Der Mahle-Konzern ist mit weltweit 48.000 Beschäftigten einer
der wichtigsten Autozulieferer und hat seinen Sitz in der Pragstraße in
Stuttgart Bad Cannstatt. Die Pragstraße war einst Symbol für die
aufsteigende Industrie der Region. In den 80er und 90er Jahren wurde
sie zum Symbol des Niedergangs. Werke wie SKF, Fortuna, Wizemann,
Knecht wurden geschlossen, Mahle auf die Verwaltung und (Foxboro)
Eckardt von einst 1.600 auf um die 100 Beschäftigte reduziert. Bei
Anlässen wie heute, haben sich vor Jahrzehnten die Beschäftigten aller
Metallbuden der Pragstraße versammelt. Sie haben nicht nur vor den
Werken protestiert sondern mit einer Demonstration die viel befahrene B
10 lahmgelegt. Bei einer betriebsübergreifenden Protestaktion wurde die
Pragstraße in den 80er Jahren in „Arbeitsplatzvernichtungsstraße“
umgetauft. Mit dem Plan das Werk in Alzenau zu schließen, bekräftigt
der Mahle-Vorstand dieses Image der Pragstraße.
„Eine Region steht auf“
Wenn es nach Vorstandschef Coenen geht, wird das Werk in Alzenau mit
424 Beschäftigten und 12 Azubis im Juni geschlossen. Dagegen setzt sich
die Belegschaft in Alzenau zur Wehr. Unter dem Motto „Ein Region steht
auf“ sind bereits am 18.4.09 um die 3.000 Menschen in Alzenau auf die
Straße gegangen, darunter auch Beschäftigte des Konkurrenzunternehmens
Kolbenschmidt. Es wurde eine Mahnwache eingerichtet, die von
Kolleginnen und Kollegen aus anderen Betrieben unterstützt wird. Am Tag
der Demo in Stuttgart übernahmen Kollegen des Linde-Werkes die
Mahnwache. Mehr Infos über den Kampf in Alzenau gibt es unter www.mahle-soli.de.
„Ein Konzern steht auf“
Aus Solidarität mit der Belegschaft in Alzenau haben die Gewerkschaften
der Mahle-Werke einen europaweiten Aktionstag unter dem Motto „ein
Konzern steht auf“ organisiert. Höhepunkt war die Kundgebung in
Stuttgart mit 2.500 Kolleginnen und Kollegen. Aus allen Werken in
Deutschland von Kiel bis Zell im Wiesental waren Delegationen nach
Stuttgart gekommen. Aus Brasilien traf ein Solidaritätsschreiben der
Gewerkschaft CUT ein. In den Wochen zuvor hatten von den 9.700
Beschäftigten der deutschen Mahle-Werke 6.700 gegen die Schließung des
Werkes Alzenau unterschrieben. Diese Unterschriften wurden bei der
Aufsichtsratssitzung in Stuttgart übergeben.
Vertragsbruch
Mahle-Betriebsräte wiesen bei der Kundgebung darauf hin, dass 2005
zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat eine Vereinbarung zur
Zukunftssicherung vereinbart worden sei, deren Investitionszusagen von
der Geschäftsleitung nicht eingehalten wurden. Diese Standortsicherung
wurde von den Mahle-Beschäftigten mit Lohnverzicht und
Arbeitszeitflexibilisierung bezahlt. Wie immer wurden Zugeständnisse
gemacht, damit es nicht schlimmer kommt. Und wie immer, kommt es
schlimmer.
Sozialverträglicher Arbeitsplatzabbau
Betriebsräte und IGM-Funktionäre gaben sich bei der Kundgebung mitunter
wortradikal. Den Versammelten wurde aber nicht gesagt, was sie eh schon
vermuten, dass nämlich das kapitalistische System Schuld ist an der
Krise. Hubert Dünnemeier, Arbeitnehmervertreter im Mahle-Aufsichtsrat
sprach davon, dass man sich darauf einstellen müsse, dass die Aufträge
weiter zurückgingen. Konkret schlug er Kurzarbeit bis Kurzarbeit null,
einen Interessenausgleich mit abschlagsfreier Frühverrentung, eine
Transfergesellschaft sowie eine Unternehmensstrategie jenseits des
Verbrennungsmotor vor. Umstrukturierungsmaßnahmen ja, aber keine
Werksschließung, keine betriebsbedingten Kündigungen, sondern
sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau, das war der Tenor der Reden.
Aber bei inoffziell 5 Millionen Arbeitslosen gibt es keinen
sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau mehr. Denn wo sollen die bereits
Erwerbslosen noch einen Job finden? Wo sollen die Kinder der
Kolleginnen und Kollegen von Mahle-Alzenau und anderswo eine Lehrstelle
und eine berufliche Zukunft bekommen? Der Betriebsratsvorsitzende von
Mahle-Alzenau forderte richtigerweise die Absenkung der Arbeitszeit.
Fügte aber nicht hinzu, dass das bei vollem Lohn- und Personalausgleich
geschehen müsse.
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende und stellvertretende
Aufsichtsratsvorsitzende, Bernd Hofmeier-Schäfer, erklärte unter
tosendem Applaus: „Die Arbeit ist unser Leben und wer uns die Arbeit
nimmt, der will uns ans Leben“. Er mahnte die Konzernführung zur
Bescheidenheit bei der Rendite: „Müssen es 17%, müssen es 20% sein?
Reichen nicht 3%, manchmal sogar nur 1% und in schwierigen Jahren
vielleicht auch gar nichts?“ Wenn Raffgier die Wirtschaft bestimme,
wäre es an der Zeit, dass wir etwas unfreundlicher werden, um eine
menschlichere Gesellschaft zu gestalten, Hofmeier-Schäfer weiter. Das
blieb aber eine leere Drohung, denn weitere Kampfschritte wurden nicht
genannt. Am Ende seiner Rede sprach Hofmeier-Schäfer versöhnlerisch
davon, dass die andere Seite auch Ängste hätte und es an der Zeit sei
einen Weg zu finden, die Ängste auf beiden Seiten zu beseitigen. Man
verlange vom Aufsichtsrat, dass er die Vorschläge zum Erhalt von
Alzenau prüfe und man wolle eine Lösung für alle Beschäftigten bei
Mahle wie am Beispiel des letzten Standort- und
Beschäftigungssicherungsvertrags. Dies könnte ein Hinweis auf einen
Deal sein, die Profite von Mahle durch weiteren Verzicht der gesamten
Belegschaft zu sanieren und im Gegenzug ein wie auch immer
geschrumpftes Werk Alzenau zu erhalten. Doch nach einem solchen
Zugeständnis wird es wie immer noch schlimmer kommen. Nicht
auszuschließen ist aber auch, dass der Mahle-Vorstand angesichts der
dramatischen Absatzeinbrüche, einen radikalen Schnitt jetzt und nicht
erst später will. Für diesen Fall boten die Betriebsräte und die IGM
keine Kampfstrategie.
Standortpolitik
Dass es bei Mahle nicht nur um das Werk Alzenau geht, sondern auch um
andere Werke machte der Betriebsratsvorsitzende der Mahle-Zentrale in
Stuttgart, Willi Ritter, in seiner Rede deutlich. Er listete eine ganze
Reihe von Werken in Europa auf, die von Arbeitsplatzvernichtung und
Betriebsschließungen bedroht sind. Trotzdem begrenzten die Redner die
Forderung des Tages auf den Erhalt des Standorts Alzenau bzw. des
Standorts Deutschland und begaben sich damit in nationalistisches
Fahrwasser.
Gemeinsamer Kampf nötig
Es geht auch nicht nur um Mahle. Überall stehen Arbeitsplatzvernichtung
und Werksschließungen auf der Tagesordnung. Zeitgleich mit den
Mahle-Beschäftigten haben 3.000-Conti-Beschäftigte vor der
Aktionärs-Hauptversammlung in Hannover gegen die Schließung von
Reifenwerken in Hannover und im nordfranzösischen Clairoix
demonstriert. 1.500 Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich waren nach
Hannover gereist, um Maria-Elisabeth Schaeffler und Co. einzuheizen.
Kein Betriebsrat und kein IGM-Funktionär hat bei der Kundgebung in
Stuttgart ein Wort über den Protest in Hannover verloren. Man hätte
auch annehmen müssen, dass die IGM die Kundgebung nutzt, um für die
bundesweite Demonstration am 16.5. in Berlin zu mobilisieren. Weder
fiel der Termin, noch ein Wort über die Notwendigkeit einer gemeinsamen
bundesweiten Demonstration aller Belegschaften und Gewerkschaften.
Anstatt dass die Gewerkschaften hierzulande endlich für französische
Verhältnisse sorgen, konnte man am Tag der Arbeiterproteste in Hannover
und Stuttgart in der Presse lesen, dass Berthold Huber, Frank Bsirske,
Hubertus Schmoldt und Michael Sommer am 22. April zum erlesenen Kreis
der 40 Eliten des zweiten Konjunkturgipfel im Kanzleramt gehörten und
alle Teilnehmer sich einig gewesen wären, dass die Stimmung gut gewesen
sei.
Kampfbereitschaft nutzen
Unter den anwesenden Mahle-Beschäftigten gibt es eine weitaus
kämpferische und radikalere Stimmung als unter den Funktionären. Die
Kollegen waren wütend über die Schließungspläne und machten ihrem Ärger
mit Trommeln, Pfiffen und dem Sprechchor „Alzenau bleibt“ Luft. Als die
Rede auf den Vorstandsvorsitzenden zu sprechen kam, rief ein Kollege
lauthals: „Coenen muss weg“. Die Kollegen vom Mahle-Werk Wölfersheim
hatten ein IGM-Transparent mit der Aufschrift „Zum Streik bereit – sind
wir jederzeit“. Auf einem Pappschild stand von Hand geschrieben: „Die
Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns
Gier!!!“ Mehrmals wurde bei dem Protesttag vor dem Mahle-Stammsitz in
Stuttgart der Satz von Friedrich Schiller bemüht: „Vereint sind auch
die Schwachen mächtig“. Aber dafür muss ein radikaler Kurswechsel bei
den Gewerkschaften stattfinden. Gemeinsame Massendemonstrationen,
Streiks, Generalstreiks Betriebsbesetzungen sind das Gebot der Stunde.
In den Betrieben und in der Gesellschaft muss die Machtfrage gestellt
werden. In der Satzung der IGM § 2, Abs. 4 steht die Forderung:
„Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und
wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“.
Der Kampf um diese Forderung gehört auf die Tagesordnung, nicht nur bei Mahle.
Solidaritätsadressen an die Belegschaft in Alzenau an solidaritaet@mahle.de