Kapitalismus und die Produktion des „Anderen“

Kapitalismus und die Produktion des „Anderen“ - Workshop auf No Border Camp Montag Abend

1. Die Konstruktion des und der „Anderen“ aus der Position des gemeinschaftlichen „Wir“ gehört zum Kern des rassistischen Verhältnisses. Der Workshop soll die historisch-materialistischen Entstehungsbedingungen dieses rassistischen Verhältnisses beleuchten.

 

Als Ausgangspunkt soll die Analyse der tayloristisch/fordistischen Offensive um die Wende zum 20. Jahrhundert gewählt werden Und zwar im Verhältnis vor allem der deutschen und amerikanischen Kerne dieser Offensive zu ihrem Objekt, den „anderen“. Ihre Basis war die schockartige Hochrüstung neuer Schlüsselindustrien (Chemie und vor allem Elektro), begleitet von tayloristisch/fordistischen Managementmethoden. In diesen schuf sich eine neue technokratische Mittelschicht die Hebel zu neuer Herrschaft und neuem Selbstverständnis als Herren eines von großer Aggressivität geprägten rassistischen Verhältnisses. Dieses etablierte sich in der Konstruktion und Abwertung von Andersheit: der Arbeiter_innen als Objekt technischer Verfügung. Der Objekte imperialistischer Durchdringung (Krieg Deutschlands gegen die „rassisch minderwertigen“ Herero und Nama in Afrika, Krieg der USA gegen die „nigger“ der Philippinen mit KZs und einer Million Opfer). Der Abwertung der Immigrant_innen aus Russland, Südosteuropa, Japan als „minderwertiges rassisches Material“. Der nicht eingliederungs- und verwertungsfähigen Unterschichten als „minderwertiges Menschenmaterial“ im Sinne eines eugenischen Kriegs, eines „war against the weak“ (Black). Der Frauen in der Unterwerfung unter die Macht des Kleinpatriarchen in der zurückgeschnittenen Kernfamilie, etc. Die Entwertung auf all diesen Gebieten war Bestandteil eines kohärenten innovatorischen Schubs, in dem der Kapitalismus seine Macht und die Herstellung einer komplexen „Andersheit“ auf ein neues historisches Niveau brachte. Beide können nicht voneinander getrennt werden. Der Schub ist indes primär nicht Produkt eines rassistischen Bewusstseins. Dieses drückt ihn nur aus, bis in seine kulturellen und philosophischen Ausformungen hinein. Die Herren dieser Offensive aus den neuen technokratischen Mittelschichten konstruierten sich selbst als neues „Wir“, als Subjekt der Verfügung und aus der Behauptung ihrer neuen „Rationalität“.

 

Dieser Schub „modernisierte“ das rassistische Verhältnis, das die industrielle Revolution der vorhergehenden Epoche in den kolonialistischen Zugriffen auf  die drei Kontinente formuliert hatte, auf ein neues barbarisches Niveau. Wir nehmen es als Ausgangspunkt, weil die Quellenlage besser ist und die Subjektivität des „Wir“ und der „Andersheit“ viel aggressiver thematisiert wurde. Ausgehend davon soll über die unmittelbar vorausgehenden Stadien hinaus ein Rückblick auf historische Wurzeln dieses von Europa als verhältnismäßig stabilem Kern des rassistischen „Othering“ bestimmten Verhältnisses versucht werden. Eine immer wieder als Geburt Europas beschworene Wurzel brachte die „Erfindung des Barbaren“ (Edith Hall) im Griechenland des 5. Jahrhundert v.Chr. hervor. Nach dem Sieg bei Salamis über die Perser konzentrierten sich Geld und neue technische Eliten in Athen. Das machten sie zur Metropole ihres Imperiums über den Mittelmeerraum und sich selbst zum Subjekt im Verhältnis zum minderwertigen „anderen“ –den Barbaren, den aus ihnen rekrutierten Sklaven, einhergehend mit der sexistisch vertieften Abwertung der Frau.

 

2. Es kann uns nicht darum gehen, den Diskursen um „critical whiteness“/“white awareness“ und den daraus fließenden Verhaltensregeln Sinn und moralische Berechtigung abzusprechen. Das Problem ist allerdings: sie müssen dadurch radikalisiert werden, dass die obengenannten Dimensionen einbezogen werden. Für die postfordistische Neuformulierung des rassistischen Verhältnisses, über das wir diskutieren wollen, bedeutet das vor allem: den Ausgangspunkt von unten bei den Subjekten zu nehmen. Uns an ihnen zu orientieren und von ihnen für unsere Kämpfe zu lernen. Beispielsweise von den Formen der Selbstorganisation und Selbstermächtigung der Bewegungen in den Townships Südafrikas und den neuen „slum cities“, die bei Abahlali base Mjondolo ihren beispielgebenden Ausdruck finden. Beispielsweise von den Textilarbeiterinnen im Nildelta als entscheidender Kraft der Revolte auf dem Tahrirplatz. Oder von den stigmatisierten „Pleitegriech_innen“, von den rumänischen, den ungarischen Roma und Sexarbeiterinnen, die zu Objekten eines imperialen Regimes unter deutscher Führung entwertet werden. Oder vom Kosmomopolitismus der Migrant-innen, der dem kerneuropäischen Weltverständnis um so vieles voraus ist.  Und im historischen Rückblick bedeutet das, den Ausgangspunkt bei den Subjekten der Kämpfe auf den drei Kontinenten gegen die oben skizzierten Zugriffe zu suchen. Sie sagen uns, was das rassistische Verhältnis wirklich bedeutete. Ohne all das bleibt die Kritik folgenlos. Schlimmer noch: das sich kritisierende weisse Wesen bestätigt sich in seiner kritischen Selbsterfahrung letztlich als „Subjekt“ und lässt die hard facts des rassistischen Verhältnisses ungeschoren, bis in seine eigene Verwobenheit in den imperialen Alltag hinein.