Nordirische Politiker unter Terrorverdacht- Schatten des Bürgerkriegs

Erstveröffentlicht: 
14.07.2012

War Sinn-Fein-Chef Gerry Adams einst IRA-Kommandeur, befahl er gar Morde? Das wird auf vertraulichen Tonbändern behauptet, über deren Freigabe ein erbitterter Streit entbrannt ist. Die Bänder könnten auch andere Top-Politiker unter Terror- und Mordverdacht bringen.

 

Boston/Belfast - Die Tonbänder haben das Potential, in Nordirlands Politik wie eine Bombe einzuschlagen. Es geht um Mitschnitte von Interviews mit ehemaligen nordirischen Terroristen aller möglichen Gruppierungen, aufgenommen zwischen 2001 und 2006 von einer Gruppe von Journalisten und Forschern des Boston University Belfast Project. Gewährt unter dem Siegel absoluter Vertraulichkeit und unter der Auflage, sie vor dem Tode der Involvierten nicht zu veröffentlichen.


Ein Versprechen, das ein Bundesgericht in den USA - dem Wunsch der nordirischen Polizei PSNI folgend - in der letzten Woche zur Makulatur machte.

Die hatte sich im Frühjahr 2011 an die Universität Boston gewandt, wo die zu Forschungszwecken erstellten Bänder archiviert liegen, und die Herausgabe zunächst eines bestimmten Bands verlangt. Es geht konkret um den Mitschnitt eines Interviews mit der Ex-Terroristin Dolours Price, die wegen Mittäterschaft bei einem Bombenanschlag mehrere Jahre in Haft war.

 

Der Anlass: Mordbefehl von Gerry Adams?


Im Februar 2010 hatten Price und ihr Ex-Komplize Brendan Hughes öffentlich behauptet, Sinn-Fein-Parteichef Gerry Adams sei ihr "befehlshabender Offizier" in der IRA gewesen. Als solcher habe er 1972 auch die Ermordung der unter Informantenverdacht stehenden Jean McConville angeordnet. Adams bestritt beide Vorwürfe vehement. Price und er sind sich spinnefeind, weil sie mit seinem Friedenskurs nicht übereinstimmte. Versuchte hier nur eine Ex-Terroristin, dem Mann zu schaden, der die IRA mit entwaffnet hatte?

 

Möglich, doch der Vorwurf gegen Adams stand im Raum. Im Frühjahr 2011 klagte die PSNI daraufhin auf Herausgabe des Price-Interviews. Die Organisatoren des Boston College Belfast Project wehrten sich und verloren in erster Instanz. Nun scheiterten sie auch in der ersten von bis zu vier möglichen Berufungsinstanzen, dem First Circuit US Federal Appeals Court. Der renommierte irische Journalist Ed Moloney, einst Leiter des Interviewprojektes, kündigte umgehend an, sofort wieder in Berufung zu gehen.

 

Moloney und seine Mitstreiter hatten schon im Frühjahr die Vernichtung der Bänder angeregt, um ihre Überstellung an Fahndungsbehörden zu verhindern. Ihr Projekt war als wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung eines der düstersten Kapitel der anglo-irischen Geschichte einst auch von nordirischen und britischen Autoritäten begrüßt und unterstützt worden. Dass die Ergebnisse nun im offenen Bruch mit allen gegebenen Versprechen genutzt werden sollen, unterminiere auch vergleichbare Projekte, argumentiert die Universität Boston. Tatsächlich wurde ein Projekt einer Londoner Universität, in dessen Rahmen sich Sicherheitskräfte, Ex-Polizisten und -Geheimdienstler vertraulich äußern sollten, nach der PSNI-Klage schon eingestellt.

 

Für die Organisatoren des Belfast-Projektes geht es um Glaubwürdigkeit, Zeugenschutz und darum, künftige, ähnlich kontroverse Forschungsprojekte nicht unmöglich zu machen. Aber nicht nur: Sie warnen auch davor, dass die Interviews alte Gräben neu aufreißen und den Frieden in Nordirland gefährden könnten. Dort ist der Vorgang tatsächlich ein Politikum erster Güte. Die Bänder könnten eine erhebliche Zahl von Personen gefährden, darunter eben auch Prominente aus den Top-Etagen der nordirischen Politik in beiden Lagern (siehe Fotostrecke).

Denn Grund zur Sorge haben nicht nur die Interviewten, die sich mit ihren Aussagen selbst belastet haben könnten, sondern auch die, die auf den Bändern möglicherweise von ihnen erwähnt werden. Schätzungen zufolge waren über die Zeit des Konfliktes über 40.000 Protestanten und über 10.000 Katholiken in paramilitärische Organisationen involviert.

 

Die meisten Verdächtigen sitzen in den heutigen Regierungsparteien


Es gibt zwei martialische Fotos, die die Risiken, die der seit 1998 mehr oder minder überwunden geglaubte Nordirland-Konflikt noch immer birgt, symbolisch illustrieren. Das eine zeigt den derzeitigen nordirischen, protestantischen Regierungschef Peter Robinson, wie er mit einem AK-47-Sturmgewehr posiert. Das andere zeigt seinen jetzigen katholischen Stellvertreter Martin McGuinness im Profil, mit gestreckten Armen eine Pistole auf ein Ziel richtend.

 

Beide Bilder sind alt, die Männer darauf jung. Heute repräsentieren sie in der gemeinsam geführten Regierung ihre Lager und bringen die so zusammen - eine Grundbedingung für den Frieden in Nordirland. Als die Bilder aufgenommen wurden, waren sie erbitterte Gegner, standen am radikalen Ende ihres jeweiligen politischen Lagers.

 

Robinson war drei Jahrzehnte lang die Nummer zwei hinter Protestantenführer Ian Paisley, dessen Kirche und Partei beste Kontakte zu den loyalistischen Paramilitärs nachgesagt wurden. Mit Peter Robinson zusammen machte er gleich zweimal - 1981 und 1986 - den zeitweilig erfolgreichen Versuch, eigene paramilitärische Milizen zu gründen. Die Organisation und Teilnahme am Überfall eines protestantischen Mobs auf ein irisches Dorf und die dortige Polizeistation brachte Robinson 1986 eine Verhaftung ein. Durch Zahlung einer Geldstrafe von 17.500 Pfund konnte er einer Gefängnisstrafe entgehen.

 

Martin McGuinness hingegen soll ein Top-Mitglied der Provisional IRA und angeblich Mitglied deren Generalstabs gewesen sein. Er bestreitet bis heute, dass er je Chef der berüchtigten Truppe war - weit darunter lag sein Rang aber wohl kaum. Gerry Adams schließlich, der langjährige Parteiführer der zumindest IRA-nahen Sinn Fein, bestreitet sogar, dass er überhaupt je Mitglied der "Provos" war, wie die aktiven Kämpfer genannt wurden.

Nur wenige wissen bisher, was die an der Boston University weggeschlossenen Bänder noch alles enthalten und wen sie alles belasten. In Erklärungsnöte bringen könnten die Mitschnitte aber die heute maßgeblichen politischen Kräfte im Lande: Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der Friedensschluss die gemäßigten Parteien politisch bedeutungslos und die einst als radikale Parteien gesehenen DUP und Sinn Fein mehrheitsfähig machte.

 

Wer also in der Vergangenheit der heute wichtigsten Protagonisten der Politik in Nordirland gräbt, hat beste Chancen, auf düstere Kapitel zu stoßen. Die meisten waren auf die eine oder andere Art Akteure in einer langen, düsteren Periode, die bis heute ihre Schatten wirft.