Emotionaler und sexueller Missbrauch durch Polizisten wird öffentlich

Erstveröffentlicht: 
17.12.2011

Matthias Monroy

 

Bis zu neun Jahre haben britische Spitzel sexuelle Beziehungen betrieben, um linke Bewegungen auszuforschen. Jetzt setzen sich Betroffene kollektiv zur Wehr

 

Acht Frauen haben jetzt britische Polizeispitzel in einer gemeinsamen Initiative angezeigt. "Wir bringen diesen Fall an die Öffentlichkeit, weil wir die sexuelle und psychologische Ausbeutung von Aktivisten und anderen durch verdeckte Ermittler beenden wollen", schreiben die Betroffenen in einem Statement. "Es ist nicht hinnehmbar, dass Amtsträger intime und langfristige Beziehungen mit politischen Aktivisten inszenieren, um eine angebliche Aufklärung politischer Bewegungen zu betreiben".

 

Unter den jetzt Beklagten ist der verdeckte Ermittler Mark Kennedy, dessen Dienste auch von den Landeskriminalämtern Mecklenburg-Vorpommerns und Baden-Württembergs nachgefragt worden waren (Grenzüberschreitende Spitzel). Der Offene Brief der Betroffenen zeiht den Polizisten der Lüge: Kennedy hatte stets behauptet, nur mit zwei Frauen sexuelle Beziehungen eingegangen zu sein. Drei der Frauen erklären nun öffentlich, zwischen 2003 und 2005, 2004 und 2010 sowie in 2005 Beziehungen mit dem vermeintlichen Aktivisten unterhalten zu haben.

 

Zu einer von ihnen habe er selbst starke emotionale Bindungen gehabt, behauptete Kennedy kürzlich in einem eigens um jene Liebesaffäre herum inszenierten Dokumentarfilm. Besonders perfide: Die hiervon gemeinte Frau wird in dem Film gedoubelt und tritt mehrmals auf. Kennedy hatte sich nach seiner Enttarnung die Hilfe des PR-Beraters Max Clifford geholt, um sich in Dokumentationen und Interviews fortan als Opfer zu inszenieren.

 

Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention

 

Die juristische Initiative gegen die Metropolitan Police wird vom Büro Birnberg Peirce und Partner eingebracht. Es geht dabei um insgesamt fünf Männer, deren verdeckte Infiltration seit Mitte der 1980er Jahre teilweise erst nach Jahren bekannt wurde. Im Fokus steht neben Mark Kennedy der frühere Polizist Jim Boyling, der seine Zielperson sogar geheiratet hatte und mit ihr Kinder hatte.

Unter ihnen ist aber auch der immer noch aktive Ex-Polizist Robert Lambert, der heute noch als Akademiker Veranstaltungen zu muslimischem Terrorismus bestreitet. Unter den Beklagten sind mit John Barker und Mark Cassidy auch zwei Spitzel, von denen der Öffentlichkeit bislang nichts bekannt war.

 

Die jetzt zur Debatte stehenden Beziehungen dauerten zwischen sieben Monaten und neun Jahren. Dafür sollen sie jetzt wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention belangt werden, die auch von Großbritannien unterzeichnet wurde: Nach Artikel 3 darf niemand einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Auch Artikel 8 findet in der Klage Beachtung: Demnach hat die tief ins Privatleben reichende Spitzelei das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Korrespondenz verletzt. Eine Behörde darf sich nur darüber hinwegsetzen, wenn der Eingriff "notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit" ist.

 

Keine der verdeckten Maßnahmen hat jedoch bislang zu juristischen Verurteilungen geführt. Im Gegenteil: Im Verfahren, innerhalb dessen Mark Kennedy enttarnt wurde, wurden alle bisherigen Verurteilungen widerrufen. Kennedy hatte im Januar der Regenbogenpresse Details zu seinem Auftrag verraten: Demnach habe er dazu beitragen sollen, dass linke Aktivisten zukünftig nicht mehr mit geringen Verurteilungen, etwa wegen Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigungen, davonkommen. Stattdessen habe dafür sorgen sollen, dass sie wegen Verschwörung und organisierter Kriminalität belangt werden.

 

"Institutionalisierter Sexismus innerhalb der Polizei"

 

Die Frauen definieren die polizeiliche Taktik neben der einer sexuellen und psychologischen Ausbeutung auch als Vergewaltigung, Täuschung und Fahrlässigkeit. Tatsächlich kann man von nicht-konsensualen Sex ausgehen, der allerdings nicht in allen Ländern gleichermaßen strafbar ist. Im Mittelpunkt steht die Erniedrigung durch den fortgesetzten emotionalen und sexuellen Missbrauch durch den Polizeiapparat. Die Konstruktion falscher Liebesbeziehungen reichte bis tief in die Familien der Betroffenen hinein, die meist von stabilen, zukunftsfähigen Bindungen ausgingen. Laut dem Anwalt Harriet Wistrich endeten die Beziehungen mit vier der Frauen durch das plötzliche Abtauchen der vermeintlichen Partner, als ihr Einsatz abgebrochen wurde.

 

Schon früher war durchgesickert, dass Mark Kennedy zu seinen angeblich lediglich zwei sexuellen Beziehungen gelogen hatte. Die Entscheidung, mit den traumatischen Erfahrungen nun doch an die Öffentlichkeit zu gehen, gründete anscheinend auf der Erfahrung im Kollektiv. Laut dem Statement der Frauen habe der Austausch geholfen, die Muster in den Fällen aufzuzeigen. Demnach handele es sich keinesfalls um Einzelfälle von Männern, die ihren Job als Möchtegern-James Bond ausgelebt hatten. Im Gegenteil sei die sexuelle Infiltration Teil des polizeilichen Systems zur Unterwanderung Sozialer Bewegungen. In einem Fall habe ihm die Supervision eines Einsatzes sogar geholfen, mit einer weiteren, fortgesetzten Täuschung die Betroffene weiter sexuell auszubeuten.

 

"Wir glauben, dass unser Fall den institutionalisierten Sexismus innerhalb der Polizei illustriert", schreiben die Frauen in ihrem Statement. Der Tageszeitung Guardian wurde dies von Peter Black, einem weiteren britischen Spitzel bestätigt. Demnach sei Sexualität als weitreichende Technik zur Verschleierung und Aufklärung genutzt worden. Die acht Aktivistinnen schreiben dazu:

Es ist unglaublich, dass die Polizei für eine Hausdurchsuchung zwar einen richterlichen Beschluss benötigt, jedoch ein ausgeschickter Amtsträger mit Aktivisten leben und schlafen darf, dies offensichtlich ohne jegliche Aufsicht passieren darf!

 

Statt Umstrukturierung nur Kosmetik

 

Als Anfang des Jahres ruchbar wurde, dass Polizeispitzel sexuelle Beziehungen zur Informationsgewinnung einsetzten, war die Aufregung in Großbritannien immens: Der Innenminister versprach eilig, die für die Führung verdeckter Ermittler zuständige Einheit radikal umzustrukturieren. Bislang unterstanden die Polizeispitzel formal der als private Vereinigung operierende Association of Chief Police Officers (ACPO). Fortan soll die Metropolitan Police hierfür verantwortlich sein.

 

Allerdings wurden die Kompetenzen nicht grundlegend geändert, sondern lediglich neu gemischt: Zwar sind die "National Public Order Intelligence Unit" (NPOIU), das "National Domestic Extremism Team" (NDET) und die "National Extremism Tactical Coordination Unit" (NETCU) aufgelöst worden. Ihre Arbeit wird allerdings in der "National Domestic Extremism Unit" (NDEU) fortgeführt.

"Der Aufgabenbereich und die Verantwortlichkeiten bleiben unverändert, und die Einheit wird weiterhin alle Polizeikräfte darin unterstützen, die Bedrohung durch inländischen Extremismus zu reduzieren", schreibt das Innenministerium in einer Telepolis vorliegenden Antwort auf einen "Freedom of Information Act request".

 

In Großbritannien laufen zur Zeit 12 Untersuchungen über die Einsätze britischer verdeckter Ermittler. Keine von ihnen dreht sich indes um die Verletzung von Menschenrechten. Auch auf eine geforderte unabhängige Zusammensetzung von Untersuchungskommissionen warten Betroffene vergeblich. Im Oktober hätte der erste Bericht vorgelegt werden sollen.

Nachdem jedoch der Guardian einen Tag vorher enthüllte, dass Undercover-Polizisten per Dienstanweisung ihrer Vorgesetzten angehalten wurden, sowohl vor dem Staatsanwalt als auch vor Gericht zu lügen, wurde die Veröffentlichung erneut verschoben. Mindestens in einem Fall hat ein Polizist demnach unter falschem Namen sogar unter Eid ausgesagt.

 

Auch in Deutschland keine Aufklärung

 

Die Dienstanweisung zum Belügen von Polizei und Gerichten wurde anlässlich des G8-Gipfels auch in Deutschland umgesetzt. An einer juristischen Verfolgung haben aber weder das Landeskriminalamt Berlin noch das Bundeskriminalamt Interesse (Polizeispitzel belügen Staatsanwaltschaften und Gerichte). Dies wirft ein Schlaglicht auf eine weitere Nebelkerze, die vom deutschen Innenministerium hinsichtlich der grenzüberschreitenden Spitzelei vorgetragen wurde. Angesichts der Neuorganisation der britischen Spitzelei sei weiterhin unklar, mit wem auf britischer Seite hierzu zukünftig zusammengearbeitet würde. Auf eine entsprechende Mitteilung warten deutsche Polizeien angeblich immer noch.

 

Der grenzüberschreitenden Konspiration zur Unterwanderung linker Bewegungen tut das aber keinen Abbruch: Eine aus deutschen und britischen Beamten bestehende Delegation läuft auf EU-Ebene Sturm, um den grenzüberschreitenden Spitzeltausch aus der zukünftigen "Europäischen Ermittlungsanordnung" (EEA) zur Justiz-Zusammenarbeit herauszunehmen (Telekommunikationsüberwachung wird grenzenlos).

 

Wegen der "Komplexität, Sensibilität und Eingriffstiefe" will die Bundesregierung mehr Geheimhaltung auch nach dem jeweiligen Ende von EU-weiten Spitzeleinsätzen. Nach einer Unterstützung der Aufklärung und Verhinderung des fortgesetzten sexuellen Missbrauchs durch Polizeispitzel klingt das nicht.