[Winterbach] Geständnis und Verschwörungstheorien

Erstveröffentlicht: 
08.03.2013

Winterbach/Stuttgart. Auf der Zielgeraden: Im Prozess um den Winterbacher Brandmordanschlag überschlagen sich die Ereignisse. Ein Angeklagter bricht nach 36 Prozesstagen sein Schweigen, und Verteidiger erheben schwere Vorwürfe. Die Justiz soll willkürlich ermittelt, V-Leute in die Naziszene eingeschleust und sogar zur Tat aufgewiegelt haben.


Monatelang trat der Prozess auf der Stelle – nun ist binnen weniger Minuten mehr passiert als an unzähligen zähen Prozesstagen. Nur unverwüstliche Optimisten haben wohl noch damit gerechnet, dass der Prozess um die Hetzjagd und den Brandanschlag in Winterbach auf eine Gruppe junger Migranten noch Fahrt aufnimmt. Monatelang hatte Christian W. (siehe rechts) eisern geschwiegen, nun hat er zugegeben, dass er mit anderen Personen Richtung Gartenhütte gerannt sei, aufgrund seiner Trunkenheit habe sich jedoch ein Abstand zur jagenden Meute ergeben. W. habe daraufhin keinen Migranten angetroffen und auch sonst niemanden mehr gesehen. Allerdings habe er Schreie gehört. Anschließend sei er zurückgekehrt auf das Grundstück seiner Familie.

Christian W. nennt zudem Namen der aufbrechenden Partygäste und unterstreicht somit deutlich seine Ankündigung, dass er künftig der rechten Szene den Rücken kehren wolle. Durch diese Aussage macht W. Nägel mit Köpfen und nennt insgesamt sieben Personen, die zur Gartenhütte gerannt seien – darunter auch die zwei Verurteilten, die im vergangenen März im ersten Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung Haftstrafen von jeweils zwei Jahren und fünf Monaten verpasst bekamen. Ferner belastet W. drei Männer aus dem Saarland sowie zwei weitere Personen aus der Region Stuttgart.

Bezüglich der zeitlichen Abfolge der Geschehnisse in der Nacht zum 10. April 2011 habe W. sich lange schwer getan, so sein Verteidiger Marko Becker. Letzlich hätten die Aussagen der bereits Verurteilten ihm geholfen, dass er sich erinnern konnte. „Beginnend mit der heutigen Einlassung möchte Herr W. die rechtlichen Konsequenzen auf sich nehmen. Er möchte seine Strafe verbüßen und dann so schnell wie möglich zu seiner Familie zurückkehren“, so Becker. W. sei sich bewusst, dass seine Aussagen einen Bruch mit der rechten Szene darstelle. Nach der Verbüßung seiner Gefängnisstrafe wolle er ein neues Leben ohne Verbindungen zur rechten Szene beginnen. Fragen des Gerichts und der restlichen Verteidiger wollte W. an diesem Prozesstag nicht beantworten und zunächst Rücksprache mit seinem Anwalt Becker halten.

Verteidiger vermuten, dass V-Leute die Finger im Spiel hatten
Nachdem bereits der rechte Szeneanwalt Steffen Hammer den Antrag gestellt hat, dass Verfassungsschützer befragt werden sollen, ob die Grillparty mit V-Leuten unterwandert gewesen sei und diese sogar die Partygäste zu dem Anschlag überhaupt erst angestiftet haben, schloss sich nun Verteidiger Ingo Reetzke mit einem weiteren Antrag dieser Forderung an. Der Beweisantrag geht sogar einen Schritt weiter: Er fordert, Beate Bube, Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz, in den Zeugenstand zu laden. Reetzke spricht von „willkürlichen Ermittlungen“ und vermutet, dass Ermittlungen gegen bestimmte Partygäste eingestellt wurden, da diese als V-Leute eingesetzt worden seien. Als Beispiel nennt er einen Mann, der zunächst wegen versuchten Mordes angeklagt war – ein simples Schreiben dessen Anwalts habe ausgereicht, um die Anklage jedoch nichtig zu machen. Zudem sei „ausdrücklich nicht gegen eine Frau“ ermittelt worden, obwohl die Migranten in der Gartenhütte eine Frauenstimme vernommen hätten. Auch dieser Dame unterstellt Reetzke eine Tätigkeit als V-Person. Ferner ist Reetzke Anhänger der Verschwörungstheorie, dass gerade diese V-Leute das Eskalieren der Situation provoziert hätten. Staatsanwalt Markus Höschele bezeichnete diesen Antrag als „skurril“, die Kammer wird kommenden Donnerstag darüber entscheiden.

 

 

Christian W.
Der 36-jährige Christian W. ist schon lange Zeit in der rechtsradikalen Szene aktiv gewesen, er war zeitweilig Pressesprecher der NPD Rems-Murr und ist auch polizeilich schon in Erscheinung getreten.

Zusammen mit anderen Neonazis hat er im Jahr 2000 in Schorndorf einen griechischen Geschäftsmann zusammengeschlagen. Hierfür erhielt er eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren.

Das Engelberger Gartenstückle, auf dem die Neonazis in der Nacht des Brandmordanschlags (10. April 2011) gefeiert haben, gehörte einem Mitglied der Familie W.; die Gemeinde Winterbach kaufte nach dem Anschlag sowohl das Stückle der Opferfamilie als auch jenes der Familie W.