemüse für europäische Supermärkte. Auch in deutschen Discountern, z.B. bei Aldi und Lidl, finden sich Erdbeeren aus Griechenland. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass es sich um die in Nea Manolada produzierten Bluterdbeeren handelt. Eine erste Anfrage von Hintergrund an die Pressestellen der beiden Handelsketten verlief bislang ergebnislos.
„Krimineller, rassistischer Akt“
Nach dem neuesten Übergriff befinden sich derzeit nach Angaben der griechischen Tageszeitung Kathimerini zwei Männer in Haft. In einer ersten Stellungnahme sprach Regierungssprecher Simos Kedikoglou von einer „beispiellosen und verheerenden Tat“, die jeglichen „griechischen Moralprinzipien“ widerspreche. Die Reaktion der Behörden werde „schnell und angemessen sein“. Warum die Regierung in den vergangenen Jahren, obwohl die Lage der Arbeiter auf den Plantagen bekannt war, nicht „schnell und angemessen“ reagierte, verriet er nicht.
Ehrlicher und konsequenter wirken angesichts ihres Engagements für die Landarbeiter auch schon vor dem jetzigen Angriff die Statements der beiden linken Oppositionsparteien. Es handle sich um einen „kriminellen rassistischen Akt“, betonte die linkssozialistische SYRIZA, die derzeit in Umfragen stimmenstärkste Kraft in Hellas, in einer ersten Stellungnahme. Die kommunistische Partei KKE kritisierte den „modernen Sklavenhandel und die inhumanen Arbeitsbedingungen von migrantischen Werktätigen“. Der Vorfall zeige, dass „das gegenwärtige kapitalistische System Barbarei“ sei.