61-Jährige bezichtigt Beamte der Gewalt, sitzt jedoch selbst auf der Anklagebank
Schwere Vorwürfe gegen Polizeibeamte hat eine 61-jährige Landshuterin
vor dem Amtsgericht erhoben. Die Frührentnerin sprach knapp zwei Stunden
lang von Schlägen und sexistischen Demütigungen. Die Beamten hätten ihr
in der eigenen Wohnung den Gang zur Toilette verwehrt und durch eine
rüde Behandlung in Kauf genommen, dass sie aufgrund eines bereits
gebrochenen Lendenwirbels gelähmt werden würde. Allerdings saßen nicht
die beschuldigten Polizisten auf der Anklagebank: Es ist die 61-Jährige,
die sich unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und
Körperverletzung verantworten muss.
Laut Staatsanwaltschaft
klingelte eine Streife am 25. Oktober 2011 gegen 17.20 Uhr an der Tür
der Angeklagten. Die 61-Jährige hatte sich nachmittags einem Arzt am
Bezirkskrankenhaus gegenüber geäußert, dass sich ihr Mann umbringen
wolle. Der Arzt informierte daraufhin die Polizei. Die Dienststelle
schickte zwei Beamte zur Wohnung der Angeklagten am Hofberg. Diese
reagierte auf die beiden Polizisten und einen Praktikanten aggressiv:
Nachdem es ihr nicht gelungen war, die Tür zuzuschlagen, schlug und trat
sie nach den Beamten und versuchte, diese zu beißen. Einer Polizistin
trat sie mit dem Knie zwei Mal in den Unterleib. Mittlerweile war eine
zweite Streife eingetroffen. Zu fünft gelang es den Beamten schließlich,
die Frau zu überwältigen und auf die Dienststelle zu bringen.
Geringe Geldstrafe
Aufgrund
der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hatte Richter Christian
Lederhofer der 61-Jährigen einen Strafbefehl von 40 Tagessätzen zu je 25
Euro zukommen lassen - eine verhältnismäßig geringe Geldstrafe, wie
Lederhofer gestern sagte. Er habe durchaus berücksichtigt, dass sich die
61-Jährige in einer extremen Stresssituation befunden habe. Mit
Engelszungen redete er auf die erregte Angeklagte ein: Nach Aktenlage
habe ihr Einspruch wenig Aussicht auf Erfolg. Die Polizei müsse nun mal
handeln, wenn Suizidgefahr bestehe. "Zu dem Zeitpunkt, an dem Sie
versucht haben, die Türe vor den Beamten zuzumachen, hat sich bereits
der Tatvorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfüllt." Doch
obwohl sie mehrere Male betont hatte, dass sie durch die ganzen
Ereignisse mittlerweile am Ende ihrer Kräfte angelangt sei und "bald vor
die Hunde geht", nahm die Frührentnerin den Einspruch nicht zurück:
"Ich erkenne hier ein Tolerieren polizeilichen Fehlverhaltens, das ich
nicht hinnehmen kann."
Selten wird einem Angeklagten derart viel
Zeit eingeräumt, wie es gestern der Fall war. Fast zwei Stunden nahm die
Einlassung der Angeklagten in Anspruch. Am Ende hatte man das Gefühl,
die 61-Jährige war längst noch nicht fertig. Es war ein Rundumschlag
gegen den Landshuter Wohnungsmarkt, eine kirchliche Institution, Polizei
und Staatsanwaltschaft. Im Oktober 2011 hätten ihr Mann und sie seit
geraumer Zeit unter ihrer Wohnsituation gelitten. Man habe sie aus der
Immobilie raushaben wollen, für die man ihnen einst lebenslanges
Wohnrecht zugesichert habe. "Unschöne Dinge" seien passiert; ihr Mann
sei nervlich am Ende gewesen. Sie habe am 25. Oktober das
Bezirkskrankenhaus aufgesucht mit dem Ziel, eine bessere Therapie für
ihren Mann zu erreichen, so die 61-Jährige. Sie habe zu dem Arzt dann
lediglich gesagt, wenn sich die Situation nicht bessere, werde sich ihr
Mann eines Tages noch umbringen. Dass der Arzt daraufhin die Polizei
eingeschaltet habe, liege ihrer Meinung nach daran, dass er von einer
falschen Medikation ablenken wollte.
Sie habe der Polizei gesagt,
dass ihr Mann nicht zuhause sei, sagte die 61-Jährige. "Dann wollte ich
einfach wieder meine Ruhe haben und die Tür zumachen, aber der Polizist
hatte seinen Fuß drinnen." Der Angeklagten zufolge folgten dann ein
Hausfriedensbruch und jede Menge Gewalt ihr gegenüber. Schläge und
Tritte gegenüber der Polizei bestritt sie: "Ich habe lediglich versucht,
mich dem Zugriff zu entziehen." Voller Panik sei sie gewesen und in
Todesangst. Ihre Hinweise, dass sie einen gebrochenen Lendenwirbel habe
und gelähmt werden könnte bei zu grober Behandlung, hätten die Beamten
völlig ignoriert. "Schließlich habe ich vor lauter Angst die 110
gewählt."
Richter Lederhofer musste die Angeklagte mehrmals
darauf hinweisen, dass es hier um ihre mögliche Schuld gehe. Tatvorwürfe
gegen die Polizei seien für dieses Verfahren nicht relevant. "Da müssen
Sie schon einen Strafantrag gegen die Beamten stellen." Das habe sie
natürlich gemacht, sagte die 61-Jährige. Doch die Ermittlungen gegen die
Polizisten seien im Sande verlaufen. Die Angeklagte sprach von
"Korpsgeist". "Die stecken eh alle unter einer Decke."
"Sauberer Bluterguss"
Die
Polizisten, die gestern vor Gericht als Zeugen aussagten, schilderten
die Vorfälle am 25. Oktober erwartungsgemäß anders. Man sei mit dem Ziel
losgefahren, sich ein Bild von dem selbstmordgefährdeten Mann zu machen
und die Umstände vor Ort zu klären, sagte ein Beamter. Dies sei aber
nicht möglich gewesen: "Es war eine ganze Armada von Kollegen einzig und
allein nur damit beschäftigt, die Frau S. zu beruhigen." An einzelne
Schläge und Tritte konnten sich die Zeugen nicht mehr erinnern. Eine
Kollegin habe einen "sauberen Bluterguss" gehabt, erinnerte sich ein
Polizist. Einen Vorsatz wolle er der Angeklagten nicht unterstellen:
"Das kann auch im Herumgefuchtle passiert sein."
Der Prozess wird am 17. April mit der Anhörung weiterer Zeugen fortgesetzt.