Ulm Die rechte Szene setzt aufs Internet

Erstveröffentlicht: 
15.12.2011

Ulm/Neu-Ulm. 

Die Zahl rechtsextremer Straftaten in der Region ist rückläufig. Die rechte Szene hat sich gewandelt, berichten Polizisten links und rechts der Donau. Sie tritt zurückhaltender auf, aber ist bestens vernetzt.

 

 

"Wir gehen von 20 bis 25 Menschen in unserem Bereich aus, die rechtsextremistischen Kreisen zugeordnet werden", sagt der Ulmer Polizeichef Karl-Heinz Keller. Die Zahl der Straftaten ist nur ein Indiz für die Aktivitäten: 2008 wurden 45 registriert, 2010 waren es 19, bis Ende Oktober dieses Jahres 16. Der Tatbestand der Volksverhetzung, 2009 noch mit zwei Fällen notiert, kam seit 2010 nicht mehr vor. "Wenn ich das mit den Zahlen aus anderen Städten vergleiche, sind wir unterdurchschnittlich belastet", sagt Keller in einem Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE.

 

Aber er wolle nicht durch Zahlen verharmlosen. Die Szene habe sich gewandelt. Wo früher Skinheads das Bild prägten, treten heute Menschen auf, die nicht mehr durch ihre äußere Erscheinung und durch Attribute rechter Gruppierungen auffallen. Es gebe immer wieder Anstrengungen aus diesen Kreisen, vor allem junge Menschen anzuwerben. Früher war rechte Musik ein Werbemittel, heute sind es eher Internet-Plattformen und soziale Netzwerke, die stärker genutzt werden. Die Plattformen liegen meist auf Servern im Ausland, auf die die Polizei keinen Zugriff hat. Ein Beispiel dafür ist die "AG Schwaben", die im Internet stark vertreten ist. Ihre Plattformen liegen auf Servern in den USA.

 

Die Netzkontakte haben teilweise auch die festgefügten Gruppenstrukturen abgelöst, sagt Keller: "Die Entwicklung geht hin zu den Autonomen Nationalisten." Es handelt sich dabei fast immer um junge Leute aus dem rechten Lager. Im Alb-Donau-Kreis und in Heidenheim hat die Polizei zehn davon im Blick. Sie sind auch bei Demonstrationen der Rechten in Ostdeutschland aufgetreten. Einige davon stuft die Polizei als gewaltbereit ein. Ihre Spur führt aus dem Raum Heidenheim bis nach Langenau. Immer wieder wurde versucht, junge Leute anzuwerben. 2007 gab es in Langenau eine Demonstration der Rechten und eine Gegendemo. Hätten sich nicht der Bürgermeister, der Gemeinderat und die Schulen so vehement gegen diese Entwicklung gestemmt, hätte sich die rechte Szene dort möglicherweise stärker angesiedelt, meint Keller. Es sei immer wieder gelungen, junge Leute, die noch nicht in der Szene verfestigt sind, herauszubrechen.

 

Ähnlich sieht es im Neu-Ulmer Bereich aus, sagen Dezernatsleiter Ulrich Feistle und Dienststellenleiter Jürgen Schneider von der Neu-Ulmer Kriminalpolizei. Gelegentlich tauchen konkrete Hinweise auf, so wie kürzlich, als in Weißenhorn Plakate der "Unsterblichen" hingen. Dabei handle es sich meist um junge Leute aus der rechten Szene, die sich nachts auf Plätzen treffen, weiße Masken tragen, und anschließend Fotos der Aktion ins Internet stellen. Es war die erste Aktion dieser Art im Landkreis. Auch das ist ein Beleg dafür, dass die rechte Szene längst über das Internet vernetzt und präsent ist. Lokal lässt sie sich schwer greifen. Der bayerische Verfassungsschutz hat in Schwaben etwa 250 Rechtsextreme im Blick, davon gelten 50 als Neonazi, die Hälfte davon ist in feste Kameradschaftsstrukturen eingebunden.

 

Vor zwei Jahren fiel eine "Division Schwaben" auf, weil sie auf dem Rathausplatz Neu-Ulm in eine Schlägerei verwickelt war. Einer holte einen Totschläger heraus, ein Beteiligter wurde verletzt. Die Gruppe bestand aus zehn Mitgliedern. Später wurde sie offiziell aufgelöst. Aber Mitglieder treffen sich nach wie vor. Ein Treff befindet sich am Bahnhof in Ulm. Bei ihnen spielten die Merkmale eine Rolle, die immer wieder in rechten Gruppen auftauchen: falsch verstandene Kameradschaft, Hierarchie und Alkohol.

 

Dass rechte Gruppen im Kreis aktiv sind, wurde auch 2008 bei einer Schlägerei am Buschelbergsee in Nersingen deutlich. Damals gerieten linke Punks und Rechte aneinander. Die zahlenmäßig überlegenen Punks trieben schließlich die Rechten durch Nersingen, zwei junge Leute wurden verletzt.

 

Die NPD, über deren Verbot Politiker seit der Aufdeckung des rechten Killertrios aus den neuen Bundesländern wieder heftig nachdenken, hat einen hochrangigen Vertreter im Landkreis Neu-Ulm sitzen: Stefan Winkler, Bezirksvorsitzender Schwaben und Kreisvorsitzender für Neu-Ulm und Günzburg, hatte während der Debatte um eine Moschee in Vöhringen einen "Schwabentag" der Rechtsaußen-Partei organisiert und dagegen agitiert.

 

Insgesamt habe die Zahl der rechten Delikte nicht zugenommen, berichten Schneider und Feistle. 2010 registrierten sie 23 rechts motivierte Straftaten, 22 wurden als rechtsextremistisch eingestuft, dazu gehören auch die Propagandadelikte. "Neu-Ulm ist keine rechte Ecke, und Weißenhorn schon gar nicht." Es gebe zur Zeit keine feste Kameradschaft im Landkreis, anders als im Allgäu, wo die Skinhead-Kameradschaft "Voice of Anger" aktiv ist und die "AG Schwaben".