Gespräch mit Andreas Kramer. Über das Sprengen von Strommasten in Luxemburg, über das Attentat auf das Oktoberfest im Jahre 1980 und darüber, welche Rolle Kramer senior dabei gespielt haben soll Interview: Peter Wolter
Andreas Kramer (49) wohnt in Duisburg und arbeitet als Historiker. 1991–92 war er Chefarchivar im 1. Untersuchungsausschuß des 12. Deutschen Bundestages. Gegenstand des Ausschusses war die Bewertung der Tätigkeit des DDR-Funktionärs Alexander Schalck-Golodkowski.
In Luxemburg läuft zur Zeit ein Prozeß gegen zwei Polizeibeamte, die beschuldigt werden, im Auftrage der geheimen »Gladio/Stay-behind«-Truppe der NATO in den 80er Jahren an Bombenanschlägen auf Strommasten teilgenommen zu haben. Sie wohnen in Duisburg und haben sich als Zeuge gemeldet – wie sind Sie auf diesen Prozeß aufmerksam geworden?
Ich hatte davon gelesen und mich sofort mit dem Anwalt der Angeklagten in Verbindung gesetzt. In einer von einem Luxemburger Notar beglaubigten eidesstattlichen Erklärung habe ich eine Aussage gemacht, die dazu führte, daß ich vom Luxemburger Kriminalgericht als Zeuge geladen wurde. Und dort habe ich unter Eid ausführlich zu allem ausgesagt, was ich von meinem Vater über die Luxemburger Attentate wußte: Er war nämlich daran beteiligt, im Auftrag der NATO.
Warum hat Ihr Vater Ihnen das alles erzählt?
Er hatte beruflich keine Freunde und konnte sich niemandem anvertrauen. Er zog mich ins Vertrauen, weil er mich als »Gladio/Stay-behind«-Agenten aufbauen wollte. Nach meiner Ausbildung sollte ich mit seinem Team Operationen planen und ausführen. Der Fall der Berliner Mauer und das Ende des Kalten Krieges haben dann die Pläne meines Vaters allerdings zunichte gemacht.
Aus Ihrer Zeugenaussage geht hervor, daß Sie über ein beträchtliches Detailwissen verfügen. Woher haben Sie das?
Fast ausschließlich von meinem Vater Johannes Kramer, er ist im November
2012 in Saarbrücken verstorben. Er war offiziell Hauptmann der
Bundeswehr, hatte 1958 als Rekrut mit mittlerer Reife bei den
Panzeraufklärern angefangen und sich hochgedient. 1970 wurde er nach
Bonn in das Verteidigungsministerium versetzt, wurde auch ins Ausland
abkommandiert.
Er arbeitete aber tatsächlich beim Bundesnachrichtendienst (BND), von
dem er heimlich ein zweites Gehalt bezog – und zwar das eines Obersts.
Meine Mutter nannte ihn scherzhaft »Hauptmann de luxe«. Mit dem
offiziellen Dienstgrad Hauptmann mußte er schon mit 52 pensioniert
werden – danach hat er aber seine Tätigkeit für den Geheimdienst
fortgesetzt.
Hauptmann ist kein besonders hoher Dienstgrad für wichtige und geheime Verwendungen …
Er hat 1967 auch die Militärische Führungsakademie in Hamburg-Altona
besucht, ein erfolgreicher Abschluß ist die Voraussetzung zur Ernennung
zum Major. Er blieb aber Hauptmann – warum, weiß ich nicht, ich vermute,
er hat es absichtlich versiebt. Dennoch wurde er später in den
Generalstab versetzt, in die Abteilung G 4 – verantwortlich für
logistische Unterstützung.
Dort hat er wohl die entscheidenden Leute kennengelernt und seine
Verbindungen geknüpft. Auch zum späteren Viersterne-General Leopold
Chalupa, der 1983 Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte Europa
Mitte (AFCENT) wurde und es bis 1987 blieb. Der war in der für die
Attentate in Frage kommende Zeit sein höchster Vorgesetzter, von ihm
kamen letztlich die Befehle.
Wie ist Ihr Vater denn an den BND geraten?
So weit ich weiß, wurde er 1965 angeworben. Schon vorher hatte er viele Kontakte zu hochrangigen NATO-Offizieren, wie zum Beispiel zum späteren Generalinspekteur Ulrich de Maizière. Mit ihm war er sogar befreundet. Oder zu Johann Adolf Graf von Kielmansegg, der 1967 und 1968 an der Spitze von AFCENT stand. Diese höchstrangigen Verbindungen waren ihm später sicher sehr nützlich dabei, seine Aktivitäten abzudecken und im Falle des Auffliegens auf Rückendeckung zu hoffen. Er fühlte sich also komplett abgesichert.
Aber Ihr Vater hatte doch seine Aufgaben in der Stabsabteilung G 4. Wie konnte er da nebenher für den BND arbeiten? Oder war sein Hauptmannsjob nur die Abdeckung nach außen hin?
Er leitete eine Logistikabteilung und hatte damit Zugang zu ziemlich allen Arten von Sprengstoff, Munition und Waffen. Im Laufe der Zeit hat er für »Gladio/Stay-behind« 50 Waffenlager angelegt, die meisten entlang der Grenze zur DDR, bis runter zur damaligen CSSR. Diese Geheimarmee hatte die Aufgabe, im Falle eines sowjetischen Einmarsches hinter der Front Anschläge zu verüben. Die Waffenlager hat er übrigens regelmäßig kontrolliert, sie waren in Wäldern und an abgelegenen Orten versteckt.
Haben Sie selbst solche Lager gesehen?
Nein, er hätte mich auch niemals mitgenommen. Das wäre in seiner eigenen Vorstellungswelt der wohl schwerste Verstoß gegen die Geheimhaltung gewesen. Ich war ja auch erst 17 Jahre alt und ging noch zur Schule, als 1981 das Waffenlager im niedersächsischen Uelzen aufflog.
Das Uelzener Lager wurde bei den Ermittlungen nach dem Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest entdeckt, bei dem im Jahr zuvor 13 Menschen getötet und über 200 teils schwer verletzt wurden. Festgenommen wurde der rechtsextreme Forstbeamte Heinz Lemke – der wurde aber erhängt in seiner Zelle gefunden, bevor ihn die Staatsanwaltschaft vernehmen konnte. War er auch bei Gladio?
Mein Vater hatte ihn angeworben, als Forstbeamter erregte er ja keinen Verdacht, wenn er die Waldbestände durchging. Er war einer dieser »nützlichen Idioten«, wie mein Vater später die Männer etikettierte, die er in Luxemburg angeworben hatte. Lemke hatte den Auftrag, das Lager zu überwachen und auch wohl die Waffen zu warten, so weit es nötig war. Die Polizei hat immerhin automatische Waffen gefunden, 14000 Schuß Munition, 50 Panzerfäuste, 156 kg Sprengstoff, 230 Sprengkörper und 258 Handgranaten. Er sollte wohl auch kontrollieren, ob Feuchtigkeit eindringt – bestimmte Sprengstoffe dürfen nicht naß werden.
Was wissen Sie über den Tod von Lemke? Kurz zuvor hatte er noch angekündigt, er wolle über die Hintermänner auspacken.
Mein Vater erzählte mir lediglich, daß zwei seiner Leute – BND-Agenten –
Lemke im Gefängnis aufgesucht hätten. Ich vermute mal, daß sie ihm
nahegelegt haben, sich selbst umzubringen, sonst würden sie es tun. Ich
vermute, daß es wohl auf letzteres hinauslief.
Im Zusammenhang mit dem Oktoberfest-Attentat ist ein zweiter Zeuge auf
mysteriöse Weise umgekommen. Der hatte den Anschlag gesehen, wollte auch
aussagen. Ich vermute, daß er bewußt ausgeschaltet wurde – hinzu kam,
daß er aus der Schwulenszene kam. Mein Vater haßte Homosexuelle, er
sagte mal, man müsse solche Leute aus dem Weg räumen.
Er hatte aber nicht nur solche Sprüche drauf, in anderen Zusammenhängen
gebrauchte er gerne das Wort »Untermenschen«. Er hat es sogar mal zu mir
gesagt, zu seinem eigenen Sohn! Er hat sich wirklich haarsträubende
Sachen herausgenommen – aber er war immerhin mein Vater, nicht
irgendwer. Er hat mir sogar gedroht, mich umzubringen, wenn ich etwas
ausplaudere – ich habe das durchaus ernst genommen.
Natürlich hatte ich auch eine emotionale Bindung zu ihm. Umgekehrt war
das sicher auch der Fall – er hat mich sicher geschätzt und vielleicht
sogar geliebt. Immerhin hat er ja versucht, mich für
»Gladio/Stay-behind« zu gewinnen und für eine spätere Tätigkeit in
diesem Bereich auszubilden. Seinen eigenen Sohn zu rekrutieren, ist
eigentlich die effektivste Art, zuverlässige und jederzeit
kontrollierbare Mittäter zu gewinnen. Ich wurde daher auch in allen
möglichen Disziplinen unterrichtet: Fallschirmspringen, Sprengstoffe,
Waffen, Sporttauchen, Fechten.
Ich will meinen Vater in seinem ganzen, widersprüchlichen Wesen
verstehen – aber leider war er ein echter Rechtsradikaler, durch und
durch.
Zurück zum Oktoberfestanschlag. Was hatte Ihr Vater damit zu tun?
Er hat die Bombe mitgebaut. Zusammen mit anderen NATO-Offizieren hat er Komponenten aus verschiedenen Einrichtungen besorgt: Die Zünder kamen aus dem Lager Uelzen, aus England wurde ein ausrangierter Feuerlöscher aus den 50er Jahren beschafft, der mit Sprengstoff und Nägeln gefüllt wurde. Um keinen Verdacht zu erregen, sollte alles irgendwie selbstgebastelt aussehen. Und rein zufällig fand wenige Tage nach dem Attentat die Bundestagswahl statt: Der CSU-Politiker Franz-Josef Strauß wollte Kanzler werden. Noch Fragen?
Gundolf Köhler, der Attentäter, kam selbst ums Leben, als die Bombe explodierte. Er hatte Kontakt zur »Wehrsportgruppe Hoffmann«, gegen die dann auch ermittelt wurde. Was hatte dieser Verein damit zu tun?
Mein Vater hatte Köhler und andere angesprochen. Auch den Chef der
Truppe, Karl-Heinz Hoffmann selbst. Der wollte aber nichts mit der NATO
zu tun haben und hätte sicher einen Riesenärger bereitet, wenn er das
herausbekommen hätte. Die Anwerbungsgespräche liefen, wie mein Vater mir
stolz erzählte, etwa so: Ihr wollt sicher mal richtig Krieg spielen.
Wir alten Kameraden haben da so unsere Verbindungen, wir können euch
helfen …
Das Bundesamt für Verfassungsschutz war übrigens dicht an Köhler dran.
Er und andere wurden im Rahmen der Operation »Wandervogel« noch 22
Stunden vor dem Attentat massiv observiert.
Und dann kam die Staatssicherheit der DDR ins Spiel: Agenten des
Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) haben sich einfach an das
Operationsteam des Verfassungsschutzes, das Köhler beschattete,
drangehängt, wie aus den später ausgewerteten Akten hervorging. Sie
haben die Spur bis zu einer Garage in Donaueschingen verfolgt, wo
offenbar die Bombe gebaut wurde.
Mein Vater war damals übrigens mehrmals in Donaueschingen. Er hat die
Komponenten, die er brauchte, unter Mitwirkung des niederländischen
Militärgeheimdienstes I & O zusammengestellt.
Wie bitte? Ein niederländischer Geheimdienst?
Die I & O hatte ihr Hauptquartier in Wassenaar bei Den Haag. Die US-Navy hatte damals im Marinestützpunkt Den Helder ein riesiges Sprengstoffdepot, aus dem sich die westlichen Geheimdienste unter der Hand bedienen konnten, ohne daß das in den Bestandslisten vermerkt wurde.
Wissen Sie, welche Sprengstoffe benutzt wurden bei dem Oktoberfest-Attentat?
Es war ein Mix verschiedener Sprengstoffe. Von vornherein wurde darauf
geachtet, die Bombe so zu konstruieren, daß sie hundertprozentig
funktionierte, aber nach der Detonation keine Rückschlüsse darauf
zuließ, daß Experten ihre Hand im Spiel hatten. Es mußte also mehr oder
weniger laienhaft aussehen.
Flüchtige Sprengstoffe schieden für diese Bombe natürlich aus. Mein
Vater – der ja ausgebildeter Sprengmeister war – experimentierte mit
neuen Verbindungen, er wollte einen Sprengstoff einführen, der nicht so
leicht nachweisbar ist. Das Material für die Bombe wurde mit Privatwagen
aus den Niederlanden gebracht, u. a. auch auf einer Urlaubsreise meiner
Familie – unser damaliges Kennzeichen war BN-AE 500. Das sagte mir mein
Vater aber erst, nachdem die Bombe in München hochgegangen war. Nicht
zu fassen!
Hat es Ihren Vater denn völlig kalt gelassen, daß so viele Menschen ums Leben kamen oder schwer verletzt wurden?
Sicherlich nicht, er sagte, er habe das so nicht gewollt. Als ihm langsam bewußt wurde, was er da angerichtet hatte, zog er sich in sein Zimmer zurück und wollte zwei Tage lang mit niemandem sprechen. Wahrscheinlich war es auch ein Schock für ihn, wenn er sich im Spiegel betrachtete und sagen mußte: Da steht ein gewissenloser Mörder.
War von vornherein einkalkuliert, daß Köhler dabei über die Klinge springt?
Die Bombe war meines Wissens so vorbereitet, daß der Attentäter mit in die Luft fliegt.
Wie sah die Befehlskette aus? Wer hat in der NATO die Befehle gegeben, wer hat sie nach unten durchgereicht?
Bis 1980 stand der US-General Alexander Haig dem »Supreme Allied Command
of Europe« (SACEUR) vor, danach kam Bernard Rogers, ebenfalls
US-General. Darunter stand das »Allied Clandestine Committee« (ACC) –
darin sind fast alle bedeutenden NATO-Offiziere vertreten, die sich
regelmäßig zu Beratungen über Geheimoperationen treffen. Dabei ging es
nicht nur um die »Feindaufklärung« – sprich: Warschauer Pakt,
Sowjetunion –, sondern auch um Operationen innerhalb der NATO-Staaten.
Mein Vater hat dem ACC regelmäßig Bericht erstattet, obwohl er nur im
militärischen Rang eines Hauptmanns war. Gleichrangig mit dem ACC war
das »Allied Forces Northern Europe« (AFNORTH) – in der die wichtigsten
Streitkräfte der NATO vertreten waren, natürlich auch die britische
Rheinarmee. Der Sitz war im niederländischen Brunssum, zugeordnet war
die »Central Army Group Europe« (CENTAG), der Luxemburgs
Geheimdienstchef Charles Hoffmann unterstand. Der bekam damals seine
Befehle direkt vom Kommandeur der AFNORTH – das war von 1983 bis 1987
der Bundeswehrgeneral Leopold Chalupa.
Es gab in AFORTH allerdings Spannungen: Diesem Gremium stand bis 1967
jeweils ein französischer General vor, nachdem sich Frankreich jedoch
aus der NATO zurückzog, nahm ein deutscher Offizier diese Aufgabe war.
Seitdem gab es Spannungen – Charles Hoffmann, der die Interessen der
Benelux-Staaten vertrat, gehörte nämlich zu denjenigen, die eher mit
Frankreich sympathisierten. Die französischen Dienste haben sich damals
übrigens nicht an »Gladio/Stay-behind«-Aktivitäten in anderen Ländern
beteiligt, wohl aber solche Aktionen im eigenen Land durchgezogen. Dazu
gehörte der Anschlag, der 1986 in Paris auf die Galerie Lafayette verübt
wurde – dazu bekannte sich dann eine als links auftretende Gruppe
namens »Action directe«. Dabei gab es 14 Tote, schlimme Sache.
Mein Vater war damals General Chalupa direkt unterstellt, während
Charles Hoffmann, der Luxemburger Geheimdienstchef, seine Befehle direkt
von der CENTAG erhielt. Ich will Chalupa nicht schlecht reden – nach
seinem Ausscheiden aus dem Dienst hat er sich sehr um Verständigung
bemüht, er hatte die Rolle des militärischen Hardliners abgelegt. Er
engagierte sich im Zivilleben in der Friedensbewegung und wurde
Präsident des Fußballclubs Alemannia Aachen. Mein Vater kannte ihn
persönlich. Er hat sich allerdings privat in meinem Beisein über
Chalupas Aktivitäten lustig gemacht.
De Maizière – Generalinspekteur der Bundeswehr von 1966 bis 1972 – war
mehrere Mal bei uns zu Besuch. Nach dem Attentat auf das Oktoberfest in
München ließ er sich allerdings nicht mehr blicken.
Sie haben vor dem Luxemburger Gericht ausgesagt, Ihr Vater sei auch an dem Attentat auf den Bahnhof von Bolanga beteiligt gewesen, bei dem 1980 Menschen ums Leben kamen. Was wissen Sie darüber?
Mein Vater arbeitete eng mit Agenten des italienischen Militärgeheimdienstes SIFAR bis 1977 und ab 1977 mit der SISMI zusammen. Er war bestens über die Anschlagsvorbereitungen in Bologna informiert.
Die Vorsitzende Richterin des Luxemburger Kriminalgerichts hat Ihre Aussagen als »abenteurlich« bezeichnet, eine Tageszeitung stellte die Frage, ob Sie vielleicht gar ein Hochstapler seien. Wie wollen Sie sich solchen Vorwürfen entziehen? Gibt es vielleicht Dokumente, die Ihre Aussagen stützen könnten?
Ich betone entschieden, daß ich kein Hochstapler, sondern Historiker bin – ein gewissenhafter Forscher also. Die Luxemburger Gerichtsvorsitzende wird von mir noch erstklassiges Geheimdienstmaterial bekommen, das meine Aussagen stützt.
Wenn Ihre Berichte stimmen – müssen Sie nicht damit rechnen, auch irgendwann gewaltsam aus dem Verkehr gezogen zu werden?
Wenn mir etwas zustoßen sollte, wäre doch klar, von welcher Seite das kam. Die Sicherheitsbehörden sollten eher daran denken, mich zu schützen. Und noch besser wäre es, wenn energisch und ohne Ansehen der Person aufgrund meiner Aussage auch in Deutschland ermittelt werden würde.