Italien und Frankreich bauen eine Milliarden Euro teure Bahnlinie für einen Superschnellzug von Turin nach Lyon. Doch das Vorhaben wird vor allem im italienischen Val di Susa heftig bekämpft. Gegner liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei. Ministerpräsident Monti will hart bleiben.
Das Val di Susa liegt ganz im Nordwesten Italiens, das Tal verbindet Turin mit der französischen Grenze - eine Verkehrsader, die dem Südtiroler Brenner nicht unähnlich ist. Auch hier durchschneidet eine hässliche Autobahn die Landschaft, auch hier soll ein Tunnel gebaut werden, der zwei Länder miteinander verbindet.
Doch in der Mehrheit lehnt die Bevölkerung im Val di Susa diesen Eisenbahntunnel ab. Sie fürchtet um ihr Tal und um ihre Gesundheit, sagt Alberto Perino, der den Protest der Tunnelgegner anführt: "Je nachdem, wo sie anfangen zu graben, gibt es im Tal uranhaltiges oder asbesthaltiges Gestein. Es wäre doch besser, sich das genau zu überlegen, bevor man sagt: Alles ist gut und alles ist einfach."
Vom zivilen Protest zum gewalttätigen Widerstand
Zunächst war der Protest gegen dieses mit EU-Mitteln geförderte Milliardenprojekt noch ein ziviler, bürgerlicher Widerstand. Es waren vor allem die Anwohner und Umweltschutzorganisationen aus ganz Italien, die den Sinn des Eisenbahn Tunnels in Frage stellten. Angelo Bonnelli, der Vorsitzende der italienischen Grünen: "Warum muss man eine neue Eisenbahnlinie bauen, wenn es bereits eine ganz in der Nähe gibt, die außerdem nicht ausgelastet ist? Warum müssen 20 Milliarden Euro ausgegeben werden? Man könnte sich das alles sparen, wenn die alte Eisenbahnlinie ausgebaut würde."
Aus Protest gegen das Projekt wurden auch illegale Mittel eingesetzt. Seit 20 Jahren gibt es die Tunnel-Pläne. Im Sommer vergangenen Jahres wurde mit dem Bau begonnen. Seitdem haben sich die Proteste dagegen radikalisiert. Seit einer Woche herrscht Bürgerkrieg rund ums Bahngleis. Autos werden angezündet, Tunnel Gegner liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei, mit etlichen Verletzten vor allem auf Seiten der Polizei. Ministerpräsident Marion Monti ist alarmiert: "Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein grundsätzliches Gut und der Staat ist verpflichtet, dies zu schützen. Aber jede Form von Illegalität ist nicht erlaubt und jede Form von Gewalt wird zurückgewiesen."
Die Regierung in Rom bleibt hart
Die Regierung Monti hat beschlossen, nicht klein bei zu geben. Der Tunnel wird wie geplant weitergebaut. Künftig sollen Hochgeschwindigkeitszüge von Mailand nach Paris nur noch vier statt bisher sieben Stunden brauchen. "Wir wollen den Anschluss an Europa nicht verpassen", sagte der Ministerpräsident nach einer Sondersitzung des Kabinetts. "Das soziale Ungleichgewicht hat seinen Grund in einer Wirtschaft, die immer mehr abdriftet und den Anschluss an Europa zu verlieren droht. Dieser Anschluss muss auch ganz real bestehen in Infrastrukturen, die diese Verbindung herstellen."
Tourismusindustrie hofft auf Tunnel
Langsam verlieren die Proteste auch Rückhalt in der örtlichen Bevölkerung. Denn das Tal lebt vom Tourismus, vom Skitourismus und wegen blockierter Autobahnen und Schienen erreichen immer weniger Touristen die Skigebiete rund um Sestriere, dem Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2006. "Es reicht", sagt Sestrieres Bürgermeister Walter Marin: "Hier gibt es eine Industrie, eine Tourismus-Industrie und viele Menschen arbeiten hier und sie haben ein Recht auf Arbeit."
Doch die Proteste lassen sich kaum mehr aufhalten, sie haben sich verselbständigt, denn unter die Demonstranten haben sich nun auch autonome und militante Gruppen des so genannten "Schwarzen Blocks" gemischt. Und die sehen im Val di Susa eine ideale Spielwiese für ihren Kampf gegen den Staat.