Wie Rechtsextreme in Heilbronn unterschätzt wurden

Erstveröffentlicht: 
19.11.2011

Wie die systematische Unterschätzung von Rechtsextremismus aussieht, zeigt sich am Beispiel Heilbronn - ausgerechnet jener Stadt, in der vermutlich die Zwickauer Terrorzelle 2007 eine Polizistin erschoss.

 

Von einer systematischen Unterschätzung des Rechtsextremismus sprach der SPD-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, Thomas Oppermann, am Donnerstag. Wie diese aussieht, zeigt sich am Beispiel Heilbronn, ausgerechnet jener Stadt also, in der vermutlich die rechtsextreme Zwickauer Terrorzelle 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter erschoss.

 

Wie die rechte Szene in seiner Region aussieht, glaubt Volker Rittenauer ganz genau zu wissen. Es gebe natürlich die NPD, die aber nicht allzu stark sei, erklärte der Leiter der Heilbronner Kriminalpolizei in dieser Woche einer Lokalzeitung, dazu „nicht-strukturierte Grüppchen von drei bis fünf Personen“. Insgesamt seien es weit unter 50 Rechte, die in irgendeiner Form aktiv sind. Hinweise auf extreme Gewaltbereitschaft oder „Gewaltanwendungsgedanken“ gegen Menschen lägen seinen Ermittlern nicht vor.

 

Von nicht-strukturierten Grüppchen kann nach FR-Recherchen im Norden Baden-Württembergs keine Rede sein. In Heilbronn sind nicht nur die NPD und ihre Jugendorganisation bestens organisiert und vernetzt, wie etwa ein Ausflug des Kreisverbands im Oktober nach Thüringen zeigt, wo die Rechten das Kyffhäuserdenkmal besichtigten, bei „Kameraden“ in Eisenach übernachteten und dort nach eigenen Angaben die „Reichsflagge“ hissten. Erst im Juni hat sich zudem in Heilbronn eine rechte Kameradschaft gegründet, die sich „AG Heilbronn“ nennt – AG für Aktionsgruppe. Auf der Gründungsfeier waren neben dem Schweizer Neonazi Philippe Eglin auch viele Besucher aus der Region anwesend, die Nationalisten selbst berichten auf Facebook von 40 Gästen.

 

"Keine Hinweise auf Gewaltanwendungsgedanken"


Und auch dass es keine Hinweise auf „Gewaltanwendungsgedanken“ geben soll, wie Kripo-Chef Rittenauer erklärte, erscheint wenig plausibel. Vier Wochen lang ermittelte seine eigene Behörde nach Angaben der Heilbronner Staatsanwaltschaft im Sommer vergangenen Jahres wegen eines Brandanschlags auf einen türkischen Supermarkt in Neckarsulm, dann wurden drei junge Männer und eine Frau festgenommen. Sie legten Geständnisse ab. Alle vier werden der rechten Szene zugerechnet, einer war bereits wegen „Hakenkreuzschmierereien“ aufgefallen. Die Ermittler, so die Behörde, gingen „dennoch nicht von einer politisch motivierten Straftat einer strukturierten rechten Szene aus“.

 

Ebenso wenig sind offenbar die Morddrohung gegen einen jüdischen Barbesitzer in der Stadt im vergangenen Jahr und der Aufmarsch von 800 Faschisten am 1. Mai dieses Jahres in die Einschätzung der Kripo eingeflossen. Und auch nicht eine der größten Aktionen des Landeskriminalamts gegen die Szene, obwohl sie erst vier Monate zurückliegt: Im Juli mündeten monatelange Ermittlungen der Behörde in 21 Hausdurchsuchungen, unter anderem in Heilbronn. Gefunden wurden neben Luftgewehren auch Waffen, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wirft 18 Beschuldigten vor, die kriminelle Vereinigung „Standarte Württemberg“ gegründet zu haben. Die Verdächtigen, so das LKA, seien alle wegen rechtsextremer Umtriebe bekannt gewesen.