Matthias Monroy auf netzpolitik
In einer Reihe von Seminaren trainieren europäische Polizeibehörden arabische und nordafrikanische Länder in der Nutzung von “neuen Technologien und Ermittlungstechniken”. Die teilnehmenden Regierungen gehören zum Programm “Europäische Nachbarschaft und Partnerschaft” (ENPI).
Mit fünf Millionen Euro fördert die Europäische Union das Projekt “Euromed Police III”, das 2014 endet. Zu den Zielen gehören “Cyberkriminalität und neue kriminelle Bedrohungen” sowie das Aufspüren auffälliger Finanzströme. Die adressierten südlichen und östlichen ENPI-Staaten sind Algerien, Ägypten, Jordanien, der Libanon, Marokko, Tunesien und die palästinensische Autonomiebehörde. Auch Syrien gehört zur ENPI, wegen des Bürgerkriegs ist die Zusammenarbeit aber ausgesetzt. Formales Mitglied ist auch Israel, doch kann angenommen werden, dass das Land in Sachen elektronische Ermittlungswerkzeuge über ausreichend eigene Kenntnisse verfügt.
“Euromed Police III” soll die Polizeibehörden der genannten Staaten stärker an die Strukturen der EU und ihrer Mitgliedstaaten heranführen. Hierzu gehört auch die Polizeiagentur EUROPOL. Das gesamte Projekt richtet sich an Angehörige von Polizeien, quasi-militärischen Gendarmerien, Spezialeinheiten sowie auf Finanzermittlungen und Computerkriminalität spezialisierte Abteilungen.
Das letzte von insgesamt 18 Trainings soll zusammen mit den Polizeien der 27 EU-Mitgliedstaaten, EUROPOL und den “Verbindungsbeamten” (“Liaison Officers”) abgehalten werden. Gemeint sind Angehörige von Polizeien, die auf heimische Datenbanken zugreifen dürfen und mit diesen Kompetenzen in andere Länder entsandt werden. Dieses weltweite Netzwerk soll nun auf die Länder des arabischen Frühlings erweitert werden.
Zu den Seminaren gehören drei Einheiten über “Finanzierung terroristischer Organisationen” zur Ausforschung verborgener Finanztransaktionen (sogenannter “informal value transfer systems”, IVTS). Derartige Ermittlungstechniken gewinnen immer mehr an Bedeutung, was das polizeiliche Interesse an den internationalen Finanzdatensammlungen des belgischen Dienstleisters SWIFT erklären mag.
Als weiteren Baustein finanziert die EU einen Workshop zur Sammlung und Analyse von ermittlungsrelevanten Inhalten. Der Fokus liegt auf “Sammeln, Speichern, Sortieren, Bewerten”. Entsprechende “neue Ermittlungstechniken” beinhalten elektronische Überwachung, das Erkennen gefälschter Dokumente und die DNA-Analyse. Die besagte Trainingseinheit ist im Internet dokumentiert. Demnach wurde sie von französischen Polizisten und Gendarmen durchgeführt und dauerte ganze vier Wochen. Anwesend waren auch BeamtInnen aus der Tschechischen Republik und Spanien. Gelehrt wurde die Verarbeitung von Fingerabdruckdaten, die Analyse von Geräuschen und Stimmen sowie von Drogen. Eine eigene Sequenz widmete sich dem Auswerten von Computern, Mobiltelefonen und USB-Speichern. Unbedingt empfohlen wurde der Aufbau von Polizeidatenbanken und die Intensivierung digitaler Finanzermittlungen:
Be aware that the full benefit of data bases will only be reached if all countries currently and daily provide relevant information to international data bases such as those of Interpol. Finally understand that international co-operation is an absolute requirement to carry out efficient forensic investigation, regarding the globalisation of the financial and economic sector, where huge amounts of money can be electronically transferred thousands of miles away in a few seconds.
Libyen gehört zwar nicht zu den ENPI-Staaten, die an dem Programm teilnehmen. Die Regierung kommt über Umwege dennoch in den Genuss eines gleichen Vorhabens. Federführend ist die internationale Polizeiorganisation INTERPOL. Dennoch wird das Vorhaben mit 2,2 Millionen Euro von der EU finanziert – ungeachtet gravierender Menschenrechtsverletzungen, die erst letzte Woche von einer EU-Delegation selbst festgestellt wurden. Immer wieder werden aus den Haftanstalten schwere Misshandlungen und Folterungen berichtet.
Die libysche Polizei soll zunächst mit einer Kommunikationsinfrastruktur ausgerüstet werden. Hierzu gehört die Fähigkeit, Daten zu sammeln, zu analysieren und zu verarbeiten. Damit werden Frühwarn-Kapazitäten der Behörden gestärkt. In einem Vorab-Abkommen wird ausdrücklich eine polizeiliche Risikobewertung mittels vorhersagender Methoden erwähnt (“predictive risk assessment and analysis”). Libyen soll in eine “internationale Polizeigemeinschaft” aufgenommen werden. Die Datenbanken des Landes soll deshalb an das INTERPOL-Zentralbüro angeschlossen werden. Kürzlich wurde dazu auf Facebook Vollzug gemeldet.
Weitere zwei Trainings von “EUROMED POLICE III” drehen sich um “Cyberterrorismus” und die Nutzung des Internet zur “Radikalisierung”, zur Vorbereitung “terroristischer Akte”, “Rekrutierung” oder “terroristischer Trainings”. Im Workshop geht es laut der früheren Ankündigung um hilfreiche, digitale Spionagewerkzeuge:
For both topics, particular attention should be given to investigation techniques, with a main focus on new technologies, internet investigation, investigation concerning file sharing websites (such as Youtube), investigation and interception of electronic communications (such as those trough mobile phones or Skype-like communications), scientific and forensic evidence.
Die Inhalte ähneln den umstrittenen und inzwischen eingestellten Schulungen des Bundeskriminalamtes in Belarus. Die Bevölkerung der genannten Länder dürfte sich aber eher an die Nutzung westlicher Spähsoftware erinnern, wie sie beispielsweise in Ägypten und Tunesien für Furore sorgten. Dem schlechten Image der Polizei kann deshalb ein weiteres Seminar vorbeugen: Unter dem Titel “Crisis management and the role of the police” werden die vielmals verhassten Sicherheitsbehörden der südlichen und östlichen Mittelmeeranrainer in “Problemen in der Kommunikation mit Medien” unterrichtet.
Auch im Bereich der Migrationsabwehr sollen die Länder des Arabischen Frühlings geschult werden. Hierzu wird auch die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX einbezogen. Wieder geht es um Datentausch, aber auch neue Überwachungstechniken an den Grenzen und technische Ausrüstung “zur Verhinderung” von Migration. Ein ähnliches Projekt betreibt die EU mit dem Aufbau des grenzpolizeilichen Überwachungsnetzwerks “Seahorse Mediterraneo”. Am von der spanischen Guardia Civil geführten Projekt wollen alle EU-Mitgliedstaaten teilnehmen, die eine Außengrenze am Mittelmeer haben.
In Italien und Malta werden zwei zentrale Kontrollstellen aufgebaut. Diese “Mediterranean Border Cooperation Centres” (MEBOCC) sind Schnittstellen für die spätere Einbettung in das übergeordnete Grenzüberwachungssystem EUROSUR. Im Juli hat Libyen eine Erklärung unterzeichnet, wonach das Land offiziell an “Seahorse Mediterraneo” mitarbeiten will. Libyen wird so zum Vorposten für die polizeiliche EU-Aufklärung. Alle zukünftig ebenfalls interessierten afrikanischen Länder sollen als Anreiz in der Errichtung notwendiger technischer Systeme unterstützt werden.
Im Sommer startet die EU ein großangelegtes Projekt zur Migrationsbekämpfung an den libyschen Sahara-Grenzen. Angeblich wird Libyen bald ein eigenes, milliardenschweres Grenzüberwachungssysteme errichten. Das Gleiche gilt für Algerien, das hierfür sogar Drohnen bauen will. Die Rüstungs- und Sicherheitsindustrie sitzt in den Startlöchern: Im April findet in Istanbul eine Konferenz zu Kontrolltechnologien gegen unerwünschte Migration statt.
Womöglich sind die von der EU finanzierten Schulungen bei den teilnehmenden Behörden gut angekommen. Die ägyptische Staatsanwaltschaft hat jetzt angeordnet, Webseiten des vor allem in der politisch links stehenden Ultra-Szene in Mode gekommenen “Schwarzen Blocks” auszuforschen. Damit sollen die dahinter stehenden AdministratorInnen identifiziert werden.
Das Gleiche könnte tunesischen AktivistInnen passieren, die anlässlich des bald im Land stattfinden Weltsozialforums einen revolutionären Aufruf gestartet haben, der die wahren Ziele des Arabischen Frühlings als verloren kritisiert. Als erstes Land der arabischen Welt soll Tunesien eine “Sicherheitssektorreform” durchlaufen, die von der EU maßgeblich unterstützt wird. Die Kommission will jetzt zur Vorbereitung 14 Spezialisten für “Informationsaustausch und technische Unterstützung” nach Tunesien entsenden, um Schwachstellen im dortigen Sicherheitsapparat zu finden.