Revolutionäre, die schon im Wahlkampf stehen

Erstveröffentlicht: 
27.03.2013

Der Assad-Gegner Fawaz Tello stellt der Exilopposition ein vernichtendes Zeugnis aus. Sie streite schon um Macht, die noch nicht errungen sei.

 

Rainer Hermann in der FAZ

 

Der Rücktritt von Moaz al Khatib, des Vorsitzenden der Nationalkoalition, hat die Schwächen der syrischen Opposition offengelegt. Der seit vergangenem Jahr im deutschen Exil lebende säkulare Oppositionelle Fawaz Tello macht im Gespräch mit der F.A.Z. die islamistische Muslimbruderschaft und Qatar, das diese unterstützt, für den Schritt Khatibs verantwortlich.

 

Beide hätten Ghassan Hitto, der aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen ist, als Ministerpräsident einer Exilregierung durchgesetzt. Die Position Khatibs sei damit untragbar geworden. Tello hatte im vergangenen Herbst für den damals noch unbekannten Khatib als Führer der Opposition und als eine Persönlichkeit geworben, die Säkulare und Islamisten verbindet. Tello sagt, Hitto, der Jahrzehnte im Ausland gelebt hat, habe zur Revolution in Syrien „Null Bezug“.

 

Der Muslimbruderschaft wirft Tello vor, die Oppositionsbündnisse und die Exilführung dominieren zu wollen und ihre Politik darauf zu konzentrieren. Damit sei eine „hoffnungslose Situation entstanden“ und Khatib wolle nicht als Marionette der Muslimbrüder auftreten, sagt Tello. Nach der Gründung des Syrischen Nationalrats hatten die Muslimbrüder durchgesetzt, die Zahl von dessen Mitgliedern auf 230 zu verfielfachen. Etwa 40 Prozent der neuen Mitglieder stellt die Muslimbruderschaft, die seither wie ein Block auftritt. Zu Jahresbeginn habe sie zu Konferenzen mit dem Ziel eingeladen, sich als Ansprechpartner für internationale Hilfen an zivile Verwaltungen in den befreiten Gebieten zu präsentieren, sagt Tello.

 

„Die Exil-Regierung verkauft Illusionen“


Tello, der bislang alle Posten in der Exilopposition ausgeschlagen hat, kritisiert diese dafür, dass sie „von oben“ handle, während die Revolution von der Basis getragen werde. Die Oppositionsvertreter seien nicht die Führer der Revolution, sondern hätten lediglich die Aufgabe, die Regimegegner zu unterstützen, etwa indem sie von der Staatengemeinschaft die erforderliche Hilfe organisierten. Militärräte, die außerhalb Syriens ernannt würden, hätten keinen Einfluss darauf, was in Syrien geschieht.

 

Kritisch äußert sich Tello, der im vergangenen Jahr aus Syrien geflohen war und weiter Verbindungen zu den Rebellen innerhalb des Landes unterhält, zur neuen Nationalen Koalition. Sie war im vergangenen November gegründet worden, um die Schwäche des Syrischen Nationalrats, des damals größten Oppositionellen Dachverbands zu überwinden. Die Sitze der Koalition seien wie im Basar vergeben worden, sagt Tello. „Die Bildung der Nationalen Koalition war nur eine Flucht nach vorne.“ Erst habe der Nationalrat Versprechen gemacht, die nicht erfüllt worden seien, dann die Koalition. „Und jetzt verkauft die Exil-Regierung Illusionen.“ Die Opposition spiele weiter auf Zeit, während sich Dynamik in Syrien verstärke und eine Entscheidung näherrücke.

 

Die Exiloppositionellen verhielten sich, als befänden sie sich im Wahlkampf um die Macht im einem neuen Syrien, dabei sei der Sturz des Assad-Regimes noch lange nicht vollbracht. Die meisten von ihnen seien nur Marionetten, die mehreren Herren dienten - je nachdem von wem sie sich mehr Geld und mehr Macht versprächen. Anstatt einer Partnerschaft zwischen der Opposition in Syrien, der Exilopposition und der Staatengemeinschaft gebe es lediglich individuelle Kontakte. „Das ist einer der Gründe für das Chaos“, sagt Tello.

 

Die Mehrheit will keinen islamischen Staat


Auch er fordert Waffenlieferungen an die Rebellen in Syrien. Selbst die verhältnismäßig kleinen Lieferungen aus Saudi Arabien, Qatar und der Türkei hätten einen großen Unterschied ausgemacht, und haben die Balance zu Gunsten der Regimegegner korrigiert, bekräftigt Tello. Diese Waffenlieferungen, die im Sommer 2012 aufgenommen worden seien, im Herbst zwischenzeitlich eingestellt worden, weil es Bewegung im Ringen um eine politische Lösung gegeben habe. Sie seien wieder aufgenommen worden nachdem das Regime ablehnend reagiert habe und im November die Nationale Koalition gegründet worden sei.“Diese Waffen sind nicht in die Hände von Extremisten gefallen“, sagt Tello. Die große Mehrheit der Syrer seien zwar gläubige, wollten aber keinen islamischen Staat. Sie wollten in einer liberalen Demokratie leben, in der der Islam eine Rolle spiele.

 

Die Staatengemeinschaft werde erst in der Endphase des Konflikts einschreiten, um sich als Partner auf die Seite des Siegers zu schlagen, sagt Tello. Sie wolle den Wandel kontrollieren und versuchen, staatliche Institutionen wie das Militär und den Sicherheitsapparat, die „das Herz des Regimes“ seien, intakt zu halten. Für eine „bosnische Lösung“ mit einem internationalen Mandat für einen Staat und einer Friedenstruppe sieht Tello keine Chance mehr. Heute würden ausländische Truppen als Besatzer wahrgenommen, noch vor einem Jahr wären sie akzeptiert worden.

Nach den Worten des Oppositionellen wird der Abnutzungskrieg in Syrien wohl fortgesetzt, bis eine Seite ausgeblutet ist; dafür liege die Wahrscheinlichkeit bei 95 Prozent. Das der Einsatz des UN-Syrienbeauftragten Brahimi für einen politischen Übergang Erfolg habe, sei nur noch Wunschdenken „Dazu ist es zu spät, nachdem so viel Blut vergossen worden ist und in Assads Kerkern eine Viertelmillion politische Häftlinge sitzen, die gefoltert werden und hungern.“