Auch die von der CSU/FDP vergangene Woche in München eingebrachte neue Vorlage für ein bayerisches Versammlungsgesetz wird demokratischen und antifaschistischen Ansprüchen nicht gerecht. In loser Folge dokumentiere ich einige Texte, die für das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit entstanden sind. Heute: Hintergrundreferat Versammlungsrecht, gehalten am 13.05.2009 bei einer attac Veranstaltung in Reutlingen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,
ich bedanke mich herzlich für Eure Einladung und die Möglichkeit, hier für das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit sprechen zu können.
Als ich vor am 28.Oktober 2008 diesen Vortrag zum ersten Mal hielt, bestimmte seit Wochen vor allem ein Thema die Medienwelt: Die internationale Finanzkrise. Eine halbe Billion Euro wurde damals kurz von der Bundesregierung bereitgestellt, um die Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Und das,
• obwohl angeblich „kein Geld da ist“ und die Menschen in Deutschland es seit Jahren mit einem Sozialkahlschlag ohne Gleichen zu tun haben,
• obwohl oder besser gesagt, weil in Deutschland laut offiziellem Armutsbericht in Folge dessen inzwischen jeder 4. als „Arm“ gilt,
•obwohl die Gewinne der Unternehmen laut Daten des Statistischen Bundesamtes vom 22.02.2007 im Jahr 2007 um 13,96% auf offiziell 585,49 Milliarden € gegenüber einem Zuwachs von 0,71% auf Seiten der Löhne und Gehälter angestiegen sind. 1995 – 2004 kam es so zu einem Reallohnverlust von 0.9 % in Deutschland, was übrigens im Gegensatz zur Entwicklung in den meisten anderen europäischen Ländern steht. (Quelle)
Inzwischen hat sich die Lage wie Ihr wisst deutlich verschärft, und das, obwohl sogenannte „Experten“ nicht müde werden, von einem kurz bevorstehenden Ende der Krise zu fantasieren und glauben machen wollen "wir" hätten angeblich den Boden der Krise erreicht und im nächsten Jahr (urspünglich in der 2. Hälfte dieses Jahres) es bereits wieder aufwärts geht. Aber lassen wir die Spezialisten vom unternehmensnahen Institut des Deutschen Wirtschaft, die angeblich so toll viel Ahnung von Wirtschaft haben, reden. Nicht, daß hier der Verdacht entsteht, ich würde hier nur gewerkschaftsnahen oder gar linken Einschätzungen das Wort reden:
Die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland wird deutlich an Schwung verlieren. Eine Rezession kann allerdings ausgeschlossen werden. Im Jahr 2008 wird das reale Bruttoinlandsprodukt um 1,7 Prozent und im kommenden Jahr um 1,4 Prozent zulegen. [Anmerkung: (heutige Schätzungen für 2009 liegen bei minus 6%!!)] Die Wachstumsraten der Weltwirtschaft sind damit zwar spürbar geringer als in den vergangenen Jahren. Dennoch kann nach wie vor von einem soliden globalen Wachstum gesprochen werden.
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Konjunkturprognose Frühjahr 2008
Bei der 2. Analyse, die zu dem Zeitpunkt entstand, als die 5 größten InvestmentBanken der USA zusammenbrachen, war sicher nur die Kristallkugel der Analysten verstaubt. ("Eine Kristallkugel ist ein traditionelles Hilfsmittel der Zauberkunst und Magie, das zum Hellsehen genutzt wird. Die Glaskugel dient in der Hellseherei als ein Übertragungsmedium.")
Mit der Verschärfung der internationalen Finanzkrise und der damit verbundenen schwächeren Gangart der Weltwirtschaft haben sich die Perspektiven für die deutsche Wirtschaft weiter eingetrübt. (…) Eine Rezession wird für Deutschland aber weiterhin ausgeschlossen. (…) Das deutsche Universalbankensystem erweist sich als robust.”
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Konjunkturprognose 2009
Die Realität ist, dass der Produktionsrückgang in den letzten 3 Monaten von 2008 doppelt so hoch war wie in den ersten 12 Monaten nach dem 24.Oktober 1929. Und heute schreien die gleichen "Experten" nach “Bad Banks”, was nichts anderes bedeutet, als dass "der Steuerzahler" den Schaden bezahlen soll.
Die sogenannte Finanzkrise hat sich längst zu einer die Welt umfassenden Krise entwickelt, die jeden Lebensbereich der Menschen umfasst:
Das Statistische Bundesamt teilte mit, dass die Exporte aus Deutschland im März 2009 gegenüber dem Vorjahresmonat um 15,8% gesunken sind. Es wurden Waren im Wert von ungefähr 70,3 Milliarden ausgeführt. Die Einfuhren sanken ebenfalls und zwar um ungefähr 11,6 Prozentpunkte auf 59 Milliarden Euro. Die entsprechende Außenhandelsbilanz schloss im März des Jahres 2009 mit einem Überschuss von 11,3 Milliarden Euro ab. Im März des letzten Jahres hatte der Saldo in der Außenhandelsbilanz noch ungefähr 16,8 Milliarden Euro betragen. Kalender- und saisonbereinigt lag im März diesen Jahres der Außenhandelsbilanzüberschuss bei 8,9 Milliarden Euro. In dem Zusammenhang interessant: Der Wert der Derivate die "von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit Stichtag Juni 2008 mit 684.000 Milliarden US-Dollar beziffert, was aktuell ungefähr dem zehnfachen Jahres-Bruttosozialprodukt der gesamten Welt entsprechen dürfte. Deren Marktwert wurde von der BIZ indes mit 20,34 Milliarden $ angegeben." (telepolis, 08.05.2009)
Kein Wunder, dass die Bundesregierung bemüht ist, das wahre Ausmaß der Wirtschaftskrise zu verschleiern. In Baden - Württemberg unterschreiten die Steuereinnahmen des Landes den bereinigten zeitanteiligen Ansatz des Haushalts 2009 um 299 Millionen Euro oder 8,1%: Das Lohnsteueraufkommen sei um 4,5 Prozent zurückgegangen, die veranlagte Einkommensteuer ist um 27 Prozent geschrumpft. Wer die Suppe auslöffeln soll ist auch klar: "Der Steuerzahler".
Ich möchte Euch jedoch nicht mit einer weiteren Einschätzung der wirtschaftlichen Lage langweilen. Diese Lage kennt jeder von Euch besser als diese „Experten“. Aber welche Schlüsse ziehen wir daraus? Es wird immer deutlicher, daß die Maßnahmen der Bundesregierung zur Krisenregulierung nicht greifen. Deutlich wird mit der Verlängerung des früher auf 6 Monate begrenzten Kurzarbeitergeld erst auf 12, dann auf die jetzt geltenden 18 Monate bzw. auf die aktuell gewünschten 24 Monate. Und das, obwohl die Bundesanstalt für Arbeit letztes Jahr beinahe kein Geld mehr hatte?
Es ist recht offensichtlich, dass damit vor allem die Widersprüche gedämpft und Kämpfe von Entlassungen bedrohter Belegschaften wie die von Continental, von Mahle und von Federal Mogul verhindert werden sollen. Verhindert werden soll, dass daraus ein Flächenbrand entsteht und dass sich in diesen Kämpfen eine Erkenntnis Bahn bricht: Dass der Traum von einer Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung und die gegenwärtige realen kapitalistischen Zustände sich nicht vereinbaren lassen und es keinen Ausweg aus der Misere für Einzelne gibt. Dass die Beteiligung an Kleinspekulationen, „Privatvorsorge“ usw. kein Ausweg, keine Alternative für die früheren sozialen Errungenschaften ist.
Neben dem DGB Vorsitzenden Michael Sommer haben kürzlich auch andere SPD Mitglieder vor „sozialen Unruhen“ für diesen Fall gewarnt.
Für diesen Fall, soll mit der geplanten Verschärfung des Versammlungsgesetzes vorgesorgt werden. Nach den Plänen der Landesregierung sollte ab 1.1.2009 das bis dahin in allen Bundesländern geltende einheitliche Versammlungsgesetz durch ein neues ersetzt werden, Begründet wurde dasunter anderem mit der durch die Föderalismusreform 2006 vom Bund auf die Länder übertragene Gesetzgebungsrecht für Versammlungen. Eine letztes Jahr vom DGB erstellteUntersuchung, in der das bisher geltende Versammlungsrecht den geplanten Verschärfungen gegenübergestellt wird beweist, dass sich die Pläne der Regierung vor allem gegen zur erwartende Massenkämpfe richten. Das zeigte der Fall des noch auf Grundlage des alten bayerischen Versammlungsrechtes zu einer Geldbuße verurteilten ver.di Funktionärs Orhan Akman:
„Dort traten Angestellte eines Modegeschäftes in Streik. Um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen, wurden vor dem Geschäft sog. Streikposten aufgestellt, die in Flugblättern und mit selbst gefertigten Transparenten die Passanten über ihr Anliegen informierten. Nach den Feststellungen der Polizei, die vor Ort ermittelte und Fotos fertigte, nahmen ca. 15 Personen an der von ver.di organisierten Aktion teil. Zu Zwischenfällen kam es nicht. Der anwesende Staatsschutz bewertete die Streikposten als Versammlung im Sinne des VersG. Gegen den verantwortlichen Funktionär von ver.di wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung gem. § 26 Nr.2 VersG eingeleitet (113 Js 11159/08). Nach den Vorschriften des BayVersG müsste die gewerkschaftliche Aktion 72 Stunden vorher angezeigt werden mit allen Einzelheiten, die neuerdings nach Art.13 erforderlich sind und ungeachtet der Tatsache, dass keinerlei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von ihr ausgingen. Der vorgesehene Leiter müsste sich unter Abgabe seiner persönlichen Daten auf seine 'Geeignetheit' und 'Zuverlässigkeit' überprüfen lassen. Angesichts der Fülle der zu beachtenden Hürden - neuerdings auch schon bei bloß zwei Streikposten - ist voraussehbar, dass die Beschäftigten von der geplanten Aktion Abstand nehmen würden. In der Gesamtheit der Neuregelungen ist nicht mehr abschätzbar, welchen Belastungen und Risiken sich derjenige aussetzt, der sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen will.“
Am 26. Januar 2009 wurde Orhan Akman vom Münchner Amtsgericht wegen Verstoßes gegen § 26 des bayerischen Versammlungsgesetz (Abhalten einer unangemeldeten Versammlung) zu 1600 € Geldstrafe verurteilt. Nun war dies ja eine kleinere Aktion. Sie macht neben den praktischen Folgen auch eines klar: In der europäischen Sozialcharta (Art.6 Ziff. 4) ist eine umfassende Streikgarantie festgelegt.
Bereits im Februar 1998 hat das Ministerkomitee des Europarechts festgestellt, dass die Beschränkung von Streiks auf tarifliche Ziele nicht mit der europäischen Sozialcharta zu vereinbaren ist. Deutschland wurde wegen dieser Beschränkung gerügt. Das hierzulande ohnehin fehlende Recht auf politische Streiks wird durch die Pläne für das neue Versammlungsrecht weiter in Frage gestellt. Der §15 Absatz 3 behandelt das Thema der „Eilversammlungen“. Darunter fallen beispielsweise solche Versammlungen im Zusammenhang mit gewerkschaftlichen Streiks.
Wie soll das zukünftig bei größeren Versammlungen in Baden – Württemberg aussehen?
Bei der der Demonstration anlässlich des europäischen Aktionstages gegen Sozialabbau am 3. April 2004 in Stuttgart waren dort 2.000 Ordnerinnen und Ordner aus Baden- Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Bayern und dem Saarland im Einsatz. Ordner sind Bestandteil der Versammlung. Die Funktion von Ordnern ist, die Versammlungsleitung bei der Organisierung der Versammlung zu unterstützen. Die Entscheidung über ihren Einsatz darf daher nur bei der Versammlungsleitung liegen. Der § 15 Absatz 6 verpflichtet den Veranstalter zur Nennung aller persönlichen Daten für die von ihm eingesetzten Ordnerinnen und Ordner. Die Behörden können Ordner ablehnen, die aus ihrer Sicht ungeeignet sind. So wird bereits in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit eingegriffen. Bisherige Erfahrungen mit behördlichen Auflagen geben Grund zu der Befürchtung, dass damit Versammlungen unmöglich gemacht werden können.
Das Kriterium der "Eignung" von Ordnern ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und bietet Raum für unzulässige Interpretationen. Insbesondere bei Großdemonstrationen ist es darüber hinaus unmöglich, die persönlichen Daten aller Ordner zu erfassen und den Behörden mitzuteilen. Diese Daten dürfen behördlich gespeichert werden und so können Veranstalter durchaus in die Situation dass sich niemand als Ordner zur Verfügung stellt, weil niemand mit seinem Namen in Verbindung mit der Teilnahme der Versammlung gebracht werden will bzw.man den Versprechungen, ihre Daten würden wieder gelöscht, egal ob zu Recht oder zu Unrecht, keinen Glauben schenkt. Ohne Ordner keine Versammlung, und so würde der Veranstalter, sofern er keine Ordner stellt, zumindest eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 15 Absatz 6 begehen. Wer setzt sich diesem Risiko aus?
Schon alleine damit wird deutlich, dass es in dem Gesetz nicht darum geht, Menschen zur Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte zu ermuntern, sondern im Gegenteil alle bürokratischen Register gezogen werden, um sie daran zu hindern.
Der neu eingeführte Begriff Militanzverbot und das Verbot des Tragens gleichartiger Kleidungsstücke geben der Polizei die Handhabe, gegen Versammlungen vorzugehen, wenn diese den Eindruck der Gewaltbereitschaft vermitteln. Die Vermittlung des Eindrucks der Gewaltbereitschaft und Einschüchterung sind allerdings subjektive Begriffe, die einer willkürlichen Auslegung Tür und Tor öffnen. In der Gesetzesbegründung ist aufgeführt, dass entsprechende Kleidung unzulässig ist, auch wenn sie keine paramilitärische Merkmale aufweist, aber einen einschüchternden, den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelnden und den öffentlichen Frieden störende Wirkung haben kann.
Die DGB Synopse stellt zu Recht fest, daß es schwerfällt, einen Begriff im Gesetz zu akzeptieren, der von der Auslegung und der jeweiligen politischen Vorprägung der im Einsatz befindlichen Beamten abhängt:
(…) Die im Zusammenhang mit Streiks eingesetzten Streikposten sind dem Sinne nach zwar keine gewalttätigen Maßnahmen, können aber durchaus eine einschüchternde Wirkung haben. Zum Beispiel auf Streikbrecher, oder bestreikte Unternehmer … Das Tragen roter Kappen oder Helme, Streikwesten oder T-Shirts kann unter das Militanzverbot fallen.“
Nun behauptet die Regierung weiter, dass die geplanten Maßnahmen zum Zwecke der Eindämmung faschistischer Aufmärsche dienen sollen. Gerade in Baden – Württemberg hinterlässt das allerdings schon mehr als ein „Gschmäckle“, wurden hier doch bis vor kurzem Jugendliche, die ein durchgestrichenes Hakenkreuz als Zeichen der Ablehnung des Faschismus getragen haben, kriminalisiert. Wie sieht das aber in Bayern aus? Schon seit dem Jahr 1999 trifft sich die rechte Szene Frankens alljährlich am “Volkstrauertag” im oberfränkischen Gräfenberg, um an die Naziverbrecher des deutschen Faschismus zu erinnern. Am 12. November 2006 marschierten die Parteigänger der Naziszene durch den Ort in der fränkischen Schweiz. Für vorigen Samstag war dann der 39. (!) Aufmarsch der Faschisten angemeldet.
Und als weiteres Beispiel: Ulm und Neu – Ulm. Dort fand am 1. Mai ein Aufmarsch von ca. 500 Faschisten statt. Diese hatten zuvor unter anderem das DGB Haus mit rechten Parolen verschmiert. Weit über 10.000 Menschen protestierten auf die unterschiedlichste Art gegen diese Provokation. Während das Bündnis für Versammlungsfreiheit bei seiner Demonstration am 6.12.2008 die Erfahrung machen musste, dass die Polizei sich einiges zur Behinderung unseres Protestes einfallen ließ konnte in Ulm das genaue Gegenteil beobachtet werden: Dort wurden antifaschistische Proteste mit massenhaften Platzverweisen, mit Wassserwerfer-, Schlagstock- und Pfeffersprayeinsätzen behindert, anwesende Journalisten an ihrer Arbeit gehindert und vieles mehr...
Ich frage mich, warum - wenn eine Verhinderung faschistischer Aktivitäten mit juristischen Mitteln wirklich beabsichtigt wäre - dann nicht über ein generelles Verbot von Versammlungen mit rassistischem, diskriminierendem, kriegsbefürwortendem, faschistischem Inhalt diskutiert wird. In dem Falle könnte auch der neue Paragraph 130 Strafgesetzbuch angewendet werden, nachdem schwer bestraft wird, "wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt." Darum geht es jedoch in dem Entwurf nicht, der statt dessen die "Störung von Versammlungen", deren Behinderung oder den Aufruf dazu verbietet. Die kürzlich von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, VVN erstellte Stellungnahme resümiert daher und belegt die Ulmer Erfahrung:
"Dieser Entwurf eines Versammlungsgesetzes wird weder dem Anliegen gerecht, faschistische Betätigung zu begrenzen, noch modernisiert, verbessert oder erleichtert er Versammlungen im Sinne des Grundgesetzes. Im Gegenteil: Dieses Versammlungsgesetz schränkt ein ohnehin schon beschränktes Grundrecht weiter ein, belegt Veranstalter mit bürokratischen Schikanen, unterwirft VersammlungsteilnehmerInnen zusätzlicher polizeilicher Kontrolle und Sanktionsmöglichkeiten. Er behindert Protest gegen Naziaufmärsche. Statt demokratische Betätigung, Diskussion und Meinungsbildung zu unterstützen stellt dieses Gesetz jeden Bürger, der bereit ist sich öffentlich an den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu beteiligen unter den misstrauischen Verdacht, ein Störer der öffentlichen Ordnung zu sein. Mit diesem Gesetz kann Demokratie nicht gelebt werden. Es erstickt sie!“
Im Vorfeld des Anfang letzten April in Baden-Baden und Straßburg stattgefundenen NATO Gipfels fand der in der Geschichte des Landes bislang größte Polizeieinsatz statt: 15.000 Polizisten wurden angekarrt, angeblich um die Gipfelteilnehmer gegen 600 angeblich gewaltbereite schwäbische „Linksradikale“, die – wie Innenminister Rech im Voraus wußte - durch 6.300 weitere bundesweit bekannte sowie von 3500 internationalen „Extremisten“ unterstützt werden sollten, zu "schützen".
Tatsächlich wurde jedoch die Region Strasbourg in Ausnahmezustand versetzt und hatten die eingesetzten Militär- und Polizeikräfte offensichtlich eher Bürgerkriegsübungen im Sinn als den angeblichen Schutz der Gipfelteilnehmer vor „Terroristen“.
Abgesehen davon, daß allein durch die Wortwahl von vorne herein jeder, der sich für Frieden und die Machenschaften der NATO einsetzt, verteufelt wird, sollen die Veranstalter der Proteste in Zukunft verpflichtet werden „geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen werden. Geeignete Maßnahmen können insbesondere der Aufruf zu Gewaltfreiheit und die Distanzierung von gewaltbereiten Anhängern sein. Vermag die Person, die die Versammlung leitet, sich nicht durchzusetzen, ist sie verpflichtet, die Versammlung für beendet zu erklären.“ So sollen Versammlungsleiter in die Rolle von Hilfspolizisten gezwungen und eine Spaltung entlang der Frage der Protestformen vorangetrieben werden.
Darüber hinaus ist es damit zukünftig einfach, eine Versammlung zu beenden, indem beispielsweise Störer in den Reihen der Demonstranten platziert werden. Diese Praxis machte bekanntlich nicht nur in Heiligendamm von sich reden…
Zusammenfassend: Bei den Gesetzesvorhaben handelt es sich also offensichtlich darum, angesichts der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ein umfassendes Instrument zur willkürlichen Steuerung von Protesten unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen und ihrer Organisationen zu schaffen.
Rolf Gössner, Vize-Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte fasst das zusammen: „Wir erleben eine fatale Entgrenzung staatlicher Gewalten. Wir befinden uns auf dem Weg in einen präventiven und autoritären Sicherheitsstaat.“ An dieser Stelle fehlt leider die Zeit, auf weitere Angriffe auf bürgerlich demokratische Rechte und Freiheiten einzugehen, die in Zusammenhang mit dem Kampf gegen den „Terrorismus“ ins Feld geführt werden, als da wären: Vorratsdatenspeicherung, BKA-Gesetz, die gegenwärtigen Prozesse auf Grundlage der Paragraphen 129, 129a und 129b in Stuttgart - Stammheim, die Diskussion um den Bundeswehreinsatz im Inneren, biometrische Ausweise, usw. usf..
Wir sollten uns jedoch nicht der Illusion hingeben, die aktuellen Gesetzesvorhaben seien das Ende der Wunschliste. Im November 2009 wollen die europäischen Innenminister den neuen 5-Jahresplan für die "Innere Sicherheit" der EU beschließen. Zum dritten Mal (nach dem "Tampere-Programm 1999 und dem "Haager Programm" 2004) wird damit eine derartige Richtlinie europäischer Innenpolitik verabschiedet.
In den letzten Programmen wurden genau die eben erwähnten Maßnahmen standardisiert, mit den wir es aktuell zu tun haben. Aber auch neue, gemeinsame Verschärfungen wurden dort verabredet; etwa die Einrichtung der "Grenzschutzagentur" Frontex, gemeinsame Forschungsprogramme zum Einsatz von Drohnen und Satelliten, Systeme zur "Interoperabilität" (Zusammenarbeit) von Datenbanken etc. I
n einer Wunschliste für den neuen 5-Jahresplan haben die Innenminister nachgelegt und fordern vor allem im Bereich Migrationsabwehr/ Border Management sowie der extensiven Nutzung von Datenbeständen ("Daten-Tsunami") einschneidende Veränderungen. Ebenfalls auf Agenda steht die fortschreitende Verzahnung von Polizei und Militär, wie sie z.B. in der Sicherheitsforschung, aber auch Auslandseinsätzen der Polizeitruppe EUROGENDFOR praktiziert wird.
Dadurch steht im Grunde nicht nur der Kampf für den Erhalt des bisherigen Versammlungsrechtes auf der Tagesordnung – was für sich genommen bereits ein Erfolg wäre – sondern auch für die Aufhebung der zahlreichen Verschärfungen, die in den letzten Jahren bereits eingeleitet bzw. vorgenommen wurden und die Erweiterung der politischen Rechte der Bevölkerung.
Welch breite Kreise sich betroffen sehen, zeigt sich sowohl an der Breite des Stuttgarter Bündnisses, das von inzwischen weit über 100 Organisationen und zahlreichen Einzelpersonen getragen wird. Über 10.000 Menschen sind in Baden – Württemberg inzwischen für Versammlungsfreiheit auf die Straße gegangen. In Freiburg, Mannheim, Konstanz und Tübingen haben sich weitere Bündnisse gebildet, zu den Bündnissen in Bayern und Niedersachsen haben sich Verbindungen und eine Zusammenarbeit entwickelt. Das bewerten wir als einen großen Erfolg und dies war wohl auch mit ein ausschlaggebendes Signal für das Bundeverfassungsgericht, das mit einer Eilentscheidung die Pläne zur Verschärfung des Versammlungsrechts zwar nach wie vor nicht untersagt, aber doch die Sanktionen zu dessen Durchsetzung deutlich erschwert hat:
„Die heutige Eilentscheidung des BVerfG ist eine gute Nachricht für alle, die das Grundrecht der Bürger auf friedliche und möglichst ungehinderte Versammlung für unverzichtbar für die Demokratie halten. Es ist gleichzeitig eine Ohrfeige für die bayerische Mehrheitspartei CSU. Die CSU und die von ihr geführte Staatsregierung mit Innenminister Herrmann wollten den Bürgern durch eine Vielzahl von bürokratischen Schikanen das Demonstrieren schwer machen und alle Versammlungen möglichst lückenlos erfassen und kontrollieren und zwar unabhängig von ihrer Größe und dem Gefahrenpotenzial. Diesem Kontrollwahn ohne konkreten Anlass hat das BVerfG zunächst ein Ende gemacht. Ebenso sind zahlreiche Bußgeldvorschriften vorläufig außer Kraft gesetzt worden. Die zu Grunde liegenden Vorschriften für Teilnehmer, Leiter und Veranstalter sind nach Meinung des BVerfG viel zu unbestimmt und schwammig, so dass die sich versammelnden Bürger der Willkür der Behörden bei der Auslegung der Vorschriften ausgesetzt wären. Das BVerfG hat mit recht darauf hingewiesen, dass es sich um eine Eilentscheidung handelt. Nach der Tradition des Gerichts wird in diesem Eilverfahren nur behutsam in die Kompetenz des Gesetzgebers eingegriffen und nur dann, wenn der festgestellte Gesetzesmissstand offensichtlich ist. Davon ist das BVerfG offenbar ausgegangen. Die Entscheidung über das Bayerische Versammlungsgesetz insgesamt bleibt der Hauptsacheverhandlung vorbehalten. Dr.Hahnzog und Wächtler: Mit der Eilentscheidung hat das Gericht deutliche Hinweise gegeben, dass das Bayerische Versammlungsgesetz in seiner verabschiedeten versammlungs- und demokratiefeindlichen Tendenz keinen Bestand haben wird. Die Entscheidung des BVerfG ist auch ein deutliches Signal in Richtung derjenigen Länder, wie Baden-Württemberg und Niedersachsen, die sich anschicken, dem bayerischen Beispiel zu folgen. Wir gehen davon aus, dass diesen Bestrebungen zunächst bis zur Entscheidung der Hauptsache ein Riegel vorgeschoben ist.“
Es ist nicht davon auszugehen, dass mit dieser Entscheidung alles „gegessen“ ist, denn trotz Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes sind die Pläne zur Verschärfung des Versammlungsrechts nach wie vor nicht zurückgezogen, im Gegenteil:
Die Landesregierung arbeitet zur Zeit an einer neuen Fassung des Entwurfes, der dann in den Landtag eingebracht wird. Wir gehen bis jetzt davon aus, dass auch diese Fassung Verschärfungen beinhalten wird, gegen die ein breiter gesellschaftlicher Protest notwendig sein wird. Wir wollen daher insbesondere auch Euch einladen, mit uns gemeinsam für Versammlungsfreiheit auf antifaschistischer Grundlage zu streiten:
„Die bisherige erste Beurteilung durch ver.di Bayern, SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist einhellig: (…) Der vorgelegte Entwurf setzt einerseits den durch die Verfassungsbeschwerde erreichten Teilerfolg vor dem Bundesverfassungsgericht um. Die CSU, die in der Schlacht um das Versammlungsgesetz keine Gelegenheit ausnutzte, die Arroganz der Macht zu demonstrieren, muss den Teilrückzug antreten und das ist ein Erfolg unserer gewerkschaftlichen und demokratischen Aktivitäten. An vielen Stellen fehlt es aber noch und bleibt der Gesetzentwurf selbst weit hinter den Hinweisen zurück, die sich aus der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgericht über die Hauptsache-Entscheidung ergeben. (…) Und es bleibt dabei, dass wir in Bayern wegen der Föderalismusreform hier an dieser Stelle gerade die Auseinandersetzung für die ganze Republik führen. Deswegen ist es auch selbstverständlich, dass die Verfassungsbeschwerde aufrecht erhalten wird.“ (Erklärung von verdi etc. vom 12.05.2009)Eine etwas genauere Einschätzung wird Euch jetzt Markus Spreitzer geben, der ebenfalls Sprecher des Stuttgarter Bündnisses ist.
Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!