Waldbesetzer im Hambacher Forst werden geräumt

Hambacher Forst
Erstveröffentlicht: 
13.11.2012

Berlin (nd). Im von Abbaggerung bedrohten Hambacher Forst hat die Polizei am Dienstagmorgen damit begonnen, ein Camp von Umweltschützern zu räumen. Mehrere Hundertschaften seien im Einsatz, meldete die Polizei. Das Camp wurde abgesperrt. Ziel der Polizeiaktion sei „die friedliche Beendigung der illegalen Besetzung des Geländes", so die Behörden im Rhein-Erft-Kreis. Das Gelände soll nach der Räumung dem Stromkonzern RWE zur Rodung übergeben werden.


Mehrere Hundertschaften sind nach Polizeiangaben auf dem Gelände bei Kerpen-Buir im Einsatz.
Foto: dpa/Ralf Roeger

Die lokale Polizei hat heute morgen um 7.30 Uhr damit begonnen, den von Kohlekraftgegnern besetzten Hambacher Forst im Rheinischen Braunkohlerevier zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach zu räumen. Im Einsatz sind mehrere Polizeihundertschaften. Die Besetzer stehen dem Energieriesen RWE im Weg, der seinen Braunkohletagebau Hambach erweitern und deshalb die Überreste des einst riesigen Waldgebietes roden will.

Leicht machen die Aktivisten der Polizei die Räumung nicht: Ein Teil der Besetzer hat sich in einer Art unterirdischen Tunnel regelrecht vergraben, berichte ein Sprecher der Aktivisten »nd« gegen 10.15 Uhr. »Wenn die Polizei sicher räumen will, muss sie den Tunnel nachgraben, sonst wird es lebensgefährlich«, so der Sprecher der Besetzer. Nach seiner Darstellung ist die Polizei gerade im Begriff, die Besetzer nach und nach in Gewahrsam zu nehmen. Andere Aktivisten hängen mit Seilen in Bäumen – eine Aktionsform, wie sie auch schon bei Widerstandsaktionen gegen Castortransporte zum Einsatz kam.

///UPDATE 13.10 Uhr: Die Besetzer werfen der Polizei vor, Menschenleben zu gefährden. Die Polizei sei darüber informiert worden, welche Bereiche des Waldes untertunnelt seien. Auch wisse die Staatsmacht, dass sich in diesen Tunneln Menschen befänden, heißt es in einer E-Mail an »nd«. »Dennoch fährt die
Polizei in dem Gebiet mit schwerem Gerät herum.« Die Besetzer befürchten, die Fahrzeuge könnten durchbrechen und die Aktivisten im Tunnel zerquetschen oder erschlagen. Die Polizei des Rhein-Erft-Kreises dementierte diese Behauptungen nicht.

Eine Anfrage des »nd« beantwortete ein Sprecher der Behörde ausweichend. Die Polizei sei weiterhin mit der Räumung des illegalen Camps im Hambacher Forst beschäftigt. Dazu setze sie alle erforderlichen Einsatzmittel ein. Bisher sei »nur eine Unterhöhlung bekannt geworden, in der eine Person lokalisiert und identifiziert worden ist. Sie wird derzeit betreut. Darüber hinaus ist die medizinische Betreuung der weiteren noch im Camp befindlichen Personen gewährleistet, da Notarzt und Rettungsdienst vor Ort im Einsatz sind.« Zum derzeitigen Zeitpunkt keine die Polizei keine weiteren Einzelheiten bekannt geben könne.///


Am Vormittag fuhr die Polizei Hebebühnen auf, um der Kletterer habhaft zu werden. Andere Aktivisten hätten sich mit Betonklötzen am Boden verankert, auch das eine bewährte Aktionsform der Anti-AKW-Bewegung. Entsprechend rechnen die Besetzer mit einer »sehr langen« Räumung.

Journalisten und Fotografen werden derzeit nur bis zu einem Parkplatz vorgelassen, der rund 200 Meter vom eigentlich Geschehen gelegen ist. Potenziell solidarische Bürger werden schon früher gestoppt und vom Betreten des Gebietes abgehalten. Nach Polizeiangaben sind mehrere Hundertschaften im Einsatz. Darunter auch »gesondert geschulte Beamte der Bereitschaftspolizei, die Personen aus den Baumhäusern bergen können«.

Die Polizei solle das Camp nicht nur räumen, sondern zudem Beweismittel sichern, heißt es in einer Pressemitteilung. Gegen die Besetzer lägen 100 Strafanzeigen vor: »Die Verfahren werden bei der Staatschutzdienststelle des Polizeipräsidien Köln geführt. Bei den Straftaten handelt es sich unter anderem um Sachbeschädigungen, Hausfriedensbrüche, Beleidigungen, Störungen öffentlicher Betriebe (des Bahnverkehrs in 26 Fällen) und zwei Raub- und einige Nötigungsdelikte.«Die auf zivilen Ungehorsam im größeren Umfang offenbar nicht sehr gut vorbereitete Polizei des Erftkreises glänzte bereits in der Vergangenheit durch eine alles andere als optimale und faktenorientierte Presearbeit. Die Besetzer wiederum werfen der Polizei und eines von RWE angeheuerten Security-Dienstes gewaltsame Übergriffe und die Beschlagnahmung von Fahrrädern vor.

Das Rheinische Braunkohlerevier mit seinen Braunkohle-Tagebauen und Kraftwerken, in denen der Energieträger verstromt wird, ist die klimaschädlichste Region Europas. Sie gilt vielen als Kulminationspunkt des zweiten Energiekampfes, als potenzielles »Wendland der Kohlekraft«. RWE will dort weitere Kraftwerke bauen.

Die Besetzung des Hambacher Forstes begann Mitte April.
Seitdem harren die Besetzer, teils unterstütz durch kurzzeitig Mitdemonstrierende, in dem Waldgebiet aus. Sie haben mehrere Hütten, ein hochgelegtes Plumpsklo, eine improvisierte Dusche und sogar einen »Umsonstladen« errichtet. Am vergangenen Wochenende fanden Konferenzen der Linkspartei »Zur Zukunft des Reviers nach der Kohle« sowie der radikalen Kohlegegner statt (»nd« berichtete).

Nach »nd«-Informationen sind Wiederbesetzungen des Waldgebietes fest eingeplant. RWE wird für die sukzessive Rodung des Waldgebietes noch rund fünf bis zehn Jahre benötigen, mancher glaubt, in diesem Zeitraum böte sich viel Spielraum für erneute Besetzungen.

Bundesweit finden heute Solidaritätsaktionen statt, die sich gegen die Räumung richten. In Berlin findet um 14 Uhr eine Kundgebung vor dem dem Internationalen Handelszentrum in der Friedrichstraße 95 statt. Für 19 Uhr ist eine Demonstration geplant, die vor der Kirche am Lausitzer Platz beginnt. Hamburger treffen sich um 17 Uhr dem Café Knallhart auf dem Uni Campus (Van Melle Park 9). Um 14 Uhr wird in Köln vor der Zentrale der RWE Power AG protestiert, die sich am Stüttgenweg 2 befindet. Menschen aus dem Ruhrgebiet treffen sich um 18 Uhr in der Nähe des RWE-Headquarters, nämlich am Vorderausgang des Essener Hauptbahnhofes. Auch in Osnabrück sind ab 14 Uhr Aktionen vor der dortigen RWE-Zentrale am Goethering geplant.

Auch die regionale Linkspartei solidarisiert sich mit den Waldbesetzern. Die Waldbesetzung habe den vielfältigen Widerstand gegen die weiter Nutzung
der Braunkohle insbesondere zu Verstromungszwecken bereichert, so Peter Singer, Mitglied des Braunkohlenausschusses der Bezirksregierung Köln. »Die Linke.im Kreis und im Braunkohlenausschuss war von Anfang an mit den
Besetzern solidarisch und hat den Versuch, diese zu kriminalisieren, stets zurückgewiesen«, betonte der LINKE-Politiker. RWE zeige durch die Räumung ihren unbedingten Willen, den weiteren Ausbau des Tagebaues gegen alle Widerstände durchzusetzen.