Türkische Truppen sind am Mittwoch bis zu acht Kilometer tief in den Nordirak einmarschiert. Die rund 600 Kommandosoldaten wurden von Kampfhubschraubern begleitet. Gleichzeitig bombardierten türkische Militärjets mutmaßliche Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, im Nordirak. Mindestens 15 Guerillakämpfer wurden nach Militärangaben getötet, die PKK sprach von fünf Gefallenen. Vorausgegangen waren in der Nacht Angriffe von über 100 PKK-Kämpfern auf eine türkische Kaserne sowie sieben grenznahe Militärstützpunkte bei den Städten Cukurca und Yüksekova in der Provinz Hakkari. Laut türkischen Medienberichten wurden dabei 25 Soldaten getötet und 18 weitere verwundet. Die PKK erklärte, es seien sogar über 50 Soldaten getötet und ebenso viele verwundet worden. Es habe sich um eine Vergeltungsaktion für türkische »Vernichtungsoperationen« gegen die von der Guerilla kontrollierten »Medya-Verteidigungsgebiete« im Nordirak sowie für die Massenverhaftungen kurdischer Politiker in der Türkei gehandelt.
Am Dienstag waren fünf Polizisten in einem Panzerfahrzeug mit einem von der PKK gezündeten Sprengsatz in der Provinz Bitlis getötet worden. Durch die Explosion starben laut Medienberichten auch drei Zivilisten in einem dahinter fahrenden Lastwagen.
Präsident Abdullah Gül, der erst vor wenigen Tagen die jetzt attackierten Truppeneinheiten in Cukurca besucht hatte, schwor »heftige Vergeltung« für die seit den 90er Jahren blutigsten Rebellenangriffe. Die prokurdische Partei für Frieden und Demokratie, BDP, rief sowohl die Regierung als auch die PKK zur sofortigen Waffenruhe auf: »Stopp! Es hat schon genug Tote gegeben.«
Am Dienstag waren bei türkeiweiten Razzien 78 Vorstandsmitglieder, Stadträte und Vizebürgermeister der BDP, Menschenrechtsaktivisten, Vertreter der Lehrergewerkschaft sowie zahlreiche Studenten festgenommen worden. Ihnen wird die Mitgliedschaft in der »Union der Gemeinschaften Kurdistans« (KCK), einem PKK-nahen Dachverband, vorgeworfen. Die BDP-Vorsitzende Gültan Kisanak beschuldigte die islamisch-konservative AKP-Regierung, mit der Inhaftierung von rund 4 000 kurdischen Politikern seit Frühjahr 2009 einen »politischen Genozid« zu betreiben.
Unterdessen begann die kurdische Regionalregierung im Nordirak mit der zwangsweisen Räumung von Dörfern in der Nähe von PKK-Camps im Hakurk- und im Kandil-Gebiet. Die türkische Regierung hatte dies gefordert, da sich PKK-Mitglieder unter den Dorfbewohnen verbergen würden. Die mehreren hundert Bauern würden in neue Siedlungen gebracht, um die Zahl ziviler Opfer bei türkischen Luft- und Artillerieangriffen auf die grenznahen Gebiete gering zu halten, begründete die Regionalregierung von Präsident Masud Barsani die Vertreibung.