Karawane Wuppertal zu Gast bei Antira Perspektive MH/Ruhr

Antirassistische Perspektive Mülheim/Ruhr

Zur ersten Veranstaltung der neuen Gruppe „Antirassistische Perspektive Mülheim/Ruhr“ wurde am 28.9.11 die „Karawane- für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“ aus Wuppertal eingeladen. Ca. 50-60 Menschen erhielten einen Einblick in die Geschichte und Gegenwart der Flüchtlingsselbstorganisation durch das Karawane-Netzwerk in Deutschland. Der folgende Bericht soll die Veranstaltung inhaltlich zusammenfassen und einen kleinen Einblick in die Situation von Flüchtlingen in Deutschland ermöglichen:

 

Als 1993 das individuelle Recht auf Asyl durch den sogenannten „Asylkompromiss“ und die „Drittstaatenregelung“, auch als Reaktion auf die rassistisch aufgeheizte Stimmung nach der „Wiedervereinigung“ in Deutschland, quasi abgeschafft wurde, wurde es für Flüchtlinge rechtlich unmöglich gemacht über den Landweg in Deutschland Asyl zu erhalten.

Die wenigen Flüchtlinge die es per Flugzeug und durch das Flughafenverfahren (http://aktivgegenabschiebung.drittewelthaus.de/011000kawuku.html ) oder über eine verschleierte Reiseroute nach Deutschland geschafft haben, müssen in Deutschland meist in prekären, sowie sozial isolierten Verhältnissen leben und um ihr Recht auf Asyl, Bewegungsfreiheit, Gesundheit, Bildung, Selbstbestimmung, Arbeit und viele weitere kämpfen.

 

In den 1990er Jahren führten die Flüchtlinge und Migrant_innen ihre Kämpfe zusammen und gründeten die Flüchtlingsselbstorganisationen „The Voice African Forum“ (1994) (http://thevoiceforum.org/) und „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen (1998) (http://thecaravan.org). Sie unterstützten einander, dokumentierten die Zustände, schufen eine bundesweite Vernetzung und setzen sich seitdem gemeinsam vor allem gegen Abschiebungen ein.

 

1998 startete die Karawane ihre ersten Aktionen zur anstehenden Bundestagswahl und zog mit dem Slogan „Wir haben keine Wahl, aber wir haben eine Stimme“ durch 44 deutsche Städte, um auf die unerträglichen Lebensverhältnisse, die Angst vor Abschiebung, das Leben in „Isolationslagern“ und Abschiebehaft oder auch die rassistischen Sondergesetze wie die Residenzpflicht (http://www.nolager.de/blog/node/162), das entmündigende Asylbewerberleistungsgesetz und den daraus resultierenden Diskriminierungen und Ausgrenzungen aufmerksam zu machen.

 

Im Juni 1999 organisierten die Flüchtlingsselbstorganisationen einen Kongress in Köln, welcher sich u.a. mit dem Slogan „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“ an den damals auch in Köln stattfindenden G7-Gipfel richtete und auf die Verantwortung und Schuld an der (Neo-) Kolonialisierung, Ausbeutung sowie den Kriegen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge hinwies (siehe Pressemitteilung der Besetzung des „Grünen“ Büros: http://www.humanrights.de/doc_de/archiv/caravan/strike/statements/0506presstatement.htm).

 

Beantwortet wurden die aufkommenden Widerstandsbestrebungen mit erheblicher Repression, wie es bis heute übliche Praxis ist, um besonders vor größeren Aktionen Einschüchterung und Angst bei den Aktivist_innen zu erzeugen.

Etliche Flüchtlinge kamen in Abschiebehaft oder wurden in andere isolierte Lager verlegt. Durch die Residenzpflicht, also das Verbot der Bewegungsfreiheit über Landkreisgrenzen hinweg, wurden viele Menschen zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt.

Auch für diese Menschen, welche nicht dazu bereit waren für ihre Freiheit Geld zu bezahlen, setzte und setzt sich auch heute noch die Karawane in Form von Öffentlichkeits-, Unterstützungs- und Kampagnenarbeit ein. Die Residenzpflicht, welche nur in Deutschland existiert und auch schon in NS- Zeiten zur Kontrolle genutzt wurde, ist bis heute Teil einer Abschreckungsstrategie, die mit Hilfe des Asylbewerberleistungsgesetzes Flüchtlinge an den untersten Rand der Gesellschaft drängt, ihnen vielerlei Menschenrechte verwehrt und ihnen die Illusion eines besseren Lebens nach der Flucht rauben soll.

 

Die Kampagne für den „The Voice“ Aktivisten „Felix Otto“ wurde hier beispielhaft erwähnt (http://thevoiceforum.org/node/1341), welcher aufgrund des Verstoßes gegen die Residenzpflicht erst zu acht Monaten Haft verurteilt und dann, trotz langem Kampf und öffentlichem Druck, letztendlich abgeschoben wurde. Hier schreckten die Behörden nicht davor zurück, Felix in seiner Zelle anzuketten, zu fixieren, ihn fast vollständig von der Außenwelt abzuschotten oder eine Kamera in seinem Zimmer zu installieren.

 

In der Geschichte der Karawane gab es viele Kampagnen und Konferenzen

(Flüchtlingskongress 2000:

http://www.videoactivism.de/nadir/kampagnen/karawane-kongress/,

Aktionstage gegen die Residenzpflicht 2001:

http://umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/bildgalerie_residenzpflicht_aktionstage.html),

um neben der Unterstützung einzelner Schicksale auch politischen Druck auf struktureller Ebene aufzubauen.

 

Es wurden beispielsweise mehrere Touren

(KARAWANE 2002:  

http://www.umbruch-bildarchiv.de/video/karawane/tour2002.html,

ANTI-LAGER-action-TOUR 2004:

http://no-racism.net/article/664/,

KARAWANE-Tour 2007:

http://thecaravan.org/node/1158 + http://no-racism.net/article/664/)

durchgeführt, um die Verhältnisse in deutschen Flüchtlingsunterkünften und -lagern öffentlich zu machen und den Menschen Mut zu machen für ihre Rechte einzustehen.

 

Es wurden eigens erlebte sowie dokumentierte Erfahrungen aus mehreren Lagern dargestellt:

Menschen die aufgrund ihrer Fluchtgeschichte bereits oft traumatisiert sind, leben auf engstem Raum zusammen, teilweise jahrelang nur mit einem „geduldeten“ Aufenthaltsstatus (ständige Angst vor Abschiebung), müssen sich mehrmals täglich zur Kontrolle melden, sind auf die Gutmütigkeit von Securities, Hausmeistern oder Sozialämter angewiesen, um ärztliche Versorgung oder Krankenscheine zu erhalten, die sich nicht nur auf das Verabreichen von Schmerztabletten beschränkt. Eine psychologische oder therapeutische Behandlung sowie fachärztliche Diagnose wird den Wenigsten ermöglicht. Auch eine Sozial- oder Rechtsberatung bleibt vielen Flüchtlingen in ihrer Isolation verwehrt.

Kein Wasser in den Toiletten, Schimmel an den Wänden, runtergekommene Häuser oder auch Container, schlechte Verständigung und Konflikte untereinander, da keine Möglichkeit deutsch zu lernen (oder anderweitig eine gemeinsame Sprache zu sprechen), Essenspakete mit teils abgelaufenen und nicht selbst gewählten Lebensmitteln, ein entmündigendes Gutscheinsystem, welches den Flüchtlingen die Wahl ihrer Bedürfnisse nimmt, teilweise nur 40 Euro Bargeld im Monat, kein wirkliches Recht auf Bildung und Schule, keine Möglichkeit Arbeit aufzunehmen, kein Geld für die Fahrt in die nächstgelegene Stadt oder sonstige Aktivitäten und vieles mehr, was für die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland als selbstverständlich gilt.

Durch das Asylbewerberleistungsgesetz werden diese Verhältnisse rechtlich legitimiert.

(http://www.youtube.com/watch?v=JA5LGtiTxAU&feature=player_embedded )

 

Diese Monotonie auf engstem Raum über Jahre hinweg macht die Menschen psychisch und physisch krank. Viele Menschen sind dabei schon um ihr Leben gekommen. Als einer von zu vielen, wurde über den tragischen Tod von „Mohammed Sillah“ in Remscheid (http://thecaravan.org/node/2732) berichtet, dem ein Krankenschein sowie ein Krankenwagen verwehrt wurde und der anschließend ums Leben kam, nachdem er von Freunden eigenhändig ins Krankenhaus getragen wurde (http://thecaravan.org/node/2720). Aber auch die unglaubliche Geschichte von Oury Jalloh (http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/deutsch/ ), der in einer Gefängniszelle verbrannt ist, wurde kurz erwähnt. Eine Betroffene erzählte über ihr Leben in einer Unterkunft im nahe gelegenen Velbert (http://thecaravan.org/node/3032).

 

(Weitere Einblicke in verschiedene Lager in Deutschland können u.a. auf http://www.proasyl.de/de/themen/lagerkarte/ nach recherchiert werden, wobei es leider immer noch viele Unterkünfte gibt, die nicht von unabhängiger Seite besucht oder dokumentiert wurden.)

 

Dies alles ist Teil eines staatlich-institutionellen Rassismus, dem meist keine rechtlichen Konsequenzen drohen, selbst wenn Menschen dabei umkommen.

Hinzu kommt das von der Mehrheitsgesellschaft konstruierte rassistische Bild über die Menschen, die von ihr nicht als „weiß-deutsch“ definiert und so als „fremd“ markiert werden.

In den Medien, auf der Straße, in staatlichen Institutionen, bei Arbeitgeber_innen, Vermieter_innen oder bei regelmäßigen Kontrollen in Bahnhöfen, reproduzieren sich meist „kriminielle“ oder „sozialschmarotzende“ stereotype Bilder, welche sich auf die betroffenen Menschen auswirken, diese gesellschaftlichen Verhältnisse zementieren, soziale und wirtschaftliche Konfliktursachen verschleiern und rassistische Diskurse bestärken.

 

Doch es gab und gibt auch viele Erfolge im Kampf der Flüchtlinge und Unterstützer_innen. Einige Lager konnten schon – nach erheblichem öffentlichem Druck – geschlossen und Lebensbedingungen verbessert werden. Viele Abschiebungen konnten verhindert werden. Letztendlich ist aber noch viel zu tun bis Menschen überall ein würdiges Leben führen können, ohne auf Staatsangehörigkeit oder Verwertbarkeit geprüft zu werden. Die „Karawane“ wird weiterhin dafür kämpfen, das Schweigen zu brechen, jede_n Einzelne_n zu ermutigen und Veränderung zu erkämpfen. (http://thecaravan.org/node/2017) Für die Betroffenen ist es psychisch wie auch physisch mitunter lebensrettend aus dieser gewollten Isolation auszubrechen, andere Betroffene kennenzulernen, Erfahrungen auszutauschen und ihrer eigenen Stimme Kraft zu geben. Die alltäglichen Dramen und Verbrechen dürfen nicht länger unentdeckt bleiben.

 

Die Organisierung des Widerstands gegen diesen staatlich-institutionellen Rassismus und letztendlich auch gegen die Ausprägung kapitalistischer Verwertungslogiken kostet nicht nur viel Kraft und Zeit. Sie kostet auch sehr viel Geld, welches die Betroffenen dringend benötigen. So hofft die Karawane immer wieder auf finanzielle Unterstützung durch Spenden.

 

Die Antirassistische Perspektive MH/Ruhr bewertet den Vortrags- und Diskussionsabend als Erfolg. Viele Menschen aus unterschiedlichen Städten und gesellschaftlichen Bereichen konnten ihre Einblicke in die Situation von Flüchtlingen in Deutschland erweitern, über diese diskutieren, sich vernetzen und antirassistische Perspektiven weiter ins Auge fassen.

 

Weitere Informationen:

http://thecaravan.org/

http://antiramh.blogsport.de/

 

„No Border Lasts Forever II“ - Zweite Konferenz zu Bilanz und Perspektiven der antirassistischen Bewegung vom 18.- 20.11.2011 in Frankfurt/Main

http://conference.w2eu.net/