Alle Gedeken erstmals allen Opfern

Der Journalist und ETA-Opfer Gorka Landaburu am Denkmal in Donostia

Erstmals haben am Internationalen Menschenrechtstag alle Parteien im Baskenland gemeinsam allen Opfern des jahrzehntelangen Konflikts gedacht. Von Opfern wird das als bedeutsamen Schritt zur Normalisierung und im Friedensprozess gewertet. Auch die postfaschistische Volkspartei (PP) konnte sich der Initiative der linksnationalistischen Bildu nicht entziehen.

 

Ein ungewöhnlich eisiger Wind wehte dem baskischen Bürgermeister Juan Karlos Izagirre vom nahen Meer entgegen, als er am sonnigen Montagmittag eine Blume für die Opfer am Gedenkstein für Terrorismus und Gewalt abgelegt hat. Alle Mitglieder des Gemeinderats im Seebad Donostia-San Sebastian taten es ihm am gestrigen Internationalen Menschenrechtstag gleich, um erstmals gemeinsam an alle Opfer von Terror und Gewalt zu erinnern, die der jahrzehntelange Konflikt im Baskenland gefordert hat. Am Denkmal im Park am Bürgermeisteramt ergab sich deshalb für kurze Zeit ein bisher unbekanntes Bild, weil erstmals alle Parteien gemeinsam allen Opfern gedacht haben. Der Bürgermeister bewertete das als ersten positiven Schritt, dass "ein Minimalkonsens zum Gedenken aller Opfer erreicht" werden konnte. "Die Bürger fordern und schätzen Gesten dieser Art", sagte Izagirre.


Auch der Journalist Gorka Landaburu ist gekommen. Er wurde 2001 Opfer einer Paketbombe, die ihm die baskische Untergrundorganisation ETA geschickt hatte. Seine rechte Hand, an der der Daumen fehlt, zeigt, dass er dem Tod nur knapp entkam. "Das ist sei ein wichtiger Schritt zum Frieden", erklärt er Telepolis. Opfer habe es auf allen Seiten gegeben, fügt er an. Ein wenig erstaunt ihn, dass es so schnell zu einem ersten Versöhnungsakt kommen konnte. Er betont, dass nur ein Jahr vergangen sei, seit die ETA ihren bewaffneten Kampf eingestellt hat. 


Für Landaburu ist es bedeutsam, "ohne Eile aber ohne Unterlass" weiter Schritte zu gehen. "Alle müssen sich bewegen", spricht der Journalist direkt die spanische Regierung an. Von ihr werden Gesten zu einer Friedenslösung vermisst, sie verweigert sich einem Dialog weiterhin. Landaburu hat trotz seiner Verletzungen stets auf den Dialog gepocht. So hat er auch die Schließung der baskischen Tageszeitung verurteilt. Dafür wurde er angefeindet, denn schließlich wurde die beschuldigt, im Dienst der ETA zu stehen. Jahre später sahen auch spanische Gerichte, dass es dafür keinen Nachweis gab. Den verhafteten Journalisten hat das die Folter nicht erspart und Spanien wurde dafür aber vom Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg verurteilt


Für Landaburu hat sich etwas Bedeutsames in Donostia ereignet, allerdings müssten nun noch "viele Schritte auf einem langen Weg" folgen. Die Wunden sollen für eine Zukunft vernarben, in der die Geschehnisse nicht vergessen werden. Notwendig sei, "Erinnerung, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung." Dass die Initiative zur Ehrung von der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung und ihrer Partei "Bildu" (Vereinen) kam, sei eine wichtige Geste und zeige, dass die auf einem "guten Weg" sei, meint der Journalist. Lange Jahre wurde die Bewegung mit der ETA gleichgesetzt und ihre Organisationen und Führer kriminalisiert. Doch Bildu wird für ihren Einsatz für den Frieden von den Wählern belohnt. Sie wurde bei den Regionalwahlen im Oktober als zweitstärkste Kraft bestätigt. Sie regiert seit mehr als einem Jahr nicht nur Donostia sondern auch die Provinz Gipuzkoa, in der das Seebad liegt. Es handelt sich dabei um eine der wirtschaftlich stärksten Regionen. Dass die Arbeitslosigkeit hier so niedrig ist wie sonst nirgends in Spanien, macht das deutlich. 


Doch noch immer werden in der spanischen Rechten Forderungen laut, auch weiterhin alle angeblichen Nachfolger der 2003 verbotenen Batasuna (Einheit) zu verbieten. Dabei haben sich wie Bildu längst auch Batasuna von der Gewalt distanziert. Der inhaftierte Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi, der maßgeblich den Kurs mitbestimmt hat, hat kürzlich sogar die Auflösung der ETA gefordert. Mit dem Schwenk hat die baskische Linke die ETA zunächst zur Waffenruhe gezwungen. Auf einer Friedenskonferenz vor einem Jahr in Donostia-San Sebastian, an der auch der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan teilnahm, wurde sie schließlich aufgefordert, ihren den Kampf ohne Vorbedingungen einzustellen. Das hat sie kurz darauf erklärt. Obwohl damit die Tür zur Normalisierung und Versöhnung geöffnet wurde, werden auch in der Volkspartei (PP) weiter Verbotsforderungen laut, die seit einem Jahr Spanien regiert.


Die PP tut sich schwer mit dem Prozess und nahm an der Friedenskonferenz nicht teil. Sie hat auch lange gezögert und erst am vergangenen Freitag erklärt, an der gemeinsamen Ehrung aller Opfer teilzunehmen. Sie hat dies sogar wieder in Frage gestellt, als der Bürgermeister am Sonntag an einer Akt teilnahm, an dem auch auf die ungelöste Gefangenfrage aufmerksam gemacht und auch der zahllosen Folteropfer gedacht und darauf hingewiesen wurde, dass die Folter keine Geschichte ist. Die PP ist die einzige Partei die sich von den Opfern abgesetzt hat, die nicht auf das Konto der ETA gehen. Ramón Gomez Ugalde, der 2011 für das Bürgermeisteramt kandidierte, legte am Gedenkstein auch ein Blumengebinde ab, auf dem nur von "Terrorismusopfern" gesprochen wurde. Er betonte, seine Partei habe "stets an der Seite der Opfer gestanden".


Doch auch die ETA-Opfer, die an dem gemeinsamen Gedenken teilgenommen haben, hoffen darauf, dass der eingeschlagene Weg weitergeht. Amaia Guridi glaubt, die Ehrung aller Opfer dient dafür, "zu vereinen und Schritte nach vorne zu gehen." Sie ist die Witwe von Santiago Oleaga. Er war Finanzdirektor der Zeitung "El Diario Vasco", der 2001 von der ETA ermordet wurde. Es war ihr letztes Todesopfer in Donostia und sie glaubt, dass "versucht wird vorwärts zu kommen".   


Klare Fortschritte sieht María Isabel González. Sie ist froh, dass endlich "alles anerkannt wird, was hier passiert ist". Sie ist Witwe des Musikers Alberto Soliño, der von einem Beamten der paramilitärischen Guardia Civil nach einem Konzert in einer Diskothek erschossen wurde. "Jetzt können wir endlich sagen, dass mein Mann ermordet wurde", sagte sie. Ihre Kinder seien besonders froh darüber, dass auch ihr Leid endlich anerkannt wird, denn diese Opfer des Konflikts vielen bisher im allgemeinen Diskurs völlig unter den Tisch.


Das gilt auch für Opfern auf Demonstrationen oder Menschen die in Straßensperren getötet wurden. Darunter fällt auch eine deutsche Touristin. Maria Alexandra Leckett wird 1975 auf der Autobahn bei Donostia auf der Durchreise von der Polizei angeschossen stirbt fünf Tage später. Doch es gibt noch eine dritte Opfergruppe, die bisher vom kaum Beachtung finden: die Opfer staatlicher Todesschwadrone. Die wurden unter der sozialistischen Regierung Gonzalez in den 1980er Jahren aufgestellt. Deshalb war auch die Beteiligung der spanischen Sozialisten (PSOE) an dem Gedenken wichtig. Ernesto Gasco, ihr Sprecher im Gemeinderat, sprach von der "enormen Anstrengungen", die nötig waren, trotz der "Reibungspunkte" alle Opfer gemeinsam ehren zu können. Er beklagte allerdings, dass es bisher unmöglich war, im Gemeinderat gemeinsam eine Erklärung zu den Opfern abzugeben. 


Wie man im fernen Madrid von der Volkspartei (PP) eine Distanzierung vom Putsch der Generäle und von vier Jahrzehnten der Diktatur und die Aushebung aller Massengräber wartet, wartet man bei der PSOE in der Parteizentrale eine Distanzierung von den Todesschwadronen und eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge. Deren Führer haben bisweilen sogar Probleme, Putschversuche zu verurteilen. Zwar wurden die GAL-Verantwortlichen anders als die franquistischen Verbrecher zum Teil sogar vor Gerichten verurteilt, wie auch ein ehemaliger Innenminister und Staatssekretär, aber sie wurden schnell begnadigt. Das war auch der Fall des Guardia Civil General Enrique Rodríguez Galindo, der sogar zu einer Haftstrafe von 75 Jahren verurteilt wurde. Er war federführend daran beteiligt war, dass zwei baskische Jugendliche aus dem französischen Baskenland nach Spanien entführt und zu Tode gefoltert wurden.


Ralf Streck, den 10.12.2012

 

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