[Niederbayern] Korpsgeist bei der Landshuter Polizei

Erstveröffentlicht: 
02.04.2013

61-Jährige bezichtigt Beamte der Gewalt, sitzt jedoch selbst auf der Anklagebank

Autor: kö

 

Schwere Vorwürfe gegen Polizeibeamte hat eine 61-jährige Landshuterin vor dem Amtsgericht erhoben. Die Frührentnerin sprach knapp zwei Stunden lang von Schlägen und sexistischen Demütigungen. Die Beamten hätten ihr in der eigenen Wohnung den Gang zur Toilette verwehrt und durch eine rüde Behandlung in Kauf genommen, dass sie aufgrund eines bereits gebrochenen Lendenwirbels gelähmt werden würde. Allerdings saßen nicht die beschuldigten Polizisten auf der Anklagebank: Es ist die 61-Jährige, die sich unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung verantworten muss.

Laut Staatsanwaltschaft klingelte eine Streife am 25. Oktober 2011 gegen 17.20 Uhr an der Tür der Angeklagten. Die 61-Jährige hatte sich nachmittags einem Arzt am Bezirkskrankenhaus gegenüber geäußert, dass sich ihr Mann umbringen wolle. Der Arzt informierte daraufhin die Polizei. Die Dienststelle schickte zwei Beamte zur Wohnung der Angeklagten am Hofberg. Diese reagierte auf die beiden Polizisten und einen Praktikanten aggressiv: Nachdem es ihr nicht gelungen war, die Tür zuzuschlagen, schlug und trat sie nach den Beamten und versuchte, diese zu beißen. Einer Polizistin trat sie mit dem Knie zwei Mal in den Unterleib. Mittlerweile war eine zweite Streife eingetroffen. Zu fünft gelang es den Beamten schließlich, die Frau zu überwältigen und auf die Dienststelle zu bringen.

Geringe Geldstrafe


Aufgrund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hatte Richter Christian Lederhofer der 61-Jährigen einen Strafbefehl von 40 Tagessätzen zu je 25 Euro zukommen lassen - eine verhältnismäßig geringe Geldstrafe, wie Lederhofer gestern sagte. Er habe durchaus berücksichtigt, dass sich die 61-Jährige in einer extremen Stresssituation befunden habe. Mit Engelszungen redete er auf die erregte Angeklagte ein: Nach Aktenlage habe ihr Einspruch wenig Aussicht auf Erfolg. Die Polizei müsse nun mal handeln, wenn Suizidgefahr bestehe. "Zu dem Zeitpunkt, an dem Sie versucht haben, die Türe vor den Beamten zuzumachen, hat sich bereits der Tatvorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfüllt." Doch obwohl sie mehrere Male betont hatte, dass sie durch die ganzen Ereignisse mittlerweile am Ende ihrer Kräfte angelangt sei und "bald vor die Hunde geht", nahm die Frührentnerin den Einspruch nicht zurück: "Ich erkenne hier ein Tolerieren polizeilichen Fehlverhaltens, das ich nicht hinnehmen kann."

Selten wird einem Angeklagten derart viel Zeit eingeräumt, wie es gestern der Fall war. Fast zwei Stunden nahm die Einlassung der Angeklagten in Anspruch. Am Ende hatte man das Gefühl, die 61-Jährige war längst noch nicht fertig. Es war ein Rundumschlag gegen den Landshuter Wohnungsmarkt, eine kirchliche Institution, Polizei und Staatsanwaltschaft. Im Oktober 2011 hätten ihr Mann und sie seit geraumer Zeit unter ihrer Wohnsituation gelitten. Man habe sie aus der Immobilie raushaben wollen, für die man ihnen einst lebenslanges Wohnrecht zugesichert habe. "Unschöne Dinge" seien passiert; ihr Mann sei nervlich am Ende gewesen. Sie habe am 25. Oktober das Bezirkskrankenhaus aufgesucht mit dem Ziel, eine bessere Therapie für ihren Mann zu erreichen, so die 61-Jährige. Sie habe zu dem Arzt dann lediglich gesagt, wenn sich die Situation nicht bessere, werde sich ihr Mann eines Tages noch umbringen. Dass der Arzt daraufhin die Polizei eingeschaltet habe, liege ihrer Meinung nach daran, dass er von einer falschen Medikation ablenken wollte.

Sie habe der Polizei gesagt, dass ihr Mann nicht zuhause sei, sagte die 61-Jährige. "Dann wollte ich einfach wieder meine Ruhe haben und die Tür zumachen, aber der Polizist hatte seinen Fuß drinnen." Der Angeklagten zufolge folgten dann ein Hausfriedensbruch und jede Menge Gewalt ihr gegenüber. Schläge und Tritte gegenüber der Polizei bestritt sie: "Ich habe lediglich versucht, mich dem Zugriff zu entziehen." Voller Panik sei sie gewesen und in Todesangst. Ihre Hinweise, dass sie einen gebrochenen Lendenwirbel habe und gelähmt werden könnte bei zu grober Behandlung, hätten die Beamten völlig ignoriert. "Schließlich habe ich vor lauter Angst die 110 gewählt."

Richter Lederhofer musste die Angeklagte mehrmals darauf hinweisen, dass es hier um ihre mögliche Schuld gehe. Tatvorwürfe gegen die Polizei seien für dieses Verfahren nicht relevant. "Da müssen Sie schon einen Strafantrag gegen die Beamten stellen." Das habe sie natürlich gemacht, sagte die 61-Jährige. Doch die Ermittlungen gegen die Polizisten seien im Sande verlaufen. Die Angeklagte sprach von "Korpsgeist". "Die stecken eh alle unter einer Decke."

"Sauberer Bluterguss"

Die Polizisten, die gestern vor Gericht als Zeugen aussagten, schilderten die Vorfälle am 25. Oktober erwartungsgemäß anders. Man sei mit dem Ziel losgefahren, sich ein Bild von dem selbstmordgefährdeten Mann zu machen und die Umstände vor Ort zu klären, sagte ein Beamter. Dies sei aber nicht möglich gewesen: "Es war eine ganze Armada von Kollegen einzig und allein nur damit beschäftigt, die Frau S. zu beruhigen." An einzelne Schläge und Tritte konnten sich die Zeugen nicht mehr erinnern. Eine Kollegin habe einen "sauberen Bluterguss" gehabt, erinnerte sich ein Polizist. Einen Vorsatz wolle er der Angeklagten nicht unterstellen: "Das kann auch im Herumgefuchtle passiert sein."

Der Prozess wird am 17. April mit der Anhörung weiterer Zeugen fortgesetzt.