Wir möchten hiermit unsere Sicht der Dinge nach Auswertung des Geschehenen kund tun.
Überwachung im Atomstaat
Was eigentlich völlig logisch erscheint, bewahrheitete sich jetzt. Für
uns werden nicht nur einfache Polizeistreifen abgestellt, sondern auch
zivile Ermittler_innen. Logisch, in dem System in dem wir leben, wo
Antiatomproteste basisdemokratischer Gruppierungen kriminalisiert
werden. Normal ist das nicht!
Mobilisierung in Jena
Sechs Wochen vor dem Transporttermin begann das ACP öffentliche Plena
abzuhalten, um dort über das Geschehen zu informieren. Am 29.10.
beteiligten wir uns mit am überregionalen Aktionstag „Gorleben soll
leben“. Die Mobilisierung lief schleppender als im vergangenen Jahr,
trotzdem konnte in der Stadt auf das Thema aufmerksam gemacht werden. In
unseren Plena entstand die Idee einen Bus für die Fahrt ins Wendland zu
organisieren, der schließlich vollbesetzt fuhr. Darüber hinaus waren
viele Kleingruppen im Wendland aktiv.
Was im Wendland geschah…
Als erstes waren wir überrascht wie viele Leute letztendlich insgesamt
aktiv waren – viel mehr als erwartet. Es waren nicht nur 23.000 Personen
auf der Großdemonstration, sondern gleichzeitig auch tausende Personen
an den Schienen aktiv! Letztendlich führte dies zu einer neuen
Höchstdauer des Transportes von 126 Stunden und damit verbundenen
Höchstkosten – Wir finden das gut! Dies gilt uns als eindrucksvolles
Zeichen gegen die herrschende Atompolitik. Deutlich bestätigt sehen wir
uns in unserem Protest darin, dass dieser Atommülltransport vollkommen
illegal war, da die Strahlenwerte nachweislich verfälscht und weit
überschritten wurden. Wenn wir also von Protest reden, dann von mehr als
legitimen Protest!
In den Medien wurde dieses und jenes von den Protesten im Wendland berichtet, wobei sich die Situation vor Ort natürlich immer anders darstellt. Ähnlich der im letzten Jahr, war sie für die Polizei unkontrollierbar. Insgesamt festzustellen ist, dass das „präventive“ und repressive Vorgehen der Polizei uns gegenüber nochmals verstärkt wurde. So wurde bereits im Vorfeld, unter fadenscheinigen Gründen, das Camp in Dumsdorf verboten. Das Camp Metzingen musste besonders schwere Repressionen ertragen. Den traditionellen Lampionumzug am Donnerstag wurde der Weg auf der Bundesstraße versperrt. Am Freitag- und Samstagabend rückte die Polizei mit Hilfe von Wasserwerfern und einer großen Menge an Einsatzkräften auf privates Land in das Dorf ein, und provozierte die Aktivist_innen. Den ganzen Transportzeitraum über kam es zu Durchsuchungen und Kontrollen ohne direkten Verdacht, „legitimiert“ durch eine Verfügung. Fast schon traditionell kam es zu einer Unmenge an körperlichen Übergriffen, wie immer auch weit außerhalb der 50 Meter breiten Sperrzone rechts und links der Transportstrecke. Dabei wurde insbesondere von Pfefferspray und Tonfas (Multifuktionsschlagstock) Gebrauch gemacht, aber auch massiv mit Pferden Menschen attackiert. Auch gegen Journalist_innen und Sanitäter_innen wurde gewaltsam vorgegangen.
Als die atomare Fracht bereits Gorleben erreichte, wurde in Laase sogar ein Sanitätszelt durch die Polizei gestürmt – Das war der unrühmliche Höhepunkt, des unrechtmäßigen Verhaltens der Polizeikräfte. Spätestens hier wurde dieses Bild auch in objektiven Medien gezeigt. Das postdemokratische Verhältnisse vorherrschten stellen wir auch daran fest, dass Menschen entweder gar nicht zu angemeldeten Kundgebungen gelassen wurden oder durch ein Polizeispalier gehen mussten. Pressevertreter_innen und Sanitäter_innen wurde der Zugang verwehrt. Journalist_innen beklagten von Anfang an einen allgemein beleidigenden Umgangston der Beamt_innen.
In diesem Zusammenhang ist es uns auch wichtig auf eine allgemeine
Kennzeichnungspflicht für Polizist_innen zu drängen, und zwar
ausnahmslos für alle und nicht nur für Landespolizeieinheiten.
Durch diese unrechten Maßnahmen wird versucht die Situation
kontrollierbarer zu machen und den illegaler Transport zu legitimieren.
Des Weiteren dienen solche Maßnahmen unserer Sicht nach dazu den
gesamten Protest zu kriminalisieren. Oft werden dabei Versuche
unternommen, die Bewegung in gute und böse Demonstranten zu spalten.
Entschieden lehnen wir die Aufforderung ab, dass sich große
Bürgerinitiativen des wendländischen Protestes von anderen
Widerstandsgruppen distanzieren sollen. Der Wendlandkonsens bleibt
bestehen – Es gibt keine guten und bösen Demonstranten, sondern nur
Menschen die sich gegen eine tödliche Energiepolitik wehren!
Worum ging es bei der Castor-Blockade?
Viele Erklärungen von einigen Gruppen, Parteien, Initiativen kommen für
uns zu kurz. Na klar ging es gegen Atomkraft. Die Gefahr, dass
hierzulande der „Ausstieg“ rückgängig gemacht werden kann und natürlich
um Gorleben als ungeeigneten Lagerstandort für Atommüll.
Ist das aber schon Alles? Nein…denn es gab nie einen Ausstieg. Ausstieg
heißt die sofortige Stilllegung aller Atomkraftanlagen weltweit!
Darüber hinaus lehnen wir vor allem die weiteren Standorte der
Atomindustrie ab: Im Münsterland in Lingen werden Brennelemente
gefertigt. In der Urananreicherungsanlage Gronau werden derzeit um die 7
Prozent des Urans für den Weltmarktes angereichert. Diese Zahl soll
demnächst auf 10 Prozent gesteigert werden. Damit kommt aus dem
Münsterland ein erheblicher Teil der Brennelemente für die weltweit in
Betrieb stehenden Meiler. Im Karlsruher Atomforschungszentrum wird
täglich an Nuklearwaffen geforscht. Für ein geplantes AKW in Brasilien
will die Bundesregierung Bürgschaften vergeben.
Wir lehnen diese Fortführung der Politik eines Atomstaates ab! Wir stellen uns gegen eine zentralistische, marktförmige Energiegewinnung, in der vier Konzerne das Sagen haben und die Gewinne einkassieren, während die Schäden an Umwelt, sowie durch „Störungen“ und nie gedachten Katastrophen verursachten Kosten auf die Gesellschaft umgelagert werden. Eine kritische Betrachtung der Energiefrage muss darum weit vorher, vor den konkreten Problemen, gegen die wir uns wehren, ansetzen. Warum verbrauchen wir überhaupt so viel Strom? Warum sollen neue Kohlekraftwerke errichtet werden? Warum beuten wir die fossilen Rohstoffe aus und vernachlässigen damit die Generationengerechtigkeit? In wessen Händen liegt die Verfügung über Energie?
Ausblick
Wir müssen uns weiterhin gegen eine derartig organisierte Form der
Energieversorgung stellen! Auch wenn in den nächsten zwei Jahren erst
mal kein Castorzug ins Wendland rollen soll, gilt es weiterhin an
Energiekämpfen teilzunehmen. Ab Anfang kommenden Jahres sollen von
Jülich aus 152 Castoren nach Ahaus in das Münsterland rollen. In Polen
plant die Regierung ein massives Atomprogramm, während in Frankreich
sich endlich eine starke Anti-AKW Bewegung gegen die dortigen 58 Meiler
formiert. Im gar nicht weit entfernten Finnland sucht mensch ebenso
vergeblich nach Endlagern, wie im Wendland und baut sogar Uran ab. Im
Rheinland formiert sich Widerstand gegen den größten Tagebau in Europa,
hin und wieder werden Kohlebahnen sabotiert…
Wir kämpfen weiterhin für eine Gesellschaft in der Atomanlagen nicht
möglich sind und die Energieversorgung dezentral und in der Hand der
Menschen ist.
Anticastor-Plenum-Jena im Dezember 2011