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Heiligendamm und Genua im Kopf
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Erstveröffentlicht:
08.03.2009
08. März 2009 Am 5. April wird ein Haydn-Oratorium in der Baden-Badener Stadtkirche gespielt. Dann dürften die meisten Absperrgitter weggeräumt und die schwerbewaffneten Polizisten aus der einstigen Sommerhauptstadt Europas wieder abgezogen sein. Am Abend des 3. April wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy die Gäste des Nato-Gipfels im Bénazet-Saal des Kurhauses begrüßen. Der 60. Geburtstag des Militärbündnisses soll gefeiert werden. Der amerikanische Präsident Barack Obama wird sich zum ersten Mal nach seiner Amtseinführung in Europa aufhalten, und vielleicht wird er sich sogar auf einem Hotel-Balkon zeigen. Nun haben die Baden-Badener schon immer gern die Welt zu Gast gehabt, doch wenn aus der Klosterwiese für einige Tage ein Hubschrauberlandeplatz wird, weite Teile der Stadt mit Absperrgittern abgeriegelt werden und das Gebiet um das Kurhaus zur absoluten Sperrzone wird, muss das nicht jedem Bürger gefallen. Im Bénazet-Saal versammelten sich kürzlich interessierte Bürger, um von der Polizei zu erfahren, was wann und wie lange abgesperrt werden muss. „Ich habe die Bilder des Gipfels von Genua im Kopf. Ich habe Angst um die Bewohner in den Rückzugszonen“, sagte ein Mann besorgt. „Für eine so geplagte Stadt ist es völlig unerträglich, wenn nach Ende des Gipfels am 4. April auch noch die Nazis aufmarschieren, das finde ich sehr hart“, sagte eine junge Frau.
Wenig Freiraum für Demonstranten Auf diese Sorgen gab es von der Stadt und der Polizei zunächst einmal zwei Antworten, die beruhigend wirken sollen: Auch „absolut unerwünschte Demonstrationen“ wie die der Neonazis müssten durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gewährleistet werden, sagte Bürgermeister Werner Hirth. Und mit Blick auf die angekündigten Demonstrationen linker Nato-Gegner versuchte Bernhard Rotzinger - er leitet die zur Vorbereitung des Gipfels eingesetzte Arbeitsgruppe „Atlantik“ der Polizei - den Baden-Badenern ihre Sorgen zu nehmen: „Es werden keine wilden Horden durch Baden-Baden laufen.“ Auch bei den Gipfelgegnern gibt es derzeit eine gewisse Skepsis, ob sie überhaupt bis Baden-Baden vordringen können: „Die Delegierten speisen in Baden-Baden, einer der reichsten Städte Deutschlands. Das ist eine gute Möglichkeit, denen mal richtig in die Suppe zu spucken. Wer es nicht bis zum Suppentopf schafft, kann zumindest die Zufahrtsstraßen bis zum Buffet blockieren“, heißt es in einem im Internet veröffentlichten Aufruf der Nato-Gegner. Baden-Baden liegt im schmalen Oos-Tal. Alle Zufahrtsstraßen und die Schwarzwaldhochstraße werden komplett gesperrt. Die innere Sicherheitszone darf nur in Polizeibegleitung betreten werden - solange sich die Staatsgäste in Baden-Baden aufhalten. Ein Camp der Gipfelgegner soll es nur in Straßburg geben, wo der Gipfel am 4. April nach einem Zwischenstopp in der kleinen Grenzstadt Kehl fortgesetzt wird. Deshalb hofft auch der Baden-Badener Oberbürgermeister Wolfgang Gerstner (CDU), dass es nur wenige der etwa 25.000 Demonstranten bis in die Kurstadt, die „Beletage Baden-Württembergs“, wie er sagt, überhaupt schaffen. „Die Topographie schränkt den Auslauf ein, es gibt wenige Freiräume für die Demonstranten“, sagt Gerstner.
„Viele Bürger sind unzufrieden.“ Wie die Berliner Politiker ursprünglich auf die Idee kamen, den deutschen Teil des Gipfels in Kehl zu veranstalten, ist mehr als unverständlich: Kehl hat nur den symbolträchtigen „Garten der zwei Ufer“, ansonsten ist es vor allem eine Stadt, in der französische Grenzgänger günstig einkaufen und manche Pendler billig leben können. Es hätte von Anfang mehr für das extravagante Baden-Baden gesprochen: die Stadt, die nach 1945 Sitz der französischen Besatzungsverwaltung war und als Gipfelort international bekannt ist. Weil man sich erst spät entschied, die Gipfelgäste in Baden-Baden zu empfangen, stehen auf dem eigens für den Gipfel entworfenen Logo nun zum Verdruss der Baden-Badener Hoteliers nur die Städtenamen Kehl und Straßburg. Auch das Foto für die Geschichtsbücher soll in Kehl und nicht in Straßburg oder Baden-Baden gemacht werden. Vor der filigranen Stahlbrücke in Kehl sollen sich die Staatsgäste am Morgen des 4. April aufstellen für ein Foto, das die deutsch-französische Freundschaft und den Erfolg des Sicherheitsbündnisses in einem friedlichen Europa dokumentieren soll. Das Fotografieren soll nicht länger als 30 Minuten dauern, doch ohne Sicherheitszonen und Unterbrechung der Rheinschifffahrt ist ein solches Foto nicht zu haben. Die Stadt Kehl und die Polizei haben deshalb in der Nähe des Bahnhofs ein Informationsbüro eingerichtet. Kriminalhauptkommissar Wolfgang Merkel berät hier täglich fünfzig Bürger, er erklärt ihnen, wann sie mit Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit rechnen müssen. „Viele Bürger sind unzufrieden. Die wollen ihren Unmut loswerden, die schimpfen, dass der Gipfel hier stattfindet“, sagt Merkel. An der Wand hängt eine Karte mit den vier Sicherheitszonen. Direkt am Ufer ist ein rotes Rechteck zu sehen, es markiert das „Temporärgebäude“, bei dem sich die Staatsgäste zum Foto einfinden sollen.
Quartier der Nato-Gegner Die Kehler, die auf der sogenannten Insel wohnen, direkt am Rhein also, müssen mit den härtesten Einschränkungen leben: Von Freitagabend bis Samstagvormittag will die Polizei diese Zone komplett abriegeln. Wie die Sicherheitszone um das Baden-Badener Kurhaus darf dann auch dieses Gebiet von Freitag 18 Uhr bis Samstag 10 Uhr nur in Polizeibegleitung verlassen oder betreten werden. Merkel muss in dem Büro viele praktische Fragen beantworten: Wie kommt der Pflegedienst am Gipfelsamstag zur behinderten Großmutter? Oder: Darf die studierende Tochter zu ihren Eltern, wenn sie am Freitagabend vom Bahnhof kommt? „Die meisten Kehler erwarten und hoffen, dass die Demonstranten nach Straßburg gehen, Kehl ist doch ein Dorf“, sagt Merkel. Bisher habe sich im Informationsbüro erst ein junger Mann als Nato-Gegner zu erkennen gegeben. „Der wollte wissen, was wir hier machen.“ Die Nato-Gegner haben natürlich in der Ortenau auch schon Quartier genommen, in der Nähe der alten Pfefferminzfabrik in Offenburg haben sie in einer Wohnung eigens ein Informationsbüro eingerichtet. Auf Tapeziertischen liegen Flugblätter und Broschüren. „Die Panzerknackerin“ und „Nein zum Krieg! Nein zur Nato!“ steht auf den Flugschriften, die zur „Internationalen Demonstration“ in Straßburg am 4. April aufrufen. Noch ist das Offenburger Büro ein Einmannbetrieb. Den führt der altbekannte Nato-Gegner Monty Schädel. Der 39 Jahre alte Erzieher aus Mecklenburg-Vorpommern war 2007 einer der maßgeblichen Organisatoren der Proteste gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm.
Kurze Vorbereitungszeit Schädel ist offiziell Geschäftsführer der „Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstverweigerer“, einer Organisation, die vom Verfassungsschutz vor der Wende immer als „kommunistisch“ eingestuft wurde. Schädel ist in der DDR geboren, er war Mitglied der FDJ, später der SED und saß nach seinem Austritt aus der PDS für einige Jahre als parteiloser Abgeordneter im Schweriner Landtag. Vom Eingesperrtsein in der DDR und von der Unterdrückung, sagt Schädel, habe er wenig mitbekommen. Jetzt gibt er ein Gastspiel in Baden und koordiniert die etwa 500 Gruppierungen, die zu Protesten gegen den Nato-Jubiläumsgipfel und die Politik des Militärbündnisses aufrufen. Noch ist Schädel skeptisch, ob er überhaupt genug Nato-Gegner für eine Demonstration in Baden-Baden oder eine Straßenblockade mobilisieren kann. Der Großteil der Demonstranten fährt nach Straßburg, wo die französischen Behörden mit aller Macht versuchen werden, die Demonstranten von der Innenstadt fernzuhalten. Weil die Polizei die deutsch-französische Grenze stark kontrollieren will, fürchten viele Demonstranten, an der Grenze aufgehalten zu werden, wenn sie nach Frankreich einreisen wollen. „Wir werden nicht 80.000 Demonstranten wie in Heiligendamm sein, wir werden wohl auch nicht mit 15.000 Leuten Straßen blockieren, die Vorbereitungszeit war zu kurz“, sagt Schädel abwiegelnd und spricht zugleich eine Drohung aus: „Wir werden uns aber anders verhalten als in Rostock, weil wir uns auf Absprachen mit der Polizei nicht mehr verlassen wollen, die sind damals nämlich nicht eingehalten worden.“
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