“Sentimental und falsch unmittelbar, eine Mischung von Sozialdemokratie und Anarchismus”, urteilte Adorno einmal über Arbeiten des Institutskollegen Erich Fromm: “Ich würde ihm dringend raten, Lenin zu lesen.” Dessen Staat und Revolution zählte er Walter Benjamin gegenüber “zu dem tiefsten und mächtigsten an politischer Theorie”; und noch 1956 kokettierte er im Gespräch mit Horkheimer mit der Idee eines neuen, “streng leninistischen Manifests”.
Diese bolschewistische Emphase, die so gar nicht zum dezidierten
Kritiker der sowjetischen “Fronvögte” zu passen scheint, läßt sich
leicht als biographisches Kuriosum abtun. Nur steht in Adornos
Aufzeichnungen und Briefen der Name Lenin gerade nicht für
‘Marxismus-Leninismus’, nicht also für Diamat, Proletkult und den
Glauben an ‘historische Gesetzmäßigkeiten’ – sondern, wie in den
Debatten der Jahre nach 1917 üblich, für das genau Entgegengesetzte: für
den Bruch mit dem sozialdemokratischen Determinismus und für das
Mißtrauen gegenüber einem sich aus den Verhältnissen naturwüchsig
entwickelnden proletarischen Klassenbewußtsein. Seinen
programmatischsten Ausdruck findet das in der Kritik an Benjamins
Aufsatz über “Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit”, in der Adorno, mit Lenin als Gewährsmann, gegen
dessen “anarchistische” Züge zu Felde zieht. Was in dieser Kontroverse
verhandelt wird, ist alles andere als bloß theoriegeschichtlich von
Bedeutung: das Verhältnis von Kunst, Erkenntnis und
Produktivkraftentwicklung; das Verhältnis der Intellektuellen zu den
proletarischen Massen wie das der proletarischen Massen zur
geschichtlichen Wahrheit; kurz: wie Kritische Theorie es vermag, “den
gesellschaftlichen Hebelpunkt zu entdecken und zu nutzen”, um “mit
minimaler Kraft die unermeßliche Last des Staates zu heben” (Adorno).
Vortrag und Diskussion mit Lars Quadfasel (Hamburg)
Dienstag, 04. Dezember 2012
20.00 Uhr
Nauwieserstraße 19, 66111 Saarbrücken
Es spricht Lars Quadfasel (Hamburg), assoziiert der Hamburger Studienbibliothek (http://studienbibliothek.org/) und der Gruppe Les Madeleines (http://lesmadeleines.wordpress.com/).
Eine gemeinsame Veranstaltung der Linksjugend Saar, Antifa Saar/Projekt AK und der Heinrich-Böll-Stiftung Saar.