Freiburger Landgericht spricht Ortenauer Neonazi vom Vorwurf des versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung frei.
Von Dirk Farke
Unfassbarkeit in den Gesichtsausdrücken des bis auf den letzten Platz gefüllten Zuschauerbereiches im Freiburger Landgericht gab es heute während der Urteilsverkündung gegen den bekannten Neonazi Florian S. „Das darf doch wohl nicht wahr sein“, entfuhr es sogar einer Zuhörerin, die vom äußeren Erscheinungsbild sicher nicht zu den zahlreich anwesenden Vertretern aus der linken Szene gehörte.
„In dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten) gilt in Deutschland auch für Neonazis“, versuchte die Vorsitzende der Strafkammer, Eva Kleine-Cosak, gestern ihren Freispruch zu rechtfertigen. Auch gebe es schließlich kein Gesinnungsstrafrecht in der Bundesrepublik.
Nicht nur die zahlreichen interessierten Zuhörer im Gerichtssaal würden dieser Aussage der Vorsitzenden Richterin nach der Urteilsbegründung wahrscheinlich entschieden widersprechen. Auch der Staatsanwalt und die beiden Rechtsvertreter der Nebenkläger meinten wohl eher, wie ihrer Mimik und Gestik bei der Verlesung des Urteils unschwer zu entnehmen war, in der falschen Veranstaltung zu sitzen. Staatsanwalt Florian Rink hatte in seinem Plädoyer eine Haftstrafe von drei Jahren wegen versuchten Totschlages und gefährlicher Körperverletzung für Florian S. gefordert. Der war, wie berichtet, am 1. Oktober vergangenen Jahres auf einem Parkplatz in der Kaiserstuhlgemeinde Riegel mit Vollgas in eine fünfköpfige Menschengruppe gerast. Ein junger Mann konnte nicht mehr beiseite springen und wurde lebensgefährlich verletzt.
„Der gleiche fruchtbare Schoß...“
Der Anwalt der Nebenkläger Jens Jansen hielt sich zwar mit der Forderung einer noch längeren Freiheitsstrafe zurück, ließ in seinen Ausführungen jedoch keinen Zweifel daran, wie gefährlich dieser Neonazi ist. Nicht nur dessen erhebliches Vorstrafenregister mache zweifelsfrei deutlich, „dass er töten wollte“. Jansen verwies während seines Plädoyers auch auf die Gemeinsamkeiten zwischen S. und dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Genau wie die Mitglieder dieser Terrorzelle habe auch S. im ehemaligen KZ Buchenwald vor dem Eingangstor mit dem Schriftsatz „Jedem das Seine“ posiert, sich dabei fotografieren lassen, um hinterher in der rechten Szene damit Eindruck zu schinden. „Es ist der gleiche fruchtbare Schoß ...“, formulierte der engagierte Anwalt.
Die Kammer führte in ihrer weiteren Begründung aus, die Beweisaufnahme hätte ihrer Ansicht nach ergeben, dass die Nazigegner notfalls auch mit Gewalt gegen S. vorgehen wollten, um ihn daran zu hindern, seine braunen Gesinnungsgenossen zu einer Party der Neonazi-Kameradschaft „Südsturm Baden“ zu lotsen. Letztendlich habe ein in Auftrag gegebenes Gutachten ergeben, dass der Verletzte auf das Auto gesprungen sei, während er doch 3,8 Sekunden Zeit zum Wegspringen zur Verfügung gehabt hätte. Den vier anderen Jugendlichen sei dies schließlich auch gelungen. Auch ignoriere die Kammer nicht, dass S. anstatt nach links, auf die fünf jungen Leute zu, auch nach rechts hätte fahren können. Doch für diese Entscheidung hätte der Angeklagte nur eine Sekunde zum Überlegen Zeit gehabt, zu wenig für eine rationale Entscheidung, wie die Richterin meinte.
Selbst die drei Tage vor der Tat von dem Angeklagten auf Facebook hinterlassenen Äußerungen, wie sehr er sich freuen würde von den „linken Zecken“ endlich mal attackiert zu werden, um sie dann „in Notwehr mal die Klinge fressen zu lassen“, führte die Kammer offensichtlich nicht zu einer anderen Rechtsauffassung. Wir könnten den Angeklagten nur verurteilen, wenn wir zu hundert Prozent von seiner Schuld überzeugt wären, betonte die Vorsitzende.
Die Pflichtverteidiger waren zu einer kurzen Stellungnahme nach dem Verlesen des Urteils nicht bereit. Die Verteidigung der Nebenkläger hält eine Revision vor dem Bundesgerichtshof, und das war das einzig Positive, was hier heute in dem Gerichtssaal zu vernehmen war, für „sehr wahrscheinlich“.