Vom Umgang mit Trollen

Dem digitalen Totalitarismus wird eine Armee von Trollen vorausmarschieren.

Ein Troll ist eine Person die nicht denkt was sie sagt. Aus naheliegenden Gründen wird mit dem Begriff gelegentlich auch die Hinterlassenschaft des Trolls belegt. Trolle können angreifen weil die anonyme Kommunikation anonym ist und eine Kontrolle nicht stattfindet. Die Theorie dass es sich bei Trollen um parasitäre Existenzen handelt die daher verschwinden sobald sie nicht gefüttert werden ist unter bestimmten Voraussetzungen unvollständig. Werden Trolle von einem externen Interesse gefüttert anonyme Kommunikation zu sabotieren, dann reicht es nicht aus sie inhaltlich zu isolieren um sie loszuwerden. In einem solchen Fall wird es erforderlich das externe Interesse zu dekonstruieren worin die Trolle nisten. Das ist meistens kein schöner Anblick: Ohne Fütterung fressen Trolle sich gegenseitig auf, umso eher je mehr sie daran gewöhnt wurden.

 

Zweck der anonymen Kommunikation ist es, im Sinne der Logik der Vernunft alles denken und alles sagen zu können, ohne Geltung von Hierarchien. Dies setzt voraus dass lediglich diejenigen daran teilnehmen die über authentische Motive zur Wortmeldung verfügen. Das ist bei der Informationsüberflutung eigentlich kein Problem, weil kaum ein Anreiz gegeben ist in eine Kommunikationssituation eigene Zeit zu investieren wenn dies nicht zielführend ist. Der virtuelle Raum datenreisender Diskurse ist dabei ein Sonderfall massengesellschaftlicher Situationen, da die Überprüfbarkeit der Absicht anhand von Authentizitätsmerkmalen ganz entmaterialisiert ist. Trolle können jedoch auch fleischlich auftreten, auch wenn sie es bei stärkerer Einbindung von Authentizitätsmerkmalen schwerer haben. Wo gar keine anonyme Kommunikation möglich ist kann auch der Troll nur offen in Erscheinung treten, allerdings gibt es dort auch keinen Schutz gegen Hierarchien.

Der Troll ist also über sein jeweiliges Selbstverständnis hinaus zuerst der Auswurf der gesellschaftlichen Hierarchien, der sich grundsätzlich irrational gegenüber deren Infragestellung verhält. Nährt er sich ausschließlich aus der anonymen Kommunikation, so ist, sofern diese sich auf stabilem Niveau abspielt, seine Präsenz kurzfristig. In dem Maße wie sich seine Aussage als irrsinnig und isoliert herausstellt, geht sein Anreiz verloren daran teilzuhaben, und am emanzipatorischen Potential authentischer Anonymität ist er allenfalls als Futter interessiert. Auf den ersten Blick erscheint die Problematik trivial: Der Troll lügt auch dann wenn er heuchelt, denn Wahrheit zum Zweck der Lüge ist immer entstellt. Sein Angriff gegen die Vernunft erschöpft sich im Gerücht über die Vernünftigen.

Dies ändert sich erst wenn eine extern organisierte Zurichtung und Fütterung von Trollen zu verzeichnen ist. Doch auch eine solche hat, sofern sie sich ausschließlich öffentlich zugänglicher Quellen bedient, enge Grenzen und vor allem geringen Anreiz denselben Aufwand nicht in authentische Opposition zu stecken. Zu einem epidemiologischen Problem werden Trolle genau dann wenn sich die externe Zufütterung aus personenbezogenen Beutedaten speist. Von der Verantwortungsethik her betrachtet ist das die Fortsetzung des Kannibalismus mit anderen – immateriellen – Mitteln: Daten bzw. Referenzen welche unrechtmäßig einer persönlichen Erzählstruktur entnommen sind an Trolle zu verfüttern macht letztere von ausschließlich bemitleidenswerten Erscheinungen zu persönlichen Freßfeinden der Betroffenen.

In seiner narzißtischen Kränkung über das menschliche Desinteresse an seiner Existenz plündert der zurückgewiesene Staat das geistige Eigentum der Menschen, und die damit gefütterten Trolle dienen als Waffen des organisierten Angriffs seiner irrationalen Gewalt gegen jede Vernunft. Ein derartiger kannibalischer Troll begeht dann etwa nicht mehr einfach einen für alle als derartigen erkennbaren sexistischen Übergriff, welcher unmittelbar zu seinem Ausschluss führen würde, sondern kleidet diesen anspielungshaft beispielsweise in ein Kostüm welches die Zielperson früher beim Karneval verwendet hat. Weil die Kommunikation anonym ist kann eine solche Zuordnung gar nicht vorkommen, außer sie wird dem Troll zugefüttert. Das ist jedoch nur möglich durch einen Apparat welcher persönliche Daten erbeuten kann - die Information ist womöglich sogar öffentlich verfügbar, doch ihre Zuordnung nicht. Der kannibalisch gefütterte Troll hat es somit sehr leicht seine Hinterlassenschaft zu tarnen, die jeweilige Zielperson schwer sich anonym dagegen zu verteidigen.

Plausibel ist daher die Erwartungshaltung: Sollte unter den Bedingungen der Digitalisierung der Totalitarismus wiederkehren dann wird ihm eine Armee von Trollen vorausmarschieren. Im Unterschied zum Einzelfallnachweis der Trollnatur eines bestimmten anonymen Beitrags ist die Frage ob dies bereits der Fall ist erkenntnistheoretisch eindeutig entscheidbar. Ist ersterer ohne Eigenprotokolldaten des Repressionsapparats oft lediglich aus persönlichen Beutedatenbezügen rekonstruierbar, und ohne diese kaum nachvollziehbar zu verallgemeinern, macht sich eine organisierte Trollfütterung aus Personendatenausbeutung in einem signifikant erhöhten Rauschpegel der anonymen Kommunikation bemerkbar. Eine derartige Trollarmee ist nicht nur übelste Regierungskriminalität auf dem kulturhistorischen Niveau von Kannibalismus, sondern auch kollektiver Selbstmordanschlag auf den Weltgeist und bereits ihre Aufstellung ein Kriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit.

Beim organisierten Diskursmißbrauch mit allen Mitteln des Staates ist dessen Weiterexistenz tatsächlich Zweck und nicht Mittel, wenngleich mit diesem Mittel rational gar nicht zu erreichen. Vielmehr wird dadurch die Frage aufgeworfen, wie mit kannibalischen Trollen umzugehen ist welche gezielt elementare Lebensfunktionen von Menschen angegriffen haben. Ein solcher digitaler Totalitarismus darf nicht existieren. Das ist Voraussetzung für die Fortdauer menschlichen Lebens auf dem Planeten. Existiert er doch, so muss er vollständig verschwinden. Und wenn in einer Trollarmee durch die Beutedatenverfütterung die Trolle gleichzeitig auch ihre eigenen Waffen sind, dann ist ein solches Gebilde gar nicht im klassischen Sinn demobilisierbar, sondern lediglich durch Aufreibung oder Aburteilung. Ist der digitale Totalitarismus eine Funktion des analogen politischen Systems, so ist damit auch dessen Auflösung notwendig impliziert.

Denn die kannibalische Beutedatenverfütterung an Trolle ist eine Handlung mit Todesfolge, so wie auch deren daraus resultierende Aktivität, der geistige Kannibalismus mit den Waffen des totalen Staates - im besten Fall ausschließlich für die Täter - tödlich ist. Die derart gefütterte Trollarmee ist von einer Armada von Selbstmordattentätern lediglich dadurch zu unterscheiden dass ihre Waffenzusatzkomponenten nicht materieller Natur sind. Der einzelne Troll, bzw. Cyber-Kannibale, ist dabei allerdings mit einer systembedingten Verzögerung ausgestatten welche seine persönliche Todesfolge auf das Ende der Trollarmee als Ganzes aufschiebt. Erst dann kann der Grundsatz von Ursache und (Rück-)Wirkung auch in Bezug auf Gewaltmonopole Geltung erlangen.

Besonderes Augenmerk soll hier der technisch-administrative Apparat erfahren welcher diesen Kannibalismus der Seelen ermöglicht. Der Angriff gegen die Vernunft bedient sich Verwaltungsprivilegien, d.h. es handelt sich um nicht um gewöhnlichen Missbrauch welcher verwaltungsmäßig ausgleichbar wäre. Die Fütterung der Trolle erfolgt, soweit es sich derzeit überhaupt plausibel rekonstruieren lässt aus Beutedaten zu deren Erlangung Persönlichkeitsrechte verletzt werden, d. h. ihre Hinterlassenschaften weisen ebenfalls diese ohne direkten Bezug schwer zu erkennende Eigenschaft auf. Dabei ist noch eine Differenzierung möglich zwischen Beutedaten welche dem unmittelbaren Angriff auf die anonyme Kommunikation entstammen, und solchen die in einem darüber hinausgehenden Maße personenbezogen sind und deren Teilnehmern zugeordnet werden, auch wenn die Tendenz zum digitalen Totalitarismus derartige Abgrenzungen eher verwischt. Maßgeblich für die Todesfolge ist jedoch ob durch die Entwendung der Beutedaten essentielle Selbstheilungsprozesse angegriffen werden, d. h. ob der Kannibalismus total ist oder nicht.

Gelegentlich ist von kannibalisch gefütterten Trollen auch als „Klonen“ die Rede, auch wenn es sich dabei sprachlich gesehen um einen Missbrauch der ersten Person handelt, bzw. um die kannibalische Erwartungshaltung sich mit deren Einverleibung auch die Identität der Beute anzueignen. In der „Klon“-Hinterlassenschaft steckt nämlich mehr von der Persönlichkeit des Trolls als der Beute, und letztere auch lediglich in entstellter Form. Das ist etwa dann zu beobachten, wenn ein Cyber-Kannibale vermutete oder erwartete politische Haltungen seiner Beute vortäuschen oder suggerieren will, sich dabei aber in entscheidenden Einzelheiten völlig amoralisch verhält, wenngleich auch hier manchmal sukzessive Anpassungsprozesse vorkommen. Die Bezeichnung ist jedoch vor allem deswegen irreführend, weil es sich um negative Mimikry handelt und nicht um eine strukturelle Standardisierung wie bei den zu ihrer Markteinführung geklonten Personalcomputern. Wäre der PC auf diese Weise „geklont“ worden, hätte dies bedeutet lediglich die konkreten Benutzerdaten auf ein untaugliches Gerät zu übertragen anstatt die abstrakte Funktionalität zu verallgemeinern.

Im Unterschied zu diesem Szenario ist die kannibalische Trollfütterung auch dann schädlich wenn sie nicht die beabsichtigte Wirkung zeigt. Jegliche Verwendung von Beutedaten ist eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten und muss dementsprechende Folgen haben, auch wenn diese erst zum Schluss kommen sobald die herrschende Übermacht sich erschöpft hat. Wichtigster Schutz gegen eine Trollarmee ist zunächst die Anonymität der anonymen Kommunikation selbst. Wird diese als Ganzes penetriert, etwa durch Ausspähung des Datenverkehrs oder Einbruch in verschlüsselte Datenpakete, so ist selbst bei standhaltender persönlicher Sicherung fast jede Selbstverteidigung dagegen lahmgelegt. Ein auch durch erfolgreiche Einzelfallabwehr nicht mehr einzudämmendes Trollproblem kann daher als Anhaltspunkt dafür gelten dass eine organisierte externe Fütterung bzw. Datenerbeutung stattfindet. Gezielte Trollbelastung bedeutet jedoch auch dass es wahrscheinlicher wird dass kannibalische Trolle sich gegenseitig auffressen, etwa indem sie sich in selbstauflösende Unstimmigkeiten verbeißen und sobald sich diese als ungenießbar herausstellen nur noch übereinander herfallen können. Die Trollarmee ist nämlich ein von der Idee bis zur Umsetzung morbides Phänomen.

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