Berlin (nd). Im von Abbaggerung bedrohten Hambacher Forst hat die Polizei am Dienstagmorgen damit begonnen, ein Camp von Umweltschützern zu räumen. Mehrere Hundertschaften seien im Einsatz, meldete die Polizei. Das Camp wurde abgesperrt. Ziel der Polizeiaktion sei „die friedliche Beendigung der illegalen Besetzung des Geländes", so die Behörden im Rhein-Erft-Kreis. Das Gelände soll nach der Räumung dem Stromkonzern RWE zur Rodung übergeben werden.
Die lokale Polizei hat heute morgen um 7.30 Uhr damit begonnen, den
von Kohlekraftgegnern besetzten Hambacher Forst im Rheinischen
Braunkohlerevier zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach zu räumen. Im
Einsatz sind mehrere Polizeihundertschaften. Die
Besetzer stehen dem Energieriesen RWE im Weg, der seinen
Braunkohletagebau Hambach erweitern und deshalb die Überreste des einst
riesigen Waldgebietes roden will.
Leicht machen die
Aktivisten der Polizei die Räumung nicht: Ein Teil der Besetzer hat sich
in einer Art unterirdischen Tunnel regelrecht vergraben, berichte ein
Sprecher der Aktivisten »nd« gegen 10.15 Uhr. »Wenn die Polizei sicher
räumen will, muss sie den Tunnel nachgraben, sonst wird es
lebensgefährlich«, so der Sprecher der Besetzer. Nach seiner Darstellung
ist die Polizei gerade im Begriff, die Besetzer nach und nach in
Gewahrsam zu nehmen. Andere Aktivisten hängen mit Seilen in Bäumen –
eine Aktionsform, wie sie auch schon bei Widerstandsaktionen gegen
Castortransporte zum Einsatz kam.
///UPDATE 13.10 Uhr:
Die Besetzer werfen der Polizei vor, Menschenleben zu gefährden. Die
Polizei sei darüber informiert worden, welche Bereiche des Waldes
untertunnelt seien. Auch wisse die Staatsmacht, dass sich in diesen
Tunneln Menschen befänden, heißt es in einer E-Mail an »nd«. »Dennoch
fährt die
Polizei in dem Gebiet mit schwerem Gerät herum.« Die
Besetzer befürchten, die Fahrzeuge könnten durchbrechen und die
Aktivisten im Tunnel zerquetschen oder erschlagen. Die Polizei des
Rhein-Erft-Kreises dementierte diese Behauptungen nicht.
Eine
Anfrage des »nd« beantwortete ein Sprecher der Behörde ausweichend. Die
Polizei sei weiterhin mit der Räumung des illegalen Camps im Hambacher
Forst beschäftigt. Dazu setze sie alle erforderlichen Einsatzmittel ein.
Bisher sei »nur eine Unterhöhlung bekannt geworden, in der eine Person
lokalisiert und identifiziert worden ist. Sie wird derzeit betreut.
Darüber hinaus ist die medizinische Betreuung der weiteren noch im Camp
befindlichen Personen gewährleistet, da Notarzt und Rettungsdienst vor
Ort im Einsatz sind.« Zum derzeitigen Zeitpunkt keine die Polizei keine
weiteren Einzelheiten bekannt geben könne.///
Am Vormittag
fuhr die Polizei Hebebühnen auf, um der Kletterer habhaft zu werden.
Andere Aktivisten hätten sich mit Betonklötzen am Boden verankert, auch
das eine bewährte Aktionsform der Anti-AKW-Bewegung. Entsprechend
rechnen die Besetzer mit einer »sehr langen« Räumung.
Journalisten
und Fotografen werden derzeit nur bis zu einem Parkplatz vorgelassen,
der rund 200 Meter vom eigentlich Geschehen gelegen ist. Potenziell
solidarische Bürger werden schon früher gestoppt und vom Betreten des
Gebietes abgehalten. Nach Polizeiangaben sind mehrere Hundertschaften im
Einsatz. Darunter auch »gesondert geschulte Beamte der
Bereitschaftspolizei, die Personen aus den Baumhäusern bergen können«.
Die Polizei solle das Camp nicht nur räumen, sondern zudem Beweismittel sichern, heißt es in einer Pressemitteilung.
Gegen die Besetzer lägen 100 Strafanzeigen vor: »Die Verfahren werden
bei der Staatschutzdienststelle des Polizeipräsidien Köln geführt. Bei
den Straftaten handelt es sich unter anderem um Sachbeschädigungen,
Hausfriedensbrüche, Beleidigungen, Störungen öffentlicher Betriebe (des
Bahnverkehrs in 26 Fällen) und zwei Raub- und einige Nötigungsdelikte.«Die
auf zivilen Ungehorsam im größeren Umfang offenbar nicht sehr gut
vorbereitete Polizei des Erftkreises glänzte bereits in der
Vergangenheit durch eine alles andere als optimale und faktenorientierte
Presearbeit. Die Besetzer wiederum werfen der Polizei und eines von
RWE angeheuerten Security-Dienstes gewaltsame Übergriffe und die
Beschlagnahmung von Fahrrädern vor.
Das Rheinische
Braunkohlerevier mit seinen Braunkohle-Tagebauen und Kraftwerken, in
denen der Energieträger verstromt wird, ist die klimaschädlichste Region
Europas. Sie gilt vielen als Kulminationspunkt des zweiten
Energiekampfes, als potenzielles »Wendland der Kohlekraft«. RWE will dort weitere Kraftwerke bauen.
Die Besetzung des Hambacher Forstes begann Mitte April.
Seitdem
harren die Besetzer, teils unterstütz durch kurzzeitig
Mitdemonstrierende, in dem Waldgebiet aus. Sie haben mehrere Hütten, ein
hochgelegtes Plumpsklo, eine improvisierte Dusche und sogar einen
»Umsonstladen« errichtet. Am vergangenen Wochenende fanden Konferenzen
der Linkspartei »Zur Zukunft des Reviers nach der Kohle« sowie der
radikalen Kohlegegner statt (»nd« berichtete).
Nach
»nd«-Informationen sind Wiederbesetzungen des Waldgebietes fest
eingeplant. RWE wird für die sukzessive Rodung des Waldgebietes noch
rund fünf bis zehn Jahre benötigen, mancher glaubt, in diesem Zeitraum
böte sich viel Spielraum für erneute Besetzungen.
Bundesweit
finden heute Solidaritätsaktionen statt, die sich gegen die Räumung
richten. In Berlin findet um 14 Uhr eine Kundgebung vor dem dem
Internationalen Handelszentrum in der Friedrichstraße 95 statt. Für 19
Uhr ist eine Demonstration geplant, die vor der Kirche am Lausitzer
Platz beginnt. Hamburger treffen sich um 17 Uhr dem Café Knallhart auf
dem Uni Campus (Van Melle Park 9). Um 14 Uhr wird in Köln vor der
Zentrale der RWE Power AG protestiert, die sich am Stüttgenweg 2
befindet. Menschen aus dem Ruhrgebiet treffen sich um 18 Uhr in der Nähe
des RWE-Headquarters, nämlich am Vorderausgang des Essener
Hauptbahnhofes. Auch in Osnabrück sind ab 14 Uhr Aktionen vor der
dortigen RWE-Zentrale am Goethering geplant.
Auch die regionale
Linkspartei solidarisiert sich mit den Waldbesetzern. Die Waldbesetzung
habe den vielfältigen Widerstand gegen die weiter Nutzung
der
Braunkohle insbesondere zu Verstromungszwecken bereichert, so Peter
Singer, Mitglied des Braunkohlenausschusses der Bezirksregierung Köln.
»Die Linke.im Kreis und im Braunkohlenausschuss war von Anfang an mit
den
Besetzern solidarisch und hat den Versuch, diese zu
kriminalisieren, stets zurückgewiesen«, betonte der LINKE-Politiker. RWE
zeige durch die Räumung ihren unbedingten Willen, den weiteren Ausbau
des Tagebaues gegen alle Widerstände durchzusetzen.