Vorratsdatenspeicherung und Telefonüberwachung: Seit Monaten wird heftig diskutiert, wie viel der Staat darf, wie viel er muss – und wo Grenzen überschritten werden. Jetzt wird es konkret: Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat ein Dokument veröffentlicht, das detailliert die derzeitige Praxis der Datenüberwachung zeigt. Wir publizieren das Dokument.
Worum geht es? Die Oberstaatsanwaltschaft hat im Juni 2011 einen Leitfaden zum Datenzugriff erstellt. Das Dokument (siehe unten) ist als Verschlusssache eingestuft.
In dem Dokument wird beschrieben, wie heute schon überwacht und gespeichert wird. “Es belegt einen fahrlässigen Umgang der Ermittler mit verfügbaren Daten und einzuhaltenden Rechtsvorschriften”, schreibt der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in einer Pressemitteilung. “Dies verdeutlicht ein weiteres Mal, wie wichtig es ist, eine gänzlich verdachtslose Vorratsspeicherung aller unserer Verbindungsdaten zu verhindern.”
Der Leitfaden zählt nach einer Zusammenfassung des Arbeitskreises unter anderem folgende Überwachungsmethoden deutscher Ermittlungsbehörden auf:
1. Aufzeichnen von Telekommunikationsinhalten (z.B. Telefongespräche, SMS, E-Mails)
2. Auswertung der Speicher von Handys, Smartphones und SIM-Karten (z.B. Fotos, Telefonbücher)
3. Abfrage von Nutzerdaten, Rechnungsdaten und Verkehrsdaten bei Anbietern wie Telekom, Arcor, eBay, YouTube, Facebook und Webmail-Anbietern
4. Identifizierung der Inhaber von Rufnummern, IP-Adressen und E-Mail-Adressen
5. Beobachtung des Standorts von Handys und Smartphones in Echtzeit
6. Online-Durchsuchung externen Speicherplatzes
7. Zugriff auf E-Mail-Postfächer und die Abfrage von Mailboxen
8. Verhinderung der Kommunikation einzelner Handynutzer oder einer gesamten Funkzelle
9. Ermittlung, welche Mobiltelefone sich zu einer bestimmten Zeit in einer Funkzelle befunden haben (Funkzellenabfrage)
10. Zugriff auf Kommunikation in geschlossenen Internetforen und Chatrooms einschließlich Liveüberwachung
11. Ortung von Pkw mit eingebautem SIM-Modul (z.B. BMW, Audi, Porsche, Renault, Opel)
12. Erstellung von Bewegungsbildern mithilfe “stiller SMS”
13. Aufzeichnung verschlüsselter Internetkommunikation (VoIP) unter Verwendung von Überwachungssoftware (sog. Quellen-TKÜ)
14. Identifizierung und Überwachung von WLAN-Internetzugängen (“W-LAN-Catcher”)
15. Zielwahlsuche
Nutzerdaten, die ausländische Internetfirmen wie Google, YouTube, Skype und Microsoft speichern, können laut Leitfaden zudem “präventiv” “sehr schnell … erlangt werden”, schreibt der Arbeitskreis.
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sieht in dem Leitfaden zum Datenzugriff mehrere Rechtsbrüche der Ermittlungsbehörden.
Von der bayrischen Justizministerin fordert der Arbeitskreis, “die dokumentierten Rechtsbrüche der Generalstaatsanwaltschaft München sofort abzustellen”.
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist ein Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern.
Das 39-seitige PDF-Dokument “Leitfaden zum Datenzugriff” findet sich hier:
“Leitfaden zum Datenzugriff” der Oberstaatsanwaltschaft München mit Übersicht über die Ermittlungsmaßnahmen und Tipps für die Praxis