"Land Grabbing" in Deutschland - Energiekonzern vernichtet uralten Wald

Erstveröffentlicht: 
24.10.2012

Von jeher war es Aus­druck und Mit­tel des Kal­küls vor­herr­schen­der ge­sell­schaft­li­cher Kräf­te, un­lieb­sa­me Mei­nun­gen, rand­stän­di­ge Po­si­tio­nen und an­de­re For­men der Wi­der­stän­dig­keit und des Auf­be­geh­rens zu ver­un­glimp­fen oder gar zu dä­mo­ni­sie­ren, in allen Fäl­len aber als "nicht da­zu­ge­hö­rig" dar­zu­stel­len. Das soll den will­kür­li­chen Um­gang mit den un­lieb­sa­men Stö­rern le­gi­ti­mie­ren.

 

Wenn also die Po­li­zei des Rhein-Erft-Krei­ses als Exe­ku­tiv­or­gan eines neo­li­be­ral aus­ge­rich­te­ten Staa­tes aus­ge­rech­net zu Be­ginn einer 150-tä­gi­gen Phase, in der es dem En­er­gie­kon­zern RWE ge­stat­tet ist, im Ham­ba­cher Forst zwecks Er­wei­te­rung des Braun­koh­le­ta­ge­baus Bäume zu fäl­len, eine Pres­se­mit­tei­lung [1] her­aus­gibt,

in der von einer "stei­gen­den An­zahl und In­ten­si­tät der Straf­ta­ten" einer Grup­pe von Wald­be­set­zern die Rede ist, dann ist dies mög­li­cher­wei­se Folge solch eines kal­ku­lier­ten Vor­ge­hens. Jene Wald­be­set­ze­rin­nen und Wald­be­set­zer wol­len ver­hin­dern, daß die ver­blie­be­ne Rest­flä­che die­ses ur­sprüng­lich ein­mal 5.500 Hekt­ar gro­ßen, ur­al­ten Wal­des eben­falls dem Braun­koh­le­ab­bau zum Opfer fällt.

 

Die Po­li­zei be­rich­te­te nun "von drei be­kannt ge­wor­de­nen und an­ge­zeig­ten Straf­ta­ten" al­lein am ver­gan­ge­nen Wo­chen­en­de. Am Frei­tag wurde ein Ar­bei­ter in einem Mulch­fahr­zeug mit Glas­be­häl­tern be­wor­fen und ver­letzt, am Sams­tag wur­den zwei Mit­ar­bei­ter des RWE-Si­cher­heits­diens­tes be­droht sowie mit Pfef­fer­spray besprüht, am Sonn­tag wurde ein RWE-Mit­ar­bei­ter durch eine Stein­wurf am Kopf ver­letzt.

 

Wer für die Taten ver­ant­wort­lich ist, bleibt indes un­klar. Aus Be­set­zer­krei­sen ist zu ver­neh­men, daß sie Ge­walt gegen Men­schen ab­leh­nen und auch nicht vor­ha­ben, von die­ser Ein­stel­lung ab­zu­wei­chen. [2] Die Po­li­zei wie­der­um macht die Be­set­ze­rin­nen und Be­set­zer ver­ant­wort­lich und stützt sich dabei le­dig­lich auf Mut­ma­ßun­gen. So sol­len die Täter obi­ger Vor­fäl­le "un­er­kannt in das Wald­stück des Ham­ba­cher Fors­tes" ge­flo­hen sein.

 

Hier soll­te die Be­to­nung auf "un­er­kannt" lie­gen. Ge­nau­es weiß man of­fen­bar nicht. Und die bloße Rich­tung einer Flucht­be­we­gung sagt noch lange nichts über das Ziel der Flucht aus. Die Po­li­zei soll­te ei­gent­lich wis­sen, daß Flucht­ma­nö­ver oft­mals dazu die­nen, sie auf eine fal­sche Fähr­te zu lo­cken. Warum läßt die Po­li­zei den Ein­druck auf­kom­men, sie ver­fol­ge die von ihr ge­schil­der­ten Ver­ge­hen nicht er­geb­nis­of­fen? Noch gilt in Deutsch­land die Un­schulds­ver­mu­tung als Rechts­ba­sis, auch wenn sie im Zuge si­cher­heits­staat­li­cher Auf­rüs­tung zu­neh­mend un­ter­mi­niert wird.

 

Doch wer den Kon­flikt im Ham­ba­cher Forst auf die Frage re­du­ziert, wer wann wel­chen Stein ge­wor­fen hat, läuft Ge­fahr, den grund­le­gen­den Wi­der­spruch zu über­se­hen zwi­schen einer be­son­ders zer­stö­re­ri­schen Hoch­kon­sum-Le­bens­wei­se, die nur mit­tels einer per­ma­nent ex­zes­si­ven En­er­gie­pro­duk­ti­on auf­recht­er­hal­ten wer­den kann, und dem Be­mü­hen, in Theo­rie und Pra­xis eben jenen de­struk­ti­ven Be­din­gun­gen die Wirk­mäch­tig­keit ab­zu­strei­ten. Was an die­ser Stel­le der ge­sell­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung ein kla­res Nein dazu be­deu­tet, daß ganze Land­schaf­ten weg­ge­ris­sen wer­den, um in rund 400 Me­tern Tiefe ein Ma­te­ri­al ab­zu­bau­en, das sich ver­bren­nen und in Be­we­gungs- bzw. Wär­me­en­er­gie um­wan­deln


läßt, die den ge­sam­ten tech­no­lo­gie­ge­stütz­ten Wirt­schafts­stand­ort Deutsch­land in Be­trieb hält. Man hat es hier gleich­falls mit einem Akt der Zer­stö­rung zu tun, aus der ver­brann­ten Braun­koh­le wird nichts als Asche und Gas. Eine Um­keh­rung der Ver­hält­nis­se ist nicht mög­lich, die Zer­stö­rung bleibt end­gül­tig.

 

Die Asche wie­der­um kann nicht voll­stän­dig aus dem Abgas der Braun­koh­le­kraft­wer­ke her­aus­ge­fil­tert wer­den und be­las­tet Mensch und Um­welt mit Fein­staub und Ur­an­par­ti­keln. Das Gas - Koh­len­di­oxid - da­ge­gen ver­stärkt den Trend der Erd­er­wär­mung; ihm gel­ten in­ter­na­tio­na­le An­stren­gun­gen des Kli­ma­schut­zes. Wis­sen­schaft­li­chen Pro­gno­sen zu­fol­ge wird sich die Erde als Folge vor allem men­schen­ge­mach­ter Treib­haus­ga­se, wie sie im be­son­de­ren Aus­maß den Schlo­ten der Braun­koh­le­kraft­wer­ke ent­wei­chen, im Laufe die­ses Jahr­hun­derts so sehr auf­hei­zen, daß der Mee­re­spie­gel steigt und teils dicht be­sie­del­te In­seln un­ter­ge­hen. Der Per­ma­frost unter an­de­rem der Hoch­ge­bir­ge wird tauen und die Tal­be­woh­ner wer­den ver­mehrt von Schlamm- und Ge­röl­la­wi­nen ge­trof­fen. Gänz­lich neue Kli­ma­zo­nen wer­den ent­ste­hen, in denen weder Tiere noch Pflan­zen exis­tie­ren kön­nen.

 

In den hier ge­nann­ten und noch vie­len wei­te­ren Bei­spie­len wer­den Men­schen aus ihrem an­ge­stamm­ten Le­bens­raum ver­trie­ben. Aber höchst­wahr­schein­lich sind es nicht die Pro­fi­teu­re der Ver­wer­tungs­ord­nung, die die Ver­lus­te er­lei­den, son­dern ihnen stets na­men- und ge­sichts­los blei­ben­de Men­schen in mil­lio­nen­fa­cher Zahl, die nicht meh­re­re Wohn­sit­ze gleich­zei­tig ihr eigen nen­nen und über keine aus­rei­chen­den Mit­tel ver­fü­gen, um die Na­tur­ka­ta­stro­phen­ge­bie­te von mor­gen groß­räu­mig ver­mei­den zu kön­nen.

 

Die Be­set­zung eines Wal­des in der Ab­sicht, an die­ser einen Stel­le einen "Fort­schritt" in die glei­che Rich­tung wie bis­her ver­hin­dern oder we­nigs­tens stö­ren zu wol­len, als ir­ra­tio­nal, ver­spon­nen oder uto­pisch ab­zu­tun, wie es re­gel­mä­ßig in der Be­richt­er­stat­tung der Kon­zern­me­di­en zu ver­neh­men ist, hieße, der Ra­tio­na­li­tät von Raub und Zer­stö­rung das Wort zu reden.

 

Am 4. Ok­to­ber haben die Wald­be­set­ze­rin­nen und -be­set­zer vom En­er­gie­kon­zern RWE eine Mit­tei­lung [3] er­hal­ten, daß ihre Dul­dung vor­bei sei; die Po­li­zei kün­dig­te eine Räu­mung an. Die er­folgt wo­mög­lich schon in den nächs­ten Stun­den oder Tagen. Damit würde wie­der ein­mal eine Chan­ce ver­ge­ben, die En­er­gie­wen­de nicht als blo­ßen In­no­va­ti­ons­schub für einen Ka­pi­ta­lis­mus in grün zu in­stal­lie­ren, bei dem die Braun­koh­le­ver­stro­mung als "Brü­cken­tech­no­lo­gie" noch für viele Jahr­zehn­te fort­ge­schrie­ben wird.

 

 

Fuß­no­ten:

[1] "POL-REK: Wald­be­set­zer des Ham­ba­cher Fors­tes zu­neh­mend un­fried­lich - Ker­pen", 22. Ok­to­ber
2012http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/10374/2348298/pol-rek -wald­be­set­zer-des-ham­ba­cher-fors­tes-zu­neh­mend-un­fried­lich-ker­pen

[2] "RWE und Po­li­zei ver­su­chen, die ei­ge­ne Ge­walt mit un­halt­ba­ren Vor­wür­fen zu le­gi­ti­mie­ren", 22. Ok­to­ber 2012
http://hambacherforst.blogsport.de/2012/10/22/rwe-und-polizei-versuchen-...

[3] "RWE Power hebt die Dul­dung auf", Rhein-Erft-Rund­schau, 4. Ok­to­ber 2012
http://www.rundschau-online.de/rhein-erft/huettendorf-rwe-power-hebt-die...

 

23. Ok­to­ber 2012