Ein Interview von Natalia Gorzawski
Ich treffe Ahmed in den Vereinigten Arabischen Emiraten, nachdem er
ein paar Tage zuvor aus Syrien zurückgekehrt ist um mit ihm über die
Kämpfe zwischen Opposition und Regime in der syrischen Handelsmetropole
Aleppo zu sprechen. Er ist ruhig und überlegt und formuliert jede
Antwort sehr konzentriert und präzise. Aus einem Gespräch zur
Generierung von Hintergrundinformationen für meinen Artikel entwickelt
sich ein fast eineinhalbstündiges Interview, das viele Details über die
Entstehung und Organisation der bewaffneten Opposition preisgibt und im
Folgenden in Ausschnitten zu lesen ist.
Ahmed hat die Anfänge der Revolution in Syrien miterlebt, ist dann aber, wie so viele andere auch im Herbst letzten Jahres ins Ausland geflüchtet. Ein Jahr später hat er sein Land nun noch einmal besucht. Sein Aussehen und Verhalten suggerieren eine besonders strikte und konservative religiöse Auffassung, wie ich sie in Syrien selten erlebt habe. So zitiert er manchmal den islamischen Gelehrten Ibn Taimiya der als geistiger Inspirator des Islamismus und Wahhabismus gilt und von allen meinen muslimischen Freunden als extremistisch abgelehnt wird. Gleichzeitig erlebe ich ihn aber immer als aufgeschlossenen Menschen, der an anderen Sichtweisen interessiert ist, gerne zuhört und die eigene Meinung immer wieder revidiert und überdenkt. Nach einem längeren Besuch in Istanbul erzählte er mir einmal, er wünsche sich für Syrien ein ähnliches politisches System wie in der Türkei.
Deine Heimatstadt liegt in einem der Gebiete, die inzwischen von der
Opposition kontrolliert werden. Wie kam es dort zu der Ausbildung einer
bewaffneten Opposition?
Wie fast überall gab es zu Anfang friedliche Demonstrationen und
Proteste in meiner Stadt. Das Regime hat daraufhin immer wieder
nächtliche Razzien durchgeführt und Menschen festgenommen. Normalerweise
sind sie in etwa sieben oder acht Häuser pro Nacht eingedrungen. Dabei
handelte es sich bei den Festnahmen meist nicht einmal um Aktivisten
oder Demonstranten. Mein Cousin wurde zweimal für jeweils einen Monat
ins Gefängnis gesteckt. Dabei war es nicht er, sondern sein Bruder, der
gesucht wurde. Das zweite Mal haben sie dann übrigens auch den Vater
mitgenommen. Im Herbst letzten Jahres fingen die Menschen vor Ort dann
an, sich zu organisieren und zu bewaffnen um solch willkürliche
Festnahmen zu verhindern.
Wer waren die Menschen, die sich zuerst in einer bewaffneten Gegenwehr organisiert haben?
Der wohl wichtigste Kämpfer aus meiner Stadt ist inzwischen einer der
Führungspersonen im Kampf in Aleppo. Sie nennen ihn Haji. Die Anführer
der Kämpfer werden immer nach ihrer Stadt benannt. Normalerweise Haji
„von dieser oder jener Stadt“. Unser Haji hat also eine bewaffnete
Gruppierung organisiert und mehr und mehr Menschen haben sich ihm
angeschlossen. Mit der Zeit haben praktisch alle, die Führungsqualitäten
besitzen, angefangen bewaffnete Gruppierungen zu organisieren. Später
wurden all diese Gruppierungen in der sogenannten Tawhid-Brigade
zusammengefasst. Aber davor gab es viele verschiedene, die relativ
unabhängig voneinander geplant und operiert haben. Irgendwann haben sie
angefangen, gezielt gegen das Regime zu kämpfen. Zuerst wurden
Operationen zur Befreiung meiner Heimatstadt durchgeführt. Danach wurde
der Kampf auf nahe gelegene Gebiete ausgeweitet. Sie haben wohl vor
allem Polizeistationen angegriffen.
Wie kam es im Verlauf dessen zu dem Zusammenschluss dieser Gruppierungen in der Tawhid-Brigade?
Im Laufe der Zeit kam es zu Problemen. Manche Gruppierungen haben ihre
Waffengewalt genutzt, um den Kampf gegen das Regime auf persönliche
Auseinandersetzungen oder zur Profitanreicherung auszuweiten. Um diesen
Entwicklungen ein Ende zu setzen, wurde die Tawhid-Brigade gegründet, in
der alle kleineren Gruppierungen der Region in einer klar organisierten
Struktur zusammengefasst wurden. So konnten diese Entwicklungen
gestoppt werden. Vor etwa zwei Monaten haben sie sich dann dazu
entschlossen den Kampf auf Aleppo auszuweiten. Es gibt dazu ein
Statement auf Youtube, in dem dies offiziell erklärt wird.
Wie steht die Bevölkerung zu den Entwicklungen?
Denjenigen, die von Anfang an auf Seiten der Revolution standen ist es
egal. Natürlich sehen auch sie die Schwierigkeiten, die mit dieser
Situation verbunden sind, aber sie nehmen das in Kauf. Es gibt aber auch
andere, die sich beschweren. Ein paar sind natürlich unzufrieden mit
der Situation und ich glaube niemand kann ihnen Vorwürfe machen. Es
macht ihnen auch niemand einen Vorwurf. Es ist wirklich schwierig
geworden. Aber es scheint, dass dies der einzige Weg war. Irgendwie muss
diese Situation zu einem Ende kommen und friedlich hat es ganz
offensichtlich nicht funktioniert.
Mit welchen Schwierigkeiten haben die Menschen in deiner Heimatstadt zu kämpfen?
Mit den Schwierigkeiten des alltäglichen Lebens. Alles ist unglaublich
teuer geworden. Ich war ein Jahr lang nicht in Syrien und alle Preise
haben sich verdoppelt, meist sogar verdreifacht. Ein Brathühnchen hat
z.B. 200 Syrische Pfund (SYP) gekostet, jetzt kostet es 500 SYP. Die
Dieselpreise haben sich verfünffacht. Benzin vervierfacht und die Preise
für Gas zum Kochen sind um das siebenfache gestiegen. Es gibt außerdem
gravierende Versorgungsengpässe. Als ich da war, gab es fast keine
Früchte. Das lokal angebaute Gemüse und die Früchte sind nicht viele, da
vorher fast alles über Aleppo geliefert wurde. Als ich da war, hat sich
eine klare Versorgungskrise angedeutet. Anscheinend sind jetzt aber
Hilfsgüter geliefert worden. Wahrscheinlich über die Türkei. Inzwischen
hat das Regime auch angefangen die Gebiete vermehrt zu bombardieren. In
Azaz wurden so um die 40 Menschen getötet und auch in meiner Stadt kommt
es fast täglich zu einzelnen Luftangriffen. Die Situation wird ernster
und die Menschen fliehen vermehrt Richtung Türkei. Viele warten schon
jetzt an der Grenze darauf, dass sie rüber können. Aber die türkische
Seite muss erst ein Flüchtlingslager fertigstellen. Anscheinend sind
Tausende dort. Die von der FSA kontrollierten Gebiete in Aleppo sind
inzwischen fast ganz verlassen. Die meisten Menschen sind ins Umland
oder auch Richtung Türkei geflüchtet. Irgendwann wird es wohl niemanden
mehr geben, der sich beschweren kann.
Wer kontrolliert inzwischen die Stadt und wie organisiert sie sich?
In meiner Stadt gibt es sieben oder acht Kommandostellen der FSA. Sie
treffen sich dort und viele schlafen auch dort. Außerdem ist die
Medienzentrale dort angesiedelt. Bei manchem weiß ich nicht genau wie es
funktioniert, aber grundsätzlich sind fast alle aus meiner Stadt auf
Demonstrationen gegangen oder haben diese unterstützt. Das heißt auch
diejenigen, die für die Stadt gearbeitet haben. Sie haben dann nach der
sogenannten Befreiung ihren Job fortgeführt. Die Wasserversorgung zum
Beispiel. Es gibt nicht die ganze Zeit fließend Wasser- im Sommer
normalerweise nur etwa 3-4 Stunden alle zwei Tage. Aber es sind die
gleichen Arbeiter die dafür sorgen, dass wir Wasser haben. Ähnlich läuft
es mit der Müllabfuhr. Der Müllwagen ist ja immer noch da, der Platz
zur Lagerung auch und so übernehmen eben die gleichen Arbeiter diesen
Job. Bei der Elektrizität bin ich mir nicht sicher. Ich weiß nicht, ob
das Regime die Versorgung komplett zerstören kann. Als ich da war gab es
jeweils für drei bis vier Stunden Elektrizität und dann wieder für drei
bis vier Stunden keine. Ich weiß auch nicht, was mit den Schulen
passiert. Derzeit sind Sommerferien und ich glaube nicht, dass sie
danach öffnen werden. Ich glaube, dass die fehlenden Gehälter mit der
Zeit von der FSA ausgezahlt werden. Die Kämpfer bekommen schon jetzt
einen kleinen Lohn. Nicht viel, aber es reicht zum Überleben und ich
denke, wenn die Stadtangestellten Gehälter brauchen um ihre Arbeit
fortzuführen, wird die FSA vermehrt dafür aufkommen. Es gibt außerdem
ein Gefängnis für diejenigen die während der Kämpfe gefangen genommen
werden, für Shabihas (Anm: die sogenannten Shabiha sind eine regimegetreue Miliz, die zur Unterdrückung der Proteste eingesetzt wurde)
aber auch einfach Leute, die Probleme machen. Dabei gibt es ein
Komitee, bestehend aus drei Personen. Einer davon ist eine religiöse
Persönlichkeit und einer ein Anwalt. Dieses Komitee fällt dann ein
Urteil über die Gefangenen. Ich glaube das ist auch ein Zeichen dafür,
dass in den Köpfen der Menschen immer noch der Kampf für ein gerechtes
demokratisches System gegenwärtig ist. Auch wenn die Rechtssprechung
eine gewisse religiöse Grundlage nutzt.
Wie setzt sich die Tawhid-Brigade zusammen und wie ist sie strukturiert?
Die Tawhid-Brigade ist vornehmlich ein Zusammenschluss der bewaffneten
Gruppierungen aus den nördlichen Vororten Aleppos und bildet die Freie
Syrische Armee (FSA) in diesen Gebieten. Die meisten sind aus der
Region, aber es gibt auch einige desertierte Soldaten. Ich habe welche
aus Homs, Daraa und Deir al-Zour getroffen. Die Führung liegt bei
jemandem mit dem Namen Abu Juma. Er ist der Führer des
Revolutionskomitees in Aleppo und den ländlichen Gebieten um Aleppo
herum. Er ist so um die 50, aber es gibt auch Jüngere in der
Führungsrige. Die meisten sind weithin respektierte Persönlichkeiten
der Region. Es gibt aber auch welche, die nicht besonders respektiert
sind, die organisatorischen Strukturen sind jedoch so aufgebaut, dass
sie durch höhergestellte Anführer kontrolliert werden. Und Abu Juma ist
nicht auf einen persönlichen Gewinn aus, er ist einfach überzeugt, dass
er etwas gegen dieses Regime unternehmen muss.
Wie groß ist die Tawhid-Brigade?
Ich weiß nicht genau wieviele Kämpfer es sind, aber aus meiner Stadt
gibt es ca. 500. Außerdem gibt es viele, die sich dem Kampf anschließen
wollen. Allerdings gibt es einfach nicht genügend Kalaschnikows. In
meiner Stadt warten derzeit knapp 700 Männer darauf, sich dem
bewaffneten Kampf anzuschließen, um in Aleppo mitzuhelfen. Wer schon
dort ist, arbeitet in Schichten. Das heißt, die Einheiten in Aleppo
wechseln sich ab, kommen immer wieder zu den Stützpunkten in ihren
Heimatorten zurück, während andere ihre Posten übernehmen. Grundsätzlich
heißt es inzwischen, wenn du eine Waffe besorgen kannst, wirst du
aufgenommen.
Gibt es eine Koordination mit anderen Brigaden der Freien Syrischen Armee und bewaffneten Gruppierungen der Opposition?
Inwieweit es eine Koordination mit anderen Städten gibt weiß ich nicht.
Aber es gibt wohl einen anderen Offizier, der Kämpfe in Aleppo
koordiniert. Ein ehemaliger Offizier, der zur Opposition übergelaufen
ist. Und soweit ich weiß gibt es eine Koordination zwischen ihm und der
Tawhid-Brigade. Außerdem gibt es eine klare Organisations- und
Koordinationsstruktur zwischen den Kämpfern in den nördlichen und den
Kämpfern in den westlichen Gebieten um und in Aleppo. So wurden z.B.
Trainingscamps für diejenigen eingerichtet, die noch nie eine Waffe in
der Hand hatten, sich aber der Freien Syrischen Armee anschließen
wollen. Zu diesem Trainingscamp sind dann auch viele aus anderen
Gebieten geschickt worden. Ansonsten gibt es ja auch immer Sprecher der
Brigaden, die sich über Skype, Facebook etc. austauschen. Die
Koordination innerhalb der Tawhid-Brigade findet vornehmlich über
türkische Internet- und Telefonanbieter statt. Ich denke Aleppo ist in
der Hinsicht ein ziemlich luxuriöser Standort, da die Stadt nahe der
Grenze gelegen ist und die Türkei eindeutig die Revolution unterstützt.
In Homs z.B. ist das schwieriger. Es gibt kaum Informationen, obwohl die
Stadt seit knapp 80 Tagen belagert ist. Der Fokus der Medien richtet
sich inzwischen auf Damaskus und Aleppo. Dabei gibt es immer noch
Familien in Homs, auch wenn viele die Stadt verlassen haben. Aber es
gibt noch ein paar - und natürlich Kämpfer.
Wie sieht es in den Gebieten Aleppos aus, die inzwischen von der FSA kontrolliert werden?
Sie kontrollieren einen großen Teil Aleppos. Anscheinend den größten
Teil. Sie haben Checkpoints in den Straßen und organisieren das
Zusammenleben der dort Verbliebenen. Zum Beispiel die Schlangen vor den
Bäckereien. Gleichzeitig geraten sie immer wieder unter Beschuss. Gegen
die Luftangriffe des Regimes sind sie machtlos.
Wie sieht es in den umkämpften Gebieten derzeit aus?
In anderen Gebieten gibt es noch Sicherheitsleute des Regimes und dort
kommt es dann immer wieder zu Gefechten. Sie haben außerdem angefangen
und es soweit ich weiß auch größtenteils geschafft, die Shabiha-Miliz zu
beseitigen. Es gibt dieses Video, in dem eine wichtige
Shabiha-Gruppierung umgebracht wird. Sie wurden für die Art und Weise
heftig kritisiert. Es gab außerdem noch weitere Zwischenfälle. Es heißt,
dass sie es geschafft haben den Großteil der Shabiha umzubringen.
In den Medien wird immer wieder von ausländischen Extremisten
berichtet, die nach Aleppo ziehen um den Kampf dort zu unterstützen.
Hast du davon etwas mitbekommen?
Die meisten Kämpfer kommen aus dem Umland Aleppos, aber es gibt auch
desertierte Soldaten aus anderen Städten. Ich selbst habe keine
Ausländer getroffen, aber von einem gehört. Ein Russe, der wohl
unerfahrene Kämpfer im Umgang mit der Waffe geschult hat. Aber ich
glaube nicht, dass viele da sind. Ich denke auch eher, dass sie als
Individuen kommen. Bei meinen Besuchen der FSA-Stützpunkte habe ich aber
weder von welchen gehört, noch welche gesehen.
Wie stehen die Menschen zu diesen ausländischen Kämpfern?
Es wird nicht wirklich darüber geredet oder diskutiert. Die Menschen haben bisher keinen Kontakt zu ihnen gehabt.
Glaubst du, dass sie Syrien wieder verlassen werden, wenn das Regime gestürzt ist?
Ja, auf jeden Fall. Sie kommen für den Djihad, um ihre Brüder und die
Menschen zu unterstützen und dabei zu helfen, das Regime zu stürzen. So
wie eben auch Syrer in den Irak gezogen sind um gegen die Amerikaner zu
kämpfen. Ich kenne zwei aus Aleppo, aber auch aus meiner Heimatstadt ist
damals jemand in den Irak gezogen.
Wie organisieren sich die Kämpfer in Aleppo? Wie werden sie versorgt?
Sie bekommen etwas lokale Unterstützung. Aber am wichtigsten ist wohl,
dass die kontrollierten Gebiete an die Zufahrtsstraße in die ländlichen
Gebiete angrenzen. So können die Kämpfer mit Essen und anderen Gütern
aus den befreiten Gebieten versorgt werden. Es gibt wohl auch einige,
die wirklich aus Aleppo sind. Aber die meisten, die den Kampf
unterstützen sind ursprünglich aus den Städtchen und Dörfern der
Umgebung. Sogar die wenigen Demonstrationen, die es zuvor in Aleppo gab,
waren vornehmlich von diesen Bewohnern organisiert.
Warum gab oder gibt es bisher keine großflächige Unterstützung für die Revolution durch die Bewohner Aleppos?
Ich weiß es nicht genau. Ahmad Zaidan, ein Aljazeera-Korrespondent der
in Aleppo war, hat berichtet, dass es dort 170.000 Shabiha gab, und dass
deren Anwesenheit die Menschen davon abgehalten hat auf die Straße zu
gehen. Das ist ja eine recht große Anzahl und ich weiß nicht, wie er auf
die genau kommt. Lassen sich ja schwer zählen. Aber es stimmt, dass sie
Shabiha zu den wichtigen Moscheen geschickt haben. Die
Ummayaden-Moschee in Aleppo zum Beispiel. Dort sollen so um die 400
gewesen sein. Ich war selbst einmal auf einer Demonstration in Aleppo.
Das war im Mai letzten Jahres. Ich bin mit fünf oder sechs meiner
Cousins hingefahren. Der Protest war vorher abgesprochen und so
koordiniert, dass es nach dem Abendgebet eine Demonstration in einer
Wohngegend namens Midan geben sollte. Wir haben also gebetet, sind dann
raus ins Dunkel und haben angefangen zu rufen. Das ging etwa fünf
Minuten, dann ist ein Truck voller Shabiha gekommen. Sie hatten
Schlagstöcke, Messer und so weiter und wir sind alle weggerannt. Sie
haben drei oder vier geschnappt, aber die haben natürlich geleugnet,
wegen der Demonstration dort gewesen zu sein. Ein Freund von mir hat
gesagt, er wäre dort gewesen um seinen Videorekorder nach einer
Reparatur abzuholen. Grundsätzlich hat das Regime also schon verstärkt
versucht Proteste und Demonstrationen in Aleppo zu unterbinden. Ich
glaube ein anderer wichtiger Punkt ist die gesellschaftliche Struktur in
so großen Städten wie Aleppo und Damaskus. Die Menschen dort kennen
sich nicht besonders gut. Das macht eine Koordination schwieriger und
die Menschen haben mehr Angst. In jener Nacht in Aleppo habe ich
niemanden um mich herum gekannt und natürlich fühlt man sich da weniger
sicher. In kleinen Städten oder tribal geprägten Gebieten ist das
anders.
Was will die bewaffnete Opposition in Aleppo oder mit der Eroberung Aleppos erreichen?
Aleppo ist eine bedeutende Stadt. Sie wollen Aleppo befreien, um dann
von dort aus den Kampf um andere Städte in Syrien zu organisieren. Das
Problem ist, dass die internationale Gemeinschaft, die UN, Amerika oder
Europa. nicht gewillt ist, irgendwas zu unternehmen. Die Menschen müssen
erst 75 oder 90 Prozent selbst erkämpfen. Inzwischen interessiert es
die Revolutionäre und Kämpfer auch gar nicht mehr, was auf
internationaler Ebene passiert. Sie denken nicht darüber nach, was
Amerika tut oder nicht tut, sie wollen nicht einmal mehr etwas davon
hören. Ansonsten haben sie versucht, die Kontrolle über
Sicherheitsstationen in Aleppo zu erhalten und die Shabiha auszumerzen.
Sie wollten Aleppo sozusagen intern „säubern“. Also der grundlegende
Gedanke war glaube ich erstmal, Aleppo zu einem sicheren Ort für die
Revolutionäre zu machen.
Wie siehst du die Kämpfe in Aleppo?
Grundsätzlich läuft es ganz gut, außer natürlich die Zerstörung der
Wohngebiete durch die Angriffe des Regimes. Es stimmt, dass die Freie
Syrische Armee in die Gebiete gegangen ist um die Kontrolle zu
übernehmen, aber ich glaube trotzdem dass die Hauptschuld beim Regime
liegt. Es kann doch nicht sein, dass sie reagieren, indem sie Wohnhäuser
und Menschenschlangen vor Bäckereien bombardieren.
Glaubst du, dass die Bewohner Aleppos die Freie Syrische Armee
großflächig unterstützen werden oder zumindest akzeptieren, sollten sie
die Vorherrschaft über Aleppo erlangen?
Ich glaube, das hängt davon ab wie sich die Dinge entwickeln. Ich habe
heute gehört, dass es ein Treffen zwischen der Türkei und den USA gab,
bei dem über die Einrichtung einer Flugverbotszone diskutiert wurde. In
einem solchen Fall würde sich Aleppo zu einem Rückzugsort oder einer
militärischen Basis entwickeln, von der aus Operationen und Angriffe
geplant und durchgeführt werden könnten. In diesem Fall gäbe es ja eine
internationale oder zumindest regionale Unterstützung und eine aktive
Unterstützung dieser Gebiete wäre nicht mehr so wichtig.
Es wird immer mehr von einem Konflikt zwischen Sunniten und Alawiten
gesprochen. Wie gestalten sich diese religiösen Auseinandersetzungen in
und um Aleppo herum?
In Aleppo gibt es praktisch keine Alawiten. Wir haben allerdings zwei
schiitische Dörfer an der Straße zwischen Aleppo und Azaz. Die stehen
auf Seiten des Regimes und wurden mit Waffen versorgt, noch bevor die
Revolutionäre sich bewaffnet haben. Soweit ich weiß, haben einige von
ihnen dem Regime bei der Unterdrückung von Demonstrationen und Protesten
in Aleppo und dem Umland geholfen. Ich weiß nicht, was mit ihnen
passieren wird. Theoretisch kann das aber von den Führern der
Tawhid-Brigade kontrolliert werden. Wenn sie eine bestimmt Richtung
vorgeben, würden die Menschen sich dem unterwerfen.